Berlin. Nach der ersten Verhandlungsrunde ist klar, wie weit der Weg zur Vier-Parteien-Koalition in Deutschland ist. Doch Merkel macht Mut.

Wenn das Wetter ein Indiz dafür ist, wie es um eine mögliche Jamaika-Koalition steht, dann sieht es nicht gut aus. In dem Moment, als am Freitag die wichtigsten Unterhändler auf dem Platz vor dem Reichstag erschienen, zogen Wolken auf. Die Sonne verschwand, es wurde spürbar kühler.

Gleichzeitig sagte Alexander Dobrindt, der Chef der CSU-Abgeordneten, in Mikrofone und Kameras: „Romantische Gefühle für Jamaika reichen nicht aus, um eine Regierung zu bilden.“ Die Grünen müssten sich endlich bewegen, „um einer bürgerlichen Koalition aus Union und FDP beizutreten“. Es sei fahrlässig, jetzt schon eine Prognose für den Ausgang der Gespräche abzugeben. Und als ob die Sätze von Dobrindt, der einer der wichtigsten Unterhändler und einer der größten Jamaika-Skeptiker ist, nicht Prognose genug wären, sagt er noch: „Es gibt riesengroße Differenzen.“

Vier-Parteien-Koalition gab es in Deutschland noch nie

Zwei Wochen lang haben CDU, CSU, FDP und Grüne verhandelt. Sie haben nach Gemeinsamkeiten gesucht, um eine bisher noch nie da gewesene Vier-Parteien-Koalition für eine neue Bundesregierung zu bilden. Offiziell waren es „Sondierungsverhandlungen“, aber tatsächlich stiegen die Verhandler schon tief in die Details ein. So tief, als wären es Koalitionsverhandlungen, und so tief, dass sie sich in vielen Themen ordentlich verhaken konnten.

Grünen-Unterhändler Jürgen Trittin zog ein nicht weniger ernüchterndes Ergebnis als Dobrindt: Zehn Tage habe man zusammen gesessen und zwölf Themen besprochen. „Das Ergebnis sind acht Papiere mit langen Listen von offenen Fragen“, sagte Trittin im ARD-„Morgenmagazin“. „Und in vier Bereichen hat man es nicht mal geschafft, sich darauf zu verständigen, worüber man sich nicht einig ist.“ FDP-Chef Christian Lindner betonte, es sei bisher nicht darum gegangen, Lösungen zu finden. Die eigentlichen Verhandlungen würden jetzt erst beginnen.

Merkel verbreitete gute Stimmung

Die einzige, die gute Stimmung zu verbreiten suchte, war die Bundeskanzlerin und CDU-Chefin. Angela Merkel äußerte sich am Freitag das erste Mal überhaupt. Bisher hatte sie die Kameras vor dem Verhandlungsort, der Parlamentarischen Gesellschaft, stets ignoriert. Die Gespräche seien nicht einfach, sagte sie nun. „Aber ich glaube nach wie vor, dass wir die Enden zusammenbinden können, wenn wir uns mühen und anstrengen.“

Es klang ein bisschen nach einer Lehrerin, die ihre Schüler ermahnt. Das mit dem Zusammenbinden solle so geschehen, „dass jeder Partner seine Identität zur Geltung bringen kann“. Aus Merkels Sicht sind die wichtigsten Themen Arbeit und Beschäftigung, soziale und innere Sicherheit, die Integration von Migranten und die Erfüllung internationaler Verantwortung. Für die CDU seien außerdem Familie und Bildung besonders wichtig.

Was auffällt: Keines dieser von Merkel genannten Themen ist ernsthaft umstritten. Aus den wirklichen Konflikten der Jamaika-Parteien hält Merkel sich komplett heraus – ganz so, als habe sie nichts damit zu tun. Den Streit über die wichtigsten Themen sollen andere führen. In vier Bereichen müssen die vier Parteien vor allem zusammenkommen:

Steuern und Finanzen

Unumstritten ist, dass der neue Bundesfinanzminister weiterhin keine neuen Schulden machen soll. Der Bundeshaushalt soll ausgeglichen sein. So steht es in dem von den Jamaika-Parteien erarbeiteten Papier. Bisher hieß das Schlagwort dafür „schwarze Null“, aber die Grünen wollen daran nur festhalten, wenn genug Geld da ist. Sie wollen deshalb auch den Solidaritätszuschlag nicht auf einen Schlag streichen. Der Bundeshaushalt könne nicht jedes Jahr auf 18 Milliarden Euro Einnahmen verzichten. Der Abbau des Soli aber ist die Hauptforderung der FDP. Davon würden vor allem Gutverdiener profitieren, weil sie den Soli vor allem finanzieren. Die Union will mittlere Einkommen steuerlich entlasten, die Grünen aber auch untere Einkommen. Alle Parteien wollen Familien finanziell entlasten. Zusätzlich müssen noch andere Wahlversprechen finanziert werden. Die Steuerschätzung in einer Woche wird zeigen, wie viel Geld Jamaika wirklich verteilen kann.

