Washington/Berlin. Wolfgang Schäuble nahm ein letztes Mal an den Treffen von IWF, Weltbank und den G20-Kollegen teil. Am Ende ist er mit sich im Reinen.
Im Kreis der Weltkonjunkturprognostiker, die sich zweimal im Jahr beim Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank in Washington treffen, war Wolfgang Schäuble nicht immer so milde und ausgeglichen wie am Freitag.
Beim rituellen Pressefrühstück im Keller des Ritz-Carlton-Hotels hielt sich der scheidende Finanzminister mit schneidenden Kommentaren und der für ihn typischen Breisgauer Süffisanz zurück. Die gemeinsam mit Bundesbankpräsident Jens Weidmann zelebrierte Abschiedsvorstellung, die beiden waren zum 24. Mal gemeinsam in der US-Hauptstadt, sollte versöhnlich geraten.
Wolfgang Schäuble fühlt sich nachträglich bestätigt
Der 75 Jahre alte CDU-Politiker, rote Krawatte, blinkende Anstecknadel, wacher, ausgeruhter Blick, ließ die Zeiten ruhen, als er ob seiner „wachstumsfreundlichen Defizitreduzierung“ von Leuten wie US-Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman beschuldigt wurde, Europa in den Abgrund zu sparen. Er ist mit sich im Reinen.
Schäuble fühlt sich nachträglich in seiner von Unbeirrbarkeit begleiteten Haltung bestätigt, weil in Zeiten ordentlicher Weltkonjunktur auch im Kreis des Währungsfonds „dem Schuldenabbau eine größere Bedeutung“ beigemessen wird.
IWF-Chefin Lagarde nennt Schäuble einen Giganten
Kritik am „großen Elefanten“ im Raum der Weltpolitik (Vorname: Donald) speiste Schäuble nur in homöopathischen Dosen ein. Die Welt brauche für Frieden und Stabilität „multilaterale“ Ansätze, sagte er, sprich: das Gegenteil von nationalen, gar protektionistischen Alleingängen.
Dass es in Deutschland zu letzteren auch nach seinem Ausscheiden als Kassenwart der stärksten europäischen Volkswirtschaft nicht kommen wird, hat Schäuble seinen Kolleginnen und Kollegen in Washington fest versichert.
„Die neue Bundesregierung wird stabil pro-europäisch sein“ und den Kurs der sozialen Marktwirtschaft beibehalten. Wohl auch darum ehrte ihn IWF-Chefin Christine Lagarde mit einem Satz, der Schäuble noch länger freuen wird: „Er ist ein Felsen gewesen, ein Gigant.“
Wolfgang Schäubles neue Rolle bedeutet mehr Passivität
Schäubles Beamte im Finanzministerium wissen nicht, ob man diesen vorerst letzten Besuch in Washington nun wirklich einen Abschied nennen soll. So richtig vorstellen können sie sich das noch nicht. In gut einer Woche soll Schäuble zum Bundestagspräsidenten gewählt werden. Es ist eine völlig neue Rolle für ihn: Weniger mitmischen und mehr zuschauen – oder besser: zuhören.
Die Bundestagspräsidenten seit 1949
Schäuble selbst vermied bisher allzu große Abschiedsgefühle. Lange Reisen und erst recht Interkontinentalflüge mit Zeitverschiebung sind für den 75-Jährigen kein Vergnügen. Er selbst aber versucht in diesen Tagen den Eindruck zu erwecken, als habe er schon vor der Wahl entschieden, den Job nach acht Jahren nicht noch einmal machen zu wollen. Gesagt hat er in den vergangenen Wochen freilich stets das Gegenteil.
Fast jede Phase der Eurokrise miterlebt
Zu Beginn der Woche hatte Schäuble sich schon von den Euro-Finanzministern verabschiedet. Mit ihnen hatte er fast jede Phase der Eurokrise erlebt, bis hin zum Beinahe-Rauswurf Griechenlands vor zwei Jahren.
Unter den Anwesenden in Washington ist auch der russische Finanzminister Anton Siluanow, mit dem Schäuble über die Jahre eine gemeinsame Gesprächsbasis gefunden hat. Die beiden haben sich in den vergangenen Jahren fast bei jedem Besuch getroffen. Man darf annehmen, dass es dabei nicht immer um Finanzpolitik ging.
Schäuble war auf Reisen auch immer Außenpolitiker
Mit dem neuen US-amerikanischen Finanzminister Steven Mnuchin versuchte Schäuble zuletzt, die wirtschaftspolitischen Spannungen mit den USA zu entschärfen. Tatsächlich verstand sich Schäuble auf seinen Reisen nach Washington immer auch als Außenpolitiker. Er saß nicht nur in den großen Runden, in denen vorbereitete Reden vorgetragen werden. Er nutzte die Gelegenheit, mit möglichst vielen seiner Kollegen direkt zu sprechen.
Dafür war im zweiten Stock des Gebäudes des IWF stets ein Raum für ihn reserviert – ein Privileg, das nicht jeder seiner Kollegen genoss. Schäuble war auch einer der wenigen Finanzminister, die mit dem Regierungsflugzeug einschwebten und mit großer Wagenkolonne vorfuhren.
Im Fall der Panama Papers reagierte Schäuble prompt
Mit Vorträgen vor Finanzmanagern oder Außenpolitikexperten verstand er es, sich bei seinen USA-Reisen als Elder Statesman in Szene zu setzen. Aus deutscher Sicht sagte er dabei nicht viel Neues, aber die Amerikaner ließen sich von ihm gern die Eigenheiten der EU und der Eurozone erklären.
So wenig ambitioniert wie Schäubles Finanzpolitik in Deutschland war, so sehr gelang es ihm, auf internationaler Ebene Akzente zu setzen. Als vor eineinhalb Jahren Dokumente über steuersparende Briefkastenfirmen auftauchten, die sogenannten Panama-Papiere, reagierte Schäuble prompt: Unter deutscher Führung stellten noch vor Beginn der IWF-Tagung fünf europäische Staaten eine Initiative vor, die Licht ins Dunkel der Schattenfirmen bringen sollte. Nach der Tagung schloss sich die Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrienationen an.
Initiativen in Rekordzeit
Auch an einer anderen Initiative, mit der Steueroasen ausgetrocknet werden sollen, war Schäuble maßgeblich beteiligt. Sie kam in der für internationale Abkommen rekordverdächtigen Zeit von drei Jahren zustande.
Seit wenigen Tagen tauschen rund 100 Länder umfassend und automatisch Daten über Bankkonten aus, um Steuerbetrügern das Leben schwer zu machen. Auch die beim jüngsten G20-Gipfel in Hamburg beschlossene Initiative für mehr private Investitionen in afrikanischen Ländern wurde in Schäubles Finanzministerium erdacht.
Anstrengende Begegnungen mit Yanis Varoufakis
Einer der anstrengendsten Kollegen, denen Schäuble auf dem internationalen Parkett je begegnet ist, war der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis. Während der Euro-Krise sagte der Grieche einmal, mit der Euro-Zone verhalte es sich wie mit dem von den Eagles besungenen „Hotel California“: „You can check out any time you like, but you can never leave“ – du kannst immer auschecken, aber du kannst nie wirklich gehen.
Im Fall Griechenlands sahen Schäuble und seine Beamten das anders. Nun müssen sie sich daran gewöhnen, dass der Minister zumindest den Zimmerschlüssel für das Büro an der Wilhelmstraße zurückgeben wird.