Berlin. Zur Bundestagswahl suchen Parteien mit verschiedenen Strategien den Erfolg. Das größte Risiko geht dabei die SPD ein. Eine Übersicht.

Seit Wochen fährt SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz einen scharfen Angriff nach dem anderen gegen die Kanzlerin. Mal wirft er Angela Merkel einen „Anschlag auf die Demokratie“ vor, dann nennt er ihre Europapolitik einen „Skandal“, zuletzt bezeichnete Schulz Merkels angebliches Abwarten in der italienischen Flüchtlingskrise als „zynisch“.

Und die Kanzlerin? Lässt die Attacken ruhig an sich abtropfen, reagiert mit einem freundlichen „Schwamm drüber“ – und fährt gelassen erst mal in den Wanderurlaub nach Südtirol. Sieht aus wie mittelmäßiges Sommertheater, doch dahinter stecken durchdachte Wahlkampf-Strategien von Merkel und Schulz. Wie sehen sie aus, welches Risiko gehen sie damit ein? Und wie haben sich die anderen Parteien strategisch gewappnet? Eine Übersicht:

CDU und CSU

Das Ziel ist klar: CDU und CSU wollen wieder stärkste Kraft im Bundestag werden, gegen die keine Regierung gebildet werden kann – Merkel soll so auf jeden Fall Kanzlerin bleiben. Sie ist für die Union zugleich der große Trumpf in diesem Wahlkampf. Inhaltlich setzen CDU und CSU auf Themen wie Sicherheit, Wirtschaft, Familie, doch wird Merkel mit ihrem internationalen Renommee und einer unaufgeregten, ruhigen, sehr persönlichen Kampagne die Hauptrolle spielen – mehr als 50 Wahlkampfauftritte eingeschlossen.

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    Dem hat sich rechtzeitig auch die Schwesterpartei CSU untergeordnet, Konflikte etwa in der Flüchtlingspolitik sind heruntergedimmt. Emotion statt inhaltlicher Präzision: Wie schon bei früheren Wahlen meidet Merkel nach Möglichkeit inhaltliche Kontroversen, um auf diese Weise Anhänger des Gegners zu besänftigen. Oder „einzulullen“, wie Kritiker sagen. Scharfe Angriffe gegen die SPD sind nicht gewünscht, stattdessen wollen die Kampagnenplaner an jene Wähler von SPD oder Grünen heran, die mit Merkels Flüchtlingspolitik sympathisieren; AfD-Wähler seien ohnehin nicht zurückzuholen, heißt es. Laut Umfragen geht die Strategie bisher auf. Als Risiko bleibt eine erneute Zuspitzung etwa der Flüchtlingskrise, die viele Wähler aufwühlen würde.

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    SPD

    Kanzlerkandidat Schulz bleibt eisern beim Anspruch, mit einem SPD -Ergebnis von „30 Prozent plus x“ die nächste Regierung anzuführen. Seine Strategie hat er dafür aber inzwischen geändert: Inhaltlich setzten er und die SPD anfangs vor allem auf das Thema Gerechtigkeit, inzwischen stehen auch die wirtschaftliche Modernisierung und mehr Investitionen im Vordergrund – und im Verein mit Außenminister Sigmar Gabriel zeigt Schulz klare Kante in der Außen- und Europapolitik. Ziel ist eine scharfe Abgrenzung von Merkel, der Schulz Planlosigkeit vorwirft.

    Dass das umfangreiche Wahlprogramm mit detaillierten Plänen zu Steuern und Renten bei den Bürgern bisher nicht verfängt, liegt nach seiner Diagnose an der Kanzlerin – weil sie jede Debatte über Zukunftsfragen verweigere. Deshalb schaltet Schulz jetzt auf gezielte Attacke gegen Merkel, um durch Zuspitzungen solche Themen auf die Tagesordnung zu setzen, die bei Unionsanhängern umstritten sind – wie jetzt mit seinen Warnungen vor einer neuen Flüchtlingskrise. Zugleich sollen die Angriffe jetzt wenigstens die eigenen Stammwähler mobilisieren.