Migration und Flüchtlinge

Bei diesem Thema waren sich lange Zeit noch nicht einmal CDU und CSU einig. Inzwischen hat sich die Union auf einen Formelkompromiss geeinigt, wonach aus humanitären Gründen pro Jahr nicht mehr als 200.000 Personen nach Deutschland kommen sollen. Davon will die CSU in den Verhandlungen mit FDP und Grünen überhaupt nicht mehr abweichen. Die Grünen aber pochen darauf, dass Flüchtlinge mit einem eingeschränkten Schutzstatus ab 2018 wieder ihre engsten Familienangehörigen nach Deutschland holen können. Nur so könne Integration gelingen.

Die CSU lehnt dies ab, weil sonst „Hunderttausende“ neue Migranten kämen. Streit gibt es auch, wie ein Einwanderungsgesetz aussehen soll. Die FDP fordert ein Punktesystem, um den Zuzug von Arbeitskräften zu steuern. Auch Asylsuchende und Kriegsflüchtlinge sollen über diesen Weg nach Deutschland kommen können, wenn sie gesuchte Qualifikationen mit bringen. Das Thema ist so brisant und die verwendeten Zahlen und Daten sind so verschieden, dass nur noch die Parteivorsitzenden sich damit befassen.

Klimaschutz

Als „Klimakanzlerin“ hat Merkel einst auf internationalem Parkett vereinbart, dass Deutschland den Ausstoß des Treibhausgases CO2 gegenüber dem Jahr 1990 um 40 Prozent reduziert. Inzwischen ist klar, dass das nicht klappen wird. 30 Prozent erscheinen realistisch. Damit das Ziel trotzdem erreicht wird, wollen die Grünen nun die zwanzig schmutzigsten Kohlekraftwerke vom Netz nehmen.

Union und FDP lehnen das ab, sie bezweifeln, dass die Stromversorgung dann sicher ist. Die Liberalen wollen sich nur an die schwächeren internationalen Klimaziele halten. Merkel selbst glaubt, dass das deutsche Ziel noch erreichbar ist, will aber lieber noch mehr Gebäude klimafreundlich sanieren. Unter das Kapitel Klima fällt auch die Frage, wie lange noch Autos mit Verbrennungsmotor zugelassen werden sollen, und wie der Verkehr insgesamt sauberer werden soll.

Bildung

Grundsätzlich ist das Thema nicht umstritten. Alle Parteien wollen mehr für Bildung tun. Vereinbart haben die Jamaika-Parteien bereits, dass im Jahr 2025 mehr als zehn Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung (BIP) für Bildung aufgewendet werden soll. Der Teufel steckt bei dem Thema aber im Detail.

Es geht vor allem darum, wie sehr der Bund bei Bildungsthemen mitreden darf, denn eigentlich ist das Sache der Bundesländer. Im Grundgesetz steht deshalb ausdrücklich ein so genanntes „Kooperationsverbot“. Der Union ist das wichtig. Im Forschungsbereich ist es aber bereits gelockert. Die FDP will dagegen eine „gesamtstaatliche Offensive“. Die Grünen wollen unter dem Bildungs-Kapitel auch über die Ausbildung in Berufen sprechen, die wichtiger werden, etwa bei Kranken- und Altenpflegern.

Wie geht es weiter?

Am Montagabend wollen sich die Parteichefs erneut in kleiner Fünfer-Runde treffen, um den Fahrplan für die nächsten Wochen zu erstellen. Sicher ist, dass in kleineren Gruppen und nur noch über die wichtigsten Themen gesprochen werden soll. In allen Parteien ist die Erkenntnis gewachsen, dass die Runden mit 30 oder sogar 50 Teilnehmern zu groß sind. Abgeschlossen sind die Sondierungen, wenn alle Parteien über den Beginn von formalen Koalitionsverhandlungen entscheiden.

Bei CDU, CSU und FDP wird das in der Parteispitze in relativ kleinem Kreis geschehen. Geplant ist dies rund um den 16./17. November. Die Grünen wollen sich von einem Parteitag am 25. November das OK für Koalitionsverhandlungen besorgen. Die CSU hat am 15./16. Dezember einen Parteitag, auf dem der gesamte Parteivorstand neu gewählt wird. Sollte das alles klappen, dann könnte die neue Regierung doch noch vor Weihnachten stehen. Klappt es nicht, muss Merkel entweder die SPD von einer großen Koalition überzeugen, oder der Bundestag muss neu gewählt werden.