Der SPD-Chef muss mit seiner Rede die Delegierten auf dem SPD-Sonderparteitag von der GroKo überzeugen – es geht auch um seine Zukunft.

Für Martin Schulz ist es vielleicht die wichtigste Rede seiner langen Laufbahn. Seit Tagen arbeitet der SPD-Vorsitzende am Manuskript für den Sonderparteitag, der an diesem Sonntag in Bonn Ja oder Nein zur großen Koalition sagen muss. Es wird auch eine Abstimmung über die Zukunft von Schulz.

Am Freitagabend kam der 62-Jährige spät daheim in Würselen an. Ihm war es wichtig, die vorletzte Nacht vor dem Parteitag zu Hause zu verbringen. Am Sonnabendvormittag ließ sich Schulz im Nieselregen die gut 100 Kilometer nach Bonn fahren. Dort kamen die Spitzenleute der Sozialdemokraten zu ersten Sitzungen zusammen. Am Gesichtsausdruck mancher Genossen beim Eintreffen im World Conference Center in der alten Bundeshauptstadt am Rhein war abzulesen, dass Feuer unter dem SPD-Dach ist.

Viel wird von der Schulz’ Rede abhängen

Wichtigster Zulieferer für Schulz ist sein Redenschreiber Jonas Hirschnitz. Er wurde einer größeren Leserschaft durch eine Nebenrolle in der Wahlkampfreportage des „Spiegel“-Reporters Markus Feldenkirchen bekannt.

Am Tag der Bundestagswahl versammelte Schulz sein engstes Team in Würselen. Als die Runde nach Berlin aufbrach, um dort das niederschmetternde Ergebnis von 20,5 Prozent zu erfahren, schwenkte Hirschnitz auf Schulzens Terrasse eine rote SPD-Fahne und rief: „Auf zum letzten Gefecht!“ Schulz habe widersprochen: „Nä, nicht zum letzten Gefecht.“ Das war am 24. September. Vier Monate später könnte sich diese Szene fast genauso wieder abgespielt haben. Lehnt der Partei den Einstieg in Koalitionsverhandlungen ab, droht tatsächlich Schulz’ letztes Gefecht. Viel wird nun von seiner Rede abhängen. Sie ist für etwa 45 Minuten ausgelegt – plus möglicher Zugabe.

Malu Dreyer muss den Anfang machen

Beim Parteitag im Dezember in Berlin, der mit großer Mehrheit die erfolgreich abgeschlossenen Sondierungen mit der Union erlaubte, hatte Schulz nur eine mittelmäßige Leistung geboten. Hängen blieb vor allem eine Passage, in der Schulz eine uralte Riesenschildkröte aus dem Stralsunder Ozeanum als Kronzeugin der SPD-Umweltpolitik aufbot. Das rächte sich insofern, weil in den Sondierungen der Eindruck entstand, der SPD seien durch die Aufgabe des ohnehin kaum noch erreichbaren Klimaschutzziels 2020 die Umwelt und die Schildkröten gar nicht so wichtig.

In Bonn wird die Parteitagsregie Schulz entgegenkommen. Eröffnet wird das Treffen der 600 Delegierten – daneben sind auch die 45 Vorstandsmitglieder stimmberechtigt – von Malu Dreyer. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin hat wie Schulz eine Wende hingelegt. Erst war sie strikt gegen eine GroKo, favorisierte eine Duldung einer unionsgeführten Minderheitsregierung. Nun trägt Dreyer das Ergebnis der Sondierungen mit. Sie wird – wie der nach ihr sprechende NRW-Landeschef Michael Groschek – dem skeptischen Parteivolk erklären müssen, warum eine Neuauflage von Schwarz-Rot sich doch lohnt.

Schulz ist als dritter Redner dran

Dreyer wird in der Partei hochgeschätzt, ihr Wort hat Gewicht. Insofern dürfte gerade ihr Auftritt ein bisschen Druck von Schulz nehmen. Er muss als dritter Redner ran. Eine zentrale Botschaft – neben Europa – an die GroKo-Skeptiker dürfte sein Versprechen sein, dass die SPD zur Halbzeit einer Regierung, also im Frühjahr 2020, überprüfen will, ob sie weitermacht oder aussteigt.

Einige in der Partei drängen ihn, in seiner Rede auch einen Verzicht auf die ihm zugedachten Außenminister- und Vizekanzlerposten zu erklären. Das würde seine angekratzte Glaubwürdigkeit – erst voll auf Oppositionskurs, dann nach dem Jamaika-Kurs stramm Richtung Regierung – aufbessern. Nach der Wahl hatte Schulz ausgeschlossen, Minister unter Merkel zu werden.

Juso-Chef Kühnert wirbt für "NoGroKo"-Kurs

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    In den letzten Stunden vor dem Parteitag verschärfte sich seine Lage noch einmal. Der mächtige Landesverband Nordrhein-Westfalen setzte die Parteispitze mit Bedingungen für die Koalitionsverhandlungen unter Zugzwang. In einem unserer Redaktion vorliegenden Entwurf für einen Antrag, den Hessen voraussichtlich mitträgt, wird gefordert, dass in den drei Knackpunkten sachgrundlose Befristung von Arbeitsverhältnissen, Krankenversicherung und Familiennachzug von Flüchtlingen „substanzielle Verbesserungen erzielt werden müssen“.

    Union ist über Debatte in der SPD nicht erfreut

    In der Parteiführung wurde am Sonnabend diskutiert, ob diese Forderungen übernommen werden sollten. Betont wurde, es seien keine „roten Linien“, sondern vielmehr eine „Brücke“, über die Schulz ohne Gesichtsverlust gehen könne.

    Der Punkt Nachverhandlungen ist heikel. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius kritisierte den NRW-Vorstoß. Fraktionschefin Andrea Nahles warnte zuletzt vor „Illusionen“. Schulz sagte jetzt im „Spiegel“, in der Sondierung sei der Rahmen abgesteckt worden: „Dabei bleibt es. Wir wollen ja auch nicht, dass die andere Seite Dinge infrage stellt, die wir erstritten haben.“

    In der Union sind sie nicht amüsiert. CDU-Vize Thomas Strobl sagte unserer Redaktion: „Diese immer neuen Runden helfen nichts und niemandem.“ Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte ebenfalls betont, die Eckpunkte mit der SPD stünden fest.

    Nun muss Schulz zeigen, dass er seine Partei zusammenhalten kann. Es wird mit einem knappen Abstimmungsergebnis gerechnet. Selbst ein Ja wäre nur die halbe Miete für Schulz. Die SPD-Mitglieder müssten einen Koalitionsvertrag noch absegnen. Sie gelten als weniger störrisch – aber sicher ist in der SPD gerade nichts.