Jerusalem/Berlin. Israels Premier Netanjahu und Bundesaußenminister Gabriel haben sich nach dem Eklat im April getroffen. Ihre Differenzen bleiben aber.

Herzlichkeit sieht anders aus. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu reicht seinem Gast Sigmar Gabriel vor den wenigen Journalisten in dem kleinen Kabinettssaal seiner Regierungszentrale zwar gleich dreimal die Hand. Aber es funkt nicht zwischen den beiden. Herzhaftes Lachen, Schulterklopfen, ein kleiner Scherz zur Auflockerung. Alles, was man jetzt machen könnte, um dem Publikum da draußen enge Verbundenheit oder gar Freundschaft zu signalisieren, bleibt aus. Dreimal ein kurzer, kühler Händedruck. Das ist alles.

40 Minuten sprechen die beiden am Mittwochmorgen. Auch danach, beim vierminütigen Auftritt vor der Presse, werden die Differenzen deutlich. Beim Thema einer Zwei-Staaten-Lösung für Israel und Palästina fallen sie besonders auf. Gabriel erklärt, „sehr dankbar zu hören, dass auch die israelische Regierung zwei Staaten haben, aber für die Sicherheit an Israels Grenzen sorgen will“.

Netanjahu unterbricht den deutschen Außenminister, man könnte auch sagen, er fährt ihm in die Parade: „Ob es als Staat definiert werden kann, wenn wir die militärische Kontrolle haben, ist eine andere Sache, aber ich will lieber nicht über Begriffe, sondern über Inhalte sprechen.“ Netanjahu steht innenpolitisch unter Druck. Einige seiner kleinen Koalitionspartner und Teile seiner Likud-Partei sind strikt gegen eine Zwei-Staaten-Lösung.

Kurze Begegnung, kühle Atmosphäre

Danach ist der israelische Premier auch gleich wieder weg. „Leider muss ich in die Knesset“, ruft er noch. Ein ursprünglich geplantes Gespräch mit Gabriel in größerem Kreis sagt Netanjahu kurzerhand ab. Er hat aber einen guten Grund dafür. Der Ministerpräsident muss vor dem israelischen Parlament eine Rede zum Tod von Chaim Guri halten, dem wichtigsten Dichter der Gründergeneration Israels. Der im Alter von 94 Jahren gestorbene Guri hatte der jüdischen Untergrundarmee während des Zweiten Weltkriegs dabei geholfen, Juden die Flucht aus Europa zu ermöglichen.

Die Kürze der Begegnung zwischen Netanjahu und Gabriel passt zur kühlen Atmosphäre. Dass dieses Treffen überhaupt stattgefunden hat, ist allerdings schon ein Fortschritt. Eigentlich war es für den 25. April 2017 geplant. Gabriel absolvierte damals als noch recht frischer Außenminister seinen Antrittsbesuch in Israel. Netanjahu ließ jedoch den SPD-Politiker abblitzen, weil dieser nicht auf ein Gespräch mit Regierungskritikern verzichten wollte.

Gabriel hatte sich mit Organisationen wie Breaking the Silence und Betselem getroffen, die das Vorgehen der israelischen Armee in den palästinensischen Gebieten anprangern. In israelischen Regierungskreisen hieß es danach, Gabriel habe sich damit politisch einseitig positioniert. Hätte er auch Vertreter einer palästinenserkritischen Organisation angehört, hätte die israelische Regierung damit kein Problem gehabt.

