Berlin. Die CSU hat es in den anstehenden Koalitionsverhandlungen besonders schwer. Sie wird ihren Chef Horst Seehofer an seinen Taten messen.

Die CSU definiert sich über Bayern und mehr als jede andere Partei über den Erfolg. Nennen wir es das Bayern-München-Gen. Bleibt der Erfolg aus oder ist er gefährdet – wird sie garstig, rasend und springt mit ihren Führungsleuten gnadenlos um. So erging es Edmund Stoiber, Günther Beckstein, Erwin Huber.

Deswegen ist auch Horst Seehofer mehr gefährdet als andere Verlierer, die es bei der Bundestagswahl härter (Angela Merkel) oder empfindlicher (Martin Schulz) getroffen hat, zumal weitere Faktoren für einen Wechsel sprechen: sein Alter (68), Anlass (Bayern-Wahl 2018) und Alternativen (Markus Söder). Was der CSU-Chef gerade tut oder sagt, muss man vor dem Hintergrund dieses Existenzkampfs sehen.

Seehofer ist gewarnt

„Ich glaube, wir brauchen einen anderen Spitzenkandidaten für die Landtagswahl“, hat der Münchner Abgeordnete Alexander König gesagt. Den Namen kann man vergessen. Wichtig ist nicht, wer es gesagt hat. Wichtig ist, dass es ausgesprochen wurde und eine Stimmung trifft. Seehofer ist gewarnt.

Dass die Schwesterparteien in Berlin erst einmal eine Linie finden wollen, bevor sie bei Grünen und FDP die Chancen für eine Jamaika-Koalition sondieren, ist der normale Lauf der Dinge. Er ist diesmal freilich wichtiger denn je, weil die CSU in den Gesprächen mit CDU, Grünen und FDP eine 1:3-Situation vermeiden muss. In der Flüchtlings- und Innenpolitik ist es exakt die tatsächliche Frontenstellung.

CSU-Mitglieder wollen Seehofer an seinen Taten messen

Bis zur Niedersachsen-Wahl wird sich die CSU zurückhalten. Aber danach müssen die Differenzen in aller Härte ausgetragen werden. Söder etwa kann sich einen Koalitionsvertrag ohne eine Obergrenze für Flüchtlinge „nicht vorstellen“. So reden viele in der CSU. Sie legen die Messlatte hoch – sie wollen Seehofer an seinen Taten messen.

