Angela Merkel steht für Verlässlichkeit – nicht für Visionen
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Von Jörg Quoos
Berlin. Kanzlerin Merkel wird in ihrer vierten Amtszeit unaufgeregt regieren. Um Visionen werden sich ihre Nachfolger kümmern. Ein Kommentar.
Angela Merkel ist zum vierten Mal zur Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland gewählt worden. Damit schreibt die 63-Jährige zum dritten Mal Geschichte. Erste Frau als Regierungschefin Deutschlands. Die erste ostdeutsche Kanzlerin. Jetzt hat sie die Chance, Rekord-Kanzlerin zu werden und mit dem ewigen Helmut Kohl gleichzuziehen. Sie wird diesen Rekord anstreben und damit über ihre Gegner triumphieren, die sie seit Jahren vergeblich abschreiben.
„Die Zauderkünstlerin“ hieß ein aufsehenerregendes Buch, das in Talkshows Karriere machte und die Merkel-Kritiker beflügelte. Kernthese: Die Kanzlerin schmeißt hin. Das hätte bereits im Jahr 2015 sein sollen. Nun aber, am 15. März 2018, holte sie sich ihre vierte Ernennungsurkunde beim Bundespräsidenten ab. Mehr Dementi geht nicht.
Überraschend hohe Zahl an Gegenstimmen
Dennoch ist die Bundeskanzlerin im Herbst ihrer Regierungszeit zunehmend umstritten. Und es gibt immer noch Widerstand in der schwarz-roten Koalition. Das zeigte auch die überraschend hohe Zahl an Gegenstimmen im Bundestag, die mehr als nur ein Schönheitsfehler sind.
Aber anders als bei Helmut Kohl geht es den heutigen Kritikern Angela Merkels weniger um ihre Person. Es ist ihr Regierungsstil, der die Ungeduldigen aufbringt. Das schlechte Ergebnis bei der Kanzlerinnenwahl hat Angela Merkel dagegen eher dem Zickzackkurs der SPD-Führung zu verdanken. Martin Schulz hatte mit der Brechstange die Sozialdemokraten erst aus der Koalition heraus und dann wieder zurückgehebelt. So ein Wortbruch hinterlässt Spuren.
Merkel überzeugte Wähler mit ihrer Gelassenheit
Der Kanzlerin wird von der Opposition – zunehmend aber auch im eigenen Lager – das Fehlen von Visionen vorgeworfen. Das mag berechtigt sein, aber dafür stand Angela Merkel in Wahrheit nie. Verlässlichkeit ist dagegen ein Wort, das die Kanzlerin besonders gerne benutzt. Es beschreibt ihre wichtigste Tugend, und damit hat sie eine Mehrheit der Wähler erneut überzeugt und es zum vierten Mal an die Spitze geschafft.
Angela Merkel wird auch in dieser Amtszeit Deutschland unaufgeregt und mit großer Erfahrung regieren. Und die Visionen? Die werden die Nachfolger Angela Merkels liefern müssen. Dass es auch ohne geht, hat schon ein anderer großer Regierungschef bekannt: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“, ätzte Helmut Schmidt über seinen Vorgänger Willy Brandt. Das war im Bundestagswahlkampf 1980, und Schmidt gilt heute als der beliebteste SPD-Kanzler aller Zeiten.
Das ist das Bundeskabinett
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Merkel kann nun erstmals befreit regieren
Jetzt kann also endlich regiert werden. Schon am Mittwoch lag nach quälenden sechs Monaten erstmals wieder Aufbruchsstimmung in der Luft, als die neuen Minister ihre Ernennungsurkunden entgegennahmen. Im Zusammenspiel mit der starken neuen Frau der SPD kann die letzte Amtszeit der Kanzlerin gut gelingen. Angela Merkel und Andrea Nahles schätzen und respektieren sich. Beide sind bodenständig und darin geübt, mit großer Gelassenheit eitle Alphatiere in den eigenen Reihen ins Leere laufen zu lassen.
Der Koalitionsvertrag legt Angela Merkel auf insgesamt 177 Seiten zwar enge Fesseln an. Aber in zwei entscheidenden Punkten ist die Kanzlerin so frei wie lange nicht mehr. Sie hat mit der Berufung der Saar-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer zur Generalsekretärin die ewige Frage nach der möglichen Nachfolge beendet. Und sie kann erstmals gestalten, ohne an eine Wiederwahl 2021 denken zu müssen. Das schafft Luft für vielleicht unbeliebte, aber wichtige Entscheidungen für die Zukunft des Landes. Die Kanzlerin sollte diesen Spielraum nutzen.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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