Berlin. Dem deutschen „Leopard 2“ fehlen Ersatzteile. Nur 95 von 244 Panzer sind einsatzfähig. „Ein Desaster“, schimpft die SPD-Opposition.

Sie arbeiten daran. Im schönsten Beamtendeutsch teilte das Verteidigungsministerium (BMVG) gerade dem Bundestag mit, der Kampfpanzer „Leopard 2“ stehe „im besonderen Fokus des BMVG zur Verbesserung der materiellen Einsatzbereitschaft“. Die Militärs haben auch allen Grund, sich gerade jetzt auf den „Leo“ zu fokussieren. Denn von 244 Fahrzeugen sind lediglich 95 einsatzbereit. Die meisten stehen in der Werkstatt und warten auf ihre Umrüstung, noch häufiger: auf eine Reparatur. Und dafür fehlen wiederum die Ersatzteile.

Wolfgang Hellmich ist bedient. „Unfassbar“, schimpft der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses. „Ein Desaster“, klagt der SPD-Mann und fragt, wer die Verantwortung dafür trage, selbstredend eine rhetorische Frage. Der Sozialdemokrat kennt die Antwort: „Es ist und bleibt eine Frage der Leitung des BMVG, die für die Sicherheit unseres Landes verantwortlich ist.“ Seit die SPD aus der Regierung abgewählt wurde, schießt sie sich als neue Opposition auf Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) ein.

Die Trendwende beim Material wird sich jahrelang hinziehen

Die „Verwaltung des Mangels“ sollte laut Ministerium eigentlich der Vergangenheit angehören. Die „Trendwende“ bei der materiellen Ausrüstung sei „eingeleitet“, hatte von der Leyen noch im Januar 2016 angekündigt. Nun zeigt sich am aktuellen Beispiel des „Leo“: Es ist ein besonders großer Wendekreis. Die Trendwende dürfte sich noch jahrelang hinziehen. Trotz aller Bekundungen der Spitze des Ministeriums zur Verbesserung des Beschaffungswesens lägen tiefgreifende Mängel vor, „die struktureller Art sind“, analysiert Hellmich.

„Es gab einmal 4600 Kampfpanzer in der Bundeswehr“, erinnert der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels. Früher. Zuletzt waren dem Heer 225 Fahrzeuge des Typs „Leopard“ geblieben. Zu wenige, erkannte von der Leyen. Schon 2015 kündigte sie eine Aufstockung auf 320 an. Im Mai dieses Jahres wurde dann endlich der Vertrag mit der Industrie aufgesetzt, um 100 längst ausgemusterte und eingelagerte „Leopard 2“-Kampfpanzer älterer Bauart zurückzukaufen und zu modernisieren – es war die unkonventionellste Art, vergleichsweise schnell aufzurüsten.

Wehretat stieg stetig

Geld ist dafür da, der Wehretat wurde Jahr für Jahr erhöht. Von der Leyen hat Investitionen in Höhe von 130 Milliarden Euro angekündigt. Und innerhalb der Nato hat sich die Bundesregierung verpflichtet, spätestens 2024 rund zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Rüstung und Militär auszugeben.

Verglichen mit ihrem Amtsvorgänger ist die Trendwende offensichtlich. Thomas de Maizière (CDU) hatte noch eine Obergrenze für die Beschaffung großer Waffensysteme eingezogen. Das Konzept sah tatsächlich vor, dass die Panzertruppe nur mit 70 Prozent des benötigten Geräts ausgerüstet wird.

Panzerverbände sollen sich untereinander helfen

Es war eine Mangelverwaltung, aber bitte mit System: Die Panzerverbände sollten sich untereinander aushelfen. Unter von der Leyen heißt es, jede Einheit, jeder Verband solle zu 100 Prozent über alles Material verfügen, das in der Struktur vorgesehen sei.

Zum 1. November verfügte die Bundeswehr über 244 „Leopard 2“, wovon sieben bei der Industrie und den Wehrtechnischen Dienststellen sind. Dort prüfen und proben Techniker Nachbesserungen und Modernisierungen. 53 Panzer werden nach offiziellen Angaben gerade von der Industrie umgerüstet. Dem Heer blieben 184 Kampfpanzer, wovon allerdings fünf ausschließlich zur technischen Ausbildung genutzt werden. 89 Fahrzeuge sind nach offiziellen Angaben wiederum „nutzungsbedingt ausgefallen“.

Nur 95 Panzer einsatzbereit

Sie sind für Verteidigungspolitiker Hellmich der Stein des Anstoßes. „Wie soll die Truppe denn in Übung gehen, einsatzbereit sein, wenn ein Drittel des Bestandes schon in der Nutzung, also in Übung und Einsatz, ausfällt und nicht repariert werden kann, weil Ersatzteile fehlen und nicht beschafft werden können?“, fragt er.

Fakt ist: Unterm Strich sind gerade mal 95 Panzer einsatzbereit. Vorsorglich stellt das Ministerium klar, der Einsatz des „Leopard 2“ im Rahmen der Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) 2019 „könne damit gewährleistet werden“. Die Nato hatte vereinbart, eine schnelle Eingreiftruppe aufzustellen.

Bei stärkerer Belastung nehmen auch Ausfälle zu

Die hohen Ausfälle dürften auch den Partnern nicht verborgen bleiben. Das Verteidigungsministerium erklärt sie sich damit, dass der „Leo 2“ „mehr genutzt wird“ und einer „höheren Belastung“ unterliege, so ein Sprecher. Das wird auch in den Panzerverbänden bestätigt. Spätestens seit 2015 werden mehr Übungen abgehalten. Seitdem Russland die Krim annektiert hat, seit dem Ausbruch der Ukraine-Krise verstärkt die Nato die klassische Landesverteidigung.

Das hat sofort auf den Übungsbetrieb durchgeschlagen. Wenn das Material stärker belastet wird, nehmen die Ausfälle zu, beim „Leo 2“ vor allem an zwei Stellen: Bei der Leistungselektronik und an den Zahnkränzen.

Leistungselektronik seit 1995 nicht mehr modernisiert

Die Leistungselektronik ist das Bauteil im Panzer, das den Turm mit dem Rohr steuert und bewegt, also auch die Hydraulik regelt. Sie ist seit 1995 nicht mehr modernisiert worden. Gleichzeitig ist der Turm seither schwerer geworden, sodass die ohnehin veraltete Elektronik stärker belastet wird und vermehrt ausfällt.

Die gleiche Erklärung gilt für die Zahnkränze. Sie befinden sich im hinteren Teil des Panzers; über sie verlaufen die Ketten, ein typisches Verschleißteil. Ein Ministeriumssprecher erklärte unserer Zeitung, die entsprechenden Ersatzteile würden jetzt „vermehrt eingekauft.“ Bis Februar 2018 soll die Industrie 4000 Antriebszahnkränze liefern. Unklar ist, wer zu spät war, die Bundeswehr als Besteller oder die Industrie als Lieferant.

Wer zu spät kommt, den bestraft Krauss-Maffei?

Eine Anfrage unserer Zeitung ließ der Münchner Hersteller Krauss-Maffei Wegmann unbeantwortet. Der „Leopard 2“ ist das Erfolgsmodell der Waffenindustrie. Mehr als 3500 „Leopard 2“ sind weltweit im Einsatz, das Vorgängermodell „Leopard 1“ wurde 4700-mal hergestellt. Im Gespräch ist die Entwicklung eines Nachfolgemodells ab 2030, vermutlich in deutsch-französischer Kooperation.