In Bildern: Sieger und Verlierer der Bundestagswahl

Die Alternative für Deutschland (AfD) ist eine der Gewinnerinnen der Bundestagswahl. Spitzenkandidat Alexander Gauland ist dementsprechend gut gelaunt.
Die Alternative für Deutschland (AfD) ist eine der Gewinnerinnen der Bundestagswahl. Spitzenkandidat Alexander Gauland ist dementsprechend gut gelaunt. © REUTERS | WOLFGANG RATTAY
Auch Beatrix von Storch, stellvertende Parteisprecherin der AfD, strahlt. Die Partei zieht erstmals in den Bundestag ein - und dann gleich als drittstärkste Kraft.
Auch Beatrix von Storch, stellvertende Parteisprecherin der AfD, strahlt. Die Partei zieht erstmals in den Bundestag ein - und dann gleich als drittstärkste Kraft. © dpa | Bernd Von Jutrczenka
Ausgelassene Stimmung auf der Wahlparty der AfD.
Ausgelassene Stimmung auf der Wahlparty der AfD. © dpa | Bernd Von Jutrczenka
Auf der Wahlparty der SPD sorgt die erste Prognose dagegen für lange Gesichter. Die Partei stürzt auf ein Rekordtief.
Auf der Wahlparty der SPD sorgt die erste Prognose dagegen für lange Gesichter. Die Partei stürzt auf ein Rekordtief. © dpa | Christian Charisius
Auch diese Gäste der Wahlparty der SPD reagieren enttäuscht und müssen erst einmal durchatmen.
Auch diese Gäste der Wahlparty der SPD reagieren enttäuscht und müssen erst einmal durchatmen. © dpa | Wolfgang Kumm
„Keine GROKO mehr“: Nicht nur dieser SPD-Anhänger sondern auch das Spitzenpersonal der Partei erklärt die Große Koalition aus Union und SPD für beendet.
„Keine GROKO mehr“: Nicht nur dieser SPD-Anhänger sondern auch das Spitzenpersonal der Partei erklärt die Große Koalition aus Union und SPD für beendet. © dpa | Christian Charisius
SPD-Spitzenkandidat Martin sprach vor den Anhängern von einem bitteren Tag für die Sozialdemokratie.
SPD-Spitzenkandidat Martin sprach vor den Anhängern von einem bitteren Tag für die Sozialdemokratie. © REUTERS | MICHAEL DALDER
Anhänger der Union jubeln. Aber ganz zufrieden können die Christdemokraten nicht sein. Sie werden zwar die größte Fraktion stellen, haben aber dramatisch an Wählerstimmen verloren.
Anhänger der Union jubeln. Aber ganz zufrieden können die Christdemokraten nicht sein. Sie werden zwar die größte Fraktion stellen, haben aber dramatisch an Wählerstimmen verloren. © REUTERS | KAI PFAFFENBACH
Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte in ihrer ersten Reaktion: „Wir haben einen Auftrag, eine Regierung zu bilden. Und gegen uns kann keine Regierung gebildet werden.“
Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte in ihrer ersten Reaktion: „Wir haben einen Auftrag, eine Regierung zu bilden. Und gegen uns kann keine Regierung gebildet werden.“ © REUTERS | KAI PFAFFENBACH
Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer erlebte ein Desater. Die Partei fuhr das vorraussichtlich schlechteste Bundestagswahlergebnis seit 1949 ein.
Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer erlebte ein Desater. Die Partei fuhr das vorraussichtlich schlechteste Bundestagswahlergebnis seit 1949 ein. © REUTERS | Michaela Rehle
Katja Kipping, Bundesvorsitzende der Partei Die Linke, freut sich mit Parteianhängern.
Katja Kipping, Bundesvorsitzende der Partei Die Linke, freut sich mit Parteianhängern. © dpa | Britta Pedersen
Auch die Gäste der Wahlparty von Bündnis 90/Die Grünen sind mit dem Abschneiden ihrer Partei zufrieden.
Auch die Gäste der Wahlparty von Bündnis 90/Die Grünen sind mit dem Abschneiden ihrer Partei zufrieden. © dpa | Soeren Stache
Die Spitzenkandidaten der Partei, Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt, sind sichtlich erleichtert.
Die Spitzenkandidaten der Partei, Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt, sind sichtlich erleichtert. © dpa | Ralf Hirschberger
Die Anhänger der FDP freuen sich darüber, dass der Partei nach vier Jahren die Rückkehr in den Bundestag gelingt.
Die Anhänger der FDP freuen sich darüber, dass der Partei nach vier Jahren die Rückkehr in den Bundestag gelingt. © REUTERS | RALPH ORLOWSKI
Christian Lindner, Bundesvorsitzender und Spitzenkandidat der FDP, wird im Hans-Dietrich-Genscher-Haus in Berlin frenetisch bejubelt.
Christian Lindner, Bundesvorsitzender und Spitzenkandidat der FDP, wird im Hans-Dietrich-Genscher-Haus in Berlin frenetisch bejubelt. © dpa | Federico Gambarini
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Wenn der CSU-Chef nicht liefern kann, wird es auf dem Parteitag Mitte November für ihn eng. Andersherum: Sein Schicksal liegt in Angela Merkels Hand. Die Kanzlerin kann Seehofer zu einem Kompromiss verhelfen oder warten und mit seinem Nachfolger abschließen. Rachegelüste sind Merkel nicht fremd. Zur Obergrenze sagte sie in der Schlussphase des Wahlkampfs: „Ich möchte sie nicht. Ich halte sie auch nicht für praktikabel. Garantiert.“ Köstlich.

Glaubwürdigkeit ist Seehofers wunder Punkt

Seehofer hatte eine Garantie dafür gegeben, dass die Begrenzung kommt. Nun kann sich jeder ausmalen, dass nur eine der Garantien eingelöst werden kann. Die Glaubwürdigkeit ist Seehofers wunder Punkt, nicht zufällig lautet sein Spitzname „Drehhofer“.

Eine Analyse dieser Tage lautet, Seehofer sei mit seinem Rechts-Kurs gescheitert und habe den Siegeszug der AfD nicht aufhalten können. In Wahrheit steht der Beweis dafür noch aus, weil Seehofer diese Linie nicht durchgehalten hat. Ab Februar 2017 drehte er bei, nachdem er Merkel zuvor monatelang bekämpft, ihrem Kabinett eine Klage angedroht, die Kanzlerin einer Herrschaft des Unrechts bezichtigt hatte.

Seehofer befeuerte Merkel-muss-weg-Stimmung

Ab Herbst 2015 und fast im gesamten Jahr 2016 hatte Seehofer die Merkel-muss-weg-Stimmung befeuert oder zumindest nicht erstickt. Dann kam der 24. September und viele Menschen wählten mit der AfD die Partei, bei der sie sicher sein konnten, dass sie wirklich gegen Merkel vorgehen wird.

Seehofer hat mit der Obergrenze eine Formel kreiert, die keineswegs trivial ist. Es geht darum, dass der Staat definiert, wie viele Flüchtlinge er aufnehmen kann; dass es dafür objektive Kriterien geben muss und darüber vor allem nicht „par ordre de mufti“ entschieden werden darf.

Für einen Kompromiss mit Merkel bedarf es viel Fantasie. Aber wenn Seehofer einen Erfolg erzielt, schlägt die Stimmung ins andere Extrem um. Heute „Hosianna!“, morgen „Kreuzigt ihn!“ und übermorgen „Hosianna!“: Die CSU ist halt so.