Berlin. Der Auftakt der Jamaika-Gespräche bringt viel Streit und wenig Gemeinsamkeiten. Es könnten chaotische Jahre voller Stillstand werden.

Am Ende wird es klappen. Vor Weihnachten oder erst im neuen Jahr, das wird sich zeigen, aber es wird klappen. Dann wird Deutschland von einem Bündnis aus CDU, CSU, FDP und Grünen regiert. Der Zwang zur Einigung ist groß. Die SPD will nicht noch mal in eine große Koalition. Und keine Jamaika-Partei will Neuwahlen.

Die Frage ist nur: Wird Jamaika eine Koalition, die das Land voranbringt? Danach sieht es bisher nicht aus. Nach mehr als zwei Verhandlungswochen ist nicht viel mehr zu sehen als heftiger Streit um die Themen Flucht, Energie, Landwirtschaft und Verkehr. Das Experiment Jamaika startet mit vielen Gegensätzen und wenig Gemeinsamkeiten. Es könnten chaotische Jahre voller Stillstand werden.

Ein wenig Krawall gehört auch zur Politik dazu

Streit muss natürlich sein. Keine Partei will sich später vorwerfen lassen, nicht beinhart um jedes Thema gekämpft zu haben. Krawall gehört auch ein Stück weit zum Geschäft. Vor allem, wenn 50 Politiker aus vier Parteien aufeinandertreffen. Wer gibt da schon schnell nach?

Jamaika-Parteien demonstrieren Eintracht

weitere Videos

    Doch das Problem sitzt tiefer: Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik gab es eine Bündniskonstellation mit so starken ideologischen Gegensätzen. Vor allem zwischen CSU und Grünen ist eine lange gepflegte Feindschaft spürbar. Abrüstung ist nicht in Sicht. Der linke Flügel der Ökopartei hält die Christsozialen für mindestens reaktionär. Umgekehrt sind manche Grüne für viele CSU-Politiker Moralapostel und Spinner. Das führt dazu, dass keine gemeinsame Idee erkennbar wird. Niemand kann sich vorstellen, wie die Überschrift über einem Koalitionsvertrag lauten könnte. Es reicht jedenfalls nicht, nur schnelles Internet und bessere Bildung als Etikett aufzukleben.

    FDP wollte eigentlich nicht gleich in die Regierung zurück

    Hinzu kommt: Jede Partei ist auch mit sich selbst beschäftigt. Die CDU hat bei der Wahl massiv Stimmen verloren. Noch schlimmer hat es die CSU getroffen. Parteichef Horst Seehofer kämpft nach dem desaströsen Wahlergebnis um sein politisches Überleben. Die Partei ist vor der Landtagswahl im nächsten Jahr maximal nervös – sie muss um jeden Preis die absolute Mehrheit im Freistaat verteidigen. Die FDP hätte sich nach ihrer Zeit in der außerparlamentarischen Opposition ein paar Jahre zur Konsolidierung gewünscht, anstatt sofort wieder in die Regierung zu gehen – obendrein noch unter Angela Merkel.

    SPD-Ministerpräsident zu Sondierung - Stillstand auf allen Ebenen

    weitere Videos

      Zu schmerzhaft war die schwarz-gelbe Koalition von 2009 bis 2013, in der die FDP kaum etwas durchsetzen konnte und schließlich vom Wähler abgestraft wurde. Die Grünen kämpfen um ihr Selbstverständnis: Sind wir noch eine linke Partei? Oder eine Umwelt-Funktionspartei in der Mitte, anschlussfähig an alle anderen (außer AfD)? Droht am Ende gar eine Spaltung, wenn wir Schwarz-Gelb-Grün mitmachen?

      Parteichefs handeln die wichtigsten Punkte alleine aus

      Ein weiteres Problem: Jamaika wird bisher nicht geführt. Hier stellt sich die Frage: Was macht eigentlich die Kanzlerin? Angela Merkel äußert sich selten öffentlich. In den Sondierungsgesprächen tritt sie vor allem moderierend auf. Dabei bräuchte das Experiment eine ordnende Hand, damit nicht alles auseinander fasert.

      Alle schauen nun auf die Spitzenrunde der Parteichefs. In diesem kleinen Kreis wird in den nächsten Wochen alles ausgehandelt, was wirklich wichtig ist. Es wird sich zeigen, ob diese Runde nicht nur die Kraft hat, in den Streitpunkten Konsens herzustellen, sondern auch eine gemeinsame Idee findet, die zumindest ein bisschen nach Aufbruch oder Vision aussieht. Auf jeden Fall muss sie in den Verhandlungen, aber auch wenn die Regierung steht, als sichtbares Machtzentrum agieren. Sonst bleibt Jamaika nichts als ein Experiment.