Berlin. Die Entlassung von vier Soldaten war korrekt. Politischer Vorwurf bleibt: Hat die Verteidigungsministerin von der Leyen überreagiert?

Seit Januar sorgte sie für negative Schlagzeilen. Jetzt könnte die Staufer-Kaserne endlich zur Ruhe kommen. Überraschend wies das Verwaltungsgericht noch am Mittwochabend in Sigmaringen die Klage von vier vorzeitig entlassenen Soldaten zurück. Ursprünglich war der Richterspruch erst für Donnerstag erwartet worden, aber dann traf das Gericht gleich nach der gestrigen Verhandlung unmittelbar eine Entscheidung.

Die Bundeswehr fühlt sich bestätigt. Nicht juristisch, aber politisch bleibt gleichwohl die Frage im Raum, ob Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) auf den Verdacht der sexuellen Nötigung, unsinniger Ausbildungspraktiken und entwürdigender Aufnahmerituale in der Kaserne im baden-württembergischen Pfullendorf überreagiert hat. Die wichtigsten Fragen im Überblick.

Worum ging es vor Gericht?

In Pfullendorf werden Kampfsanitäter ausgebildet. Zum Aufnahmeritual gehörte dort zumindest 2016, dass Re­kruten aus ihren Stuben geholt, gefesselt und stundenlang mit Wasserschläuchen abgespritzt wurden. Diese Praktiken wurden sogar gefilmt. Vor Gericht in Sigmaringen ging es deshalb weniger um die Beweislage an sich, sondern darum, ob die Entlassung von je zwei Zeitsoldaten und Wehrdienstleistenden (drei sind 19, einer 21 Jahre alt) verhältnismäßig war. „Ihr Verbleib im Dienst würde zu einer Gefährdung der militärischen Ordnung führen“, sagte der Richter. Durch Aufnahmerituale könnten eingeschworene Zirkel in der Truppe entstehen, die die Einsatzbereitschaft schwächten. Außerdem sei die Gefahr der Nachahmung groß. „Es muss dem Dienstherren freistehen, einer solchen Disziplinlosigkeit entgegenzuwirken.“

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    Welche sonstigen Vorwürfe stehen im Raum?

    Für die Sanitätsausbildung wurden Rekruten zu medizinisch unsinnigen Übungen genötigt, etwa zum Einführen von Tamponade in den After, während dabei fotografiert wurde. Die anstößigen Bilder gehören jetzt nicht mehr zum Lehrmaterial. Weiterhin sollen Soldatinnen sexuell belästigt und unter anderem gezwungen worden sein, an einer Stange zu tanzen. Unbestritten ist, dass an einer Stange in einem Aufenthaltsraum der Kaserne Slips zur Schau gestellt wurden.

    Wie reagierte die Staatsanwaltschaft?

    Man muss die zwei Vorwürfe trennen. Die Staatsanwaltschaft Hechingen hat im Mai – vier Monate nach Bekanntwerden des Skandals – erste Ermittlungen eingestellt: Der Vorwurf sexuell