Die Karriere von Sigmar Gabriel

Sigmar Gabriel war lange Vorsitzender der SPD und mehrfach Minister in Bundesregierungen. Wir zeigen Stationen seines Wegs in Bildern. Zuletzt war er Außenminister.
Sigmar Gabriel war lange Vorsitzender der SPD und mehrfach Minister in Bundesregierungen. Wir zeigen Stationen seines Wegs in Bildern. Zuletzt war er Außenminister. © dpa | Britta Pedersen
Einen Streit mit Parteikollege Martin Schulz trug Sigmar Gabriel öffentlich aus. Zu seinem Ausscheiden aus dem Ministeramt und dem Weg ins Private zitierte Gabriel gegenüber unserer Redaktion seine Tochter: „Du musst nicht traurig sein, Papa, jetzt hast Du doch mehr Zeit mit uns. Das ist doch besser als mit dem Mann mit den Haaren im Gesicht.“
Einen Streit mit Parteikollege Martin Schulz trug Sigmar Gabriel öffentlich aus. Zu seinem Ausscheiden aus dem Ministeramt und dem Weg ins Private zitierte Gabriel gegenüber unserer Redaktion seine Tochter: „Du musst nicht traurig sein, Papa, jetzt hast Du doch mehr Zeit mit uns. Das ist doch besser als mit dem Mann mit den Haaren im Gesicht.“ © dpa | Kay Nietfeld
Sigmar Gabriel bei seinem Sprung in die Spitzenpolitik: Am 15. Dezember 1999 wurde der gebürtige Goslarer als Ministerpräsident Niedersachsens vereidigt. Schon 1977 war er als 18-Jähriger in die SPD eingetreten. Nach einigen Jahren in der Kommunalpolitik zog Gabriel 1990 in den Landtag ein.
Sigmar Gabriel bei seinem Sprung in die Spitzenpolitik: Am 15. Dezember 1999 wurde der gebürtige Goslarer als Ministerpräsident Niedersachsens vereidigt. Schon 1977 war er als 18-Jähriger in die SPD eingetreten. Nach einigen Jahren in der Kommunalpolitik zog Gabriel 1990 in den Landtag ein. © REUTERS | REUTERS / Peter Mueller
Gratulation und Unterstützung gab es besonders von Genosse Gerhard Schröder.
Gratulation und Unterstützung gab es besonders von Genosse Gerhard Schröder. © REUTERS | REUTERS / Christian Charisius
Gabriel war damals der dritte Ministerpräsident in einer Legislaturperiode. Zuvor hatten Gerhard Schröder und Gerhard Glogowski das Amt niederlegen müssen. Schröder wegen seines Wechsels ins Kanzleramt, Glogowski wegen des Vorwurfs, er habe sich durch seine Stellung materielle Vorteile verschafft.
Gabriel war damals der dritte Ministerpräsident in einer Legislaturperiode. Zuvor hatten Gerhard Schröder und Gerhard Glogowski das Amt niederlegen müssen. Schröder wegen seines Wechsels ins Kanzleramt, Glogowski wegen des Vorwurfs, er habe sich durch seine Stellung materielle Vorteile verschafft. © imago stock&people | imago
„Klar für Sigmar“ sollte Niedersachsen auch 2003 sein, zumindest nach Vorstellung der SPD. Allerdings setzte es bei der Landtagswahl in diesem Jahr eine schallende Ohrfeige: minus 14,5 Prozent, während die CDU mit Spitzenkandidat Christian Wulff über zwölf Prozent zulegte und die Wahl gewann.
„Klar für Sigmar“ sollte Niedersachsen auch 2003 sein, zumindest nach Vorstellung der SPD. Allerdings setzte es bei der Landtagswahl in diesem Jahr eine schallende Ohrfeige: minus 14,5 Prozent, während die CDU mit Spitzenkandidat Christian Wulff über zwölf Prozent zulegte und die Wahl gewann. © imago stock&people | imago
Von 2003 bis 2005 war Gabriel stellvertretender Vorsitzender der SPD in Niedersachsen und Chef des SPD-Bezirks Braunschweig. Und er hatte noch genug Zeit, um sich als Partei-Beauftragter für Popkultur und Popdiskurs einspannen zu lassen. Spitzname: Siggi Pop.
Von 2003 bis 2005 war Gabriel stellvertretender Vorsitzender der SPD in Niedersachsen und Chef des SPD-Bezirks Braunschweig. Und er hatte noch genug Zeit, um sich als Partei-Beauftragter für Popkultur und Popdiskurs einspannen zu lassen. Spitzname: Siggi Pop. © imago stock&people | imago
2005 stand für Gabriel dann der Umzug nach Berlin an. Er war erstmals zur Bundestagswahl angetreten und gewann das Direktmandat seines Wahlkreises mit 52,3 Prozent der Erststimmen. Auch bei den Wahlen 2009 und 2013 holte er das Mandat. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) berief ihn in der großen Koalition zum Chef des Umweltministeriums, Bundestagspräsident Norbert Lammert (rechts) vereidigte ihn am 22. November.