    Zusätzliche Anhänger hofft die SPD dann im heißen Wahlkampf zu gewinnen. Schulz glaubt, dass Merkel im September dem innenpolitischen Streit nicht aus dem Weg gehen kann und er dann doch noch mit seinem Programm punktet. Das Risiko: Wenn Schulz bei seinen Attacken überzieht, wirkt er nur verzweifelt – und verprellt Sympathisanten.

    Die Linke

    Die Linke will ihr Ziel, zweistellig und wieder drittstärkste Partei im Bundestag zu werden, mit einem Imagewandel erreichen: Weg von der Protestpartei, hin zur sogenannten Zukunftspartei. Auch klassische Kernthemen wie der Kampf gegen Armut oder Kriegseinsätze, für einen starken Sozialstaat oder eine Vermögensumverteilung werden jetzt positiv und optimistisch („Lust auf Linke“) vermittelt.

    In Wahlkampfdebatten arbeiten sich die Spitzenkandidaten Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch vor allem an der SPD und Kanzlerkandidat Schulz ab, denn beide Parteien kämpfen teilweise, vor allem in Ostdeutschland, um die gleichen Wähler. Das Risiko: Protestwähler verliert die Linke an die AfD.

    Die Grünen

    Auch die Grünen zielen auf Platz drei nach Union und SPD. Dabei soll die Rückbesinnung auf klassische Kernthemen bei gleichzeitiger Offenheit für alle Koalitionsoptionen den Umschwung einleiten, nachdem die Grünen in Umfragen zuletzt schwächelten. Zentrale Themen sind Klimaschutz, Energiewende, ökologische Landwirtschaft.

    „Umwelt ist nicht alles. Aber ohne Umwelt ist alles nichts“ ist ein Leitspruch der Kampagne, die stark auch auf digitale Instrumente setzt. Die beiden Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir können mit diesen Themen jetzt zwar die grüne Stammwählerschaft bei der Stange halten. Das Risiko ihrer Strategie ist aber, dass die Grünen bei zentralen Wahlkampfdebatten ins Hintertreffen geraten.

    FDP

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      Die Liberalen setzen vor allem auf ihren Spitzenkandidaten Christian Lindner, der die FDP nach vier Jahren wieder in den Bundestag bringen soll. Dazu wird Lindner in einer unkonventionellen Kampagne wie ein Popstar inszeniert, Plakate in Schwarz-Weiß inklusive. Ungewöhnliche Ästhetik, lange Texte – der Regelbruch soll der Abgrenzung dienen. Ganz ohne Risiko ist das nicht. Aber inhaltlich positioniert sich die FDP dann doch eher als seriöse Partei der Mitte.

      Themen wie Digitalisierung oder Bildung stehen im Vordergrund, frühere Pläne für Steuersenkungen spielen eine kleinere Rolle. Lindner will mit Forderungen wie dem geordneten Austritt für Euro-Mitgliedstaaten auch die Bürger einsammeln, die von Merkel enttäuscht sind, aber nicht die AfD wählen wollen.

      AfD

      Die AfD zeigt sich vor der Wahl strategisch unentschlossen. Vor einigen Monaten noch wollte die Parteispitze mit „sorgfältig geplanten Provokationen“ Medienaufmerksamkeit
      erringen, um so Euro-Gegner, Nicht- und Protestwähler ebenso wie wertkonservative Bürgerliche zu gewinnen – und drittstärkste Partei im Bundestag zu werden. Aber das große Wahlkampfthema hat die AfD nicht gefunden.

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        Selbst die Spitzenkandidaten vermissen jetzt zentrale Kernbotschaften. Über die Wahlkampagne gibt es Streit, einige Landesverbände gehen eigene Wege – während Parteichefin Frauke Petry auf Plakaten mit ihrem Baby wirbt, was die AfD und sie selbst netter und menschlicher erscheinen lassen soll. Das Profil der AfD wird damit wohl noch diffuser.