2005 stand für Gabriel dann der Umzug nach Berlin an. Er war erstmals zur Bundestagswahl angetreten und gewann das Direktmandat seines Wahlkreises mit 52,3 Prozent der Erststimmen. Auch bei den Wahlen 2009 und 2013 holte er das Mandat. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) berief ihn in der großen Koalition zum Chef des Umweltministeriums, Bundestagspräsident Norbert Lammert (rechts) vereidigte ihn am 22. November. © imago stock&people | imago
In seiner Zeit als Umweltminister nahm Gabriel nicht nur Hybrid-Autos unter die Lupe, wie hier im Juni 2008 mit dem damaligen VW-Boss Martin Winterkorn – er setzte sich auch auf anderen Wegen für die Energiewende ein und forcierte den Atomausstieg.
In seiner Zeit als Umweltminister nahm Gabriel nicht nur Hybrid-Autos unter die Lupe, wie hier im Juni 2008 mit dem damaligen VW-Boss Martin Winterkorn – er setzte sich auch auf anderen Wegen für die Energiewende ein und forcierte den Atomausstieg. © imago stock&people | imago stock&people
Am 13. November 2009 wurde Gabriel auf dem Bundesparteitag in Dresden zum SPD-Vorsitzenden gewählt. 94,2 Prozent der Delegierten stimmten damals für ihn.
Am 13. November 2009 wurde Gabriel auf dem Bundesparteitag in Dresden zum SPD-Vorsitzenden gewählt. 94,2 Prozent der Delegierten stimmten damals für ihn. © imago stock&people | imago stock&people
Sigmar Gabriel beim Bierchen mit der damaligen NRW-Vizechefin Hannelore Kraft beim Politischen Aschermittwoch der SPD im Jahr 2010. In den folgenden Jahren wurde Gabriels Rückhalt in der Partei langsam, aber sicher immer kleiner. Beim Bundesparteitag 2011 vereinte er 91,6 Prozent der Stimmen auf sich, 2013 waren es nur noch 83,6 Prozent. Bei der Bundestagswahl 2013 ging Peer Steinbrück als Spitzenkandidat der SPD ins Rennen.
Sigmar Gabriel beim Bierchen mit der damaligen NRW-Vizechefin Hannelore Kraft beim Politischen Aschermittwoch der SPD im Jahr 2010. In den folgenden Jahren wurde Gabriels Rückhalt in der Partei langsam, aber sicher immer kleiner. Beim Bundesparteitag 2011 vereinte er 91,6 Prozent der Stimmen auf sich, 2013 waren es nur noch 83,6 Prozent. Bei der Bundestagswahl 2013 ging Peer Steinbrück als Spitzenkandidat der SPD ins Rennen. © imago stock&people | imago stock&people
Nach dem Desaster für die FDP bei der Bundestagswahl 2013 wurde die SPD wieder Koalitionspartner der Union. Gabriel ist seitdem Vize-Kanzler und war bis Januar 2017 Wirtschaftsminister.
Nach dem Desaster für die FDP bei der Bundestagswahl 2013 wurde die SPD wieder Koalitionspartner der Union. Gabriel ist seitdem Vize-Kanzler und war bis Januar 2017 Wirtschaftsminister. © imago/ZUMA Press | imago stock&people
2015 äußerte Gabriel, dass er bei der Bundestagswahl „natürlich“ Kanzlerkandidat werden wolle. Das hat sich geändert. Am 24. Januar 2017 bestätigter er seinen Verzicht auf die SPD-Kanzlerkandidatur und legte auch den SPD-Vorsitz nieder.
2015 äußerte Gabriel, dass er bei der Bundestagswahl „natürlich“ Kanzlerkandidat werden wolle. Das hat sich geändert. Am 24. Januar 2017 bestätigter er seinen Verzicht auf die SPD-Kanzlerkandidatur und legte auch den SPD-Vorsitz nieder. © REUTERS | AMIR COHEN
Mit dem Wechsel von Frank-Walter Steinmeier ins Bundespräsidentenamt wurde Gabriel für die restliche Legislaturperiode Außenminister der Koalition. Dieses Foto zeigt ihn während seiner Rede am 21. September 2017 bei der 72. UN-Vollversammlung in New York (USA).
Mit dem Wechsel von Frank-Walter Steinmeier ins Bundespräsidentenamt wurde Gabriel für die restliche Legislaturperiode Außenminister der Koalition. Dieses Foto zeigt ihn während seiner Rede am 21. September 2017 bei der 72. UN-Vollversammlung in New York (USA). © dpa | Bernd von Jutrczenka
Gabriel im Gespräch mit Flüchtlingskindern im Flüchtlingslager „Hasansham U3“ bei Baschika, unweit von Mossul.
Gabriel im Gespräch mit Flüchtlingskindern im Flüchtlingslager „Hasansham U3“ bei Baschika, unweit von Mossul. © dpa | Kay Nietfeld
Gabriel und der ehemalige US-Aussenminister Henry Kissinger im August 2017 in Kent (USA).
Gabriel und der ehemalige US-Aussenminister Henry Kissinger im August 2017 in Kent (USA). © imago/photothek | Inga Kjer
1/16

Halbes Jahr Funkstille zwischen Gabriel und Netanjahu

Es war ein Eklat, den es in der Form noch nicht gegeben hat zwischen den beiden Ländern. Wie Netanjahu und Gabriel anschließend damit umgingen, machte die Sache nicht besser. Zuerst ließ der israelische Regierungschef Gabriel per Interview in einer deutschen Zeitung wissen: „Mein Grundsatz ist ganz einfach: Ich empfange keine Diplomaten anderer Länder, die Israel besuchen und sich dabei mit Organisationen treffen, die unsere Soldaten Kriegsverbrecher nennen.“

Gabriel antwortete ebenfalls per Zeitungsinterview: „Die aktuelle Regierung ist nicht Israel, auch wenn sie das gern so darstellt.“ Danach folgte ein geschlagenes halbes Jahr Funkstille. Den ersten Schritt zur Versöhnung machte Netanjahu. Er rief Gabriel im November an, nachdem in Berlin eine Vereinbarung zum Export dreier weiterer der für Israel so wichtigen deutschen U-Boote unterzeichnet wurde.

Gabriel fordert von Israel Lösungsvorschläge für Nahost-Konflikt

Am Mittwochmittag trifft Gabriel auch Palästinenserpräsident Mahmud Abbas in Ramallah. Der Außenminister rügt die Parteinahme der USA in dem Konflikt und nennt dabei die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels. Sie mache „auf viele Menschen außerhalb der Region und sicher auch hier in Palästina den Eindruck, dass wir uns im Grunde jeden Tag ein Stück weiter vom Osloer Friedensprozess entfernen“, betont Gabriel. Abbas wirbt im Gegenzug für eine Vermittlerrolle Deutschlands und Frankreichs bei der Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts.

Auch später, zurück in Israel, will Gabriel klare Kante zeigen. Bei einer Ansprache auf einer sicherheitspolitischen Konferenz in Tel Aviv fordert er von Israel, eine Strategie für die Lösung des Konflikts mit den Palästinensern vorzulegen. Als Freund Israels sei er „zutiefst besorgt über Israels mittel- und langfristige Optionen“.

Politische Differenzen weiterhin groß

Gabriel warnt auch, dass es in Europa eine wachsende Frustration über Israels Vorgehen gebe. „Auch in Deutschland, und ehrlicherweise innerhalb meiner eigenen Partei, fühlen sich junge Menschen immer weniger geneigt, eine aus ihrer Sicht unfaire Behandlung der Palästinenser zu akzeptieren“, klagt Gabriel. „Und es wird immer schwerer für Leute wie mich zu erklären, warum unsere Unterstützung Israels weitergehen muss.“

Die politischen Differenzen in den deutsch-israelischen Beziehungen sind also seit dem Eklat vor neun Monaten nicht kleiner geworden. Aber immerhin finden jetzt überhaupt erst wieder direkte Kontakte in den höheren Lagen der Diplomatie statt.

Netanjahu kommt im Februar nach Deutschland

Bereits vergangene Woche hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel Netanjahu beim Weltwirtschaftsforum in Davos getroffen. Mitte Februar kommt der israelische Premier zur Münchner Sicherheitskonferenz nach Deutschland. Und dann werden vielleicht irgendwann sogar die deutsch-israelischen Regierungskonsultationen nachgeholt, die Merkel Anfang vergangenen Jahres offensichtlich aus Verärgerung über die israelische Siedlungspolitik abgesagt hatte. Dafür muss es aber erst mal eine neue deutsche Regierung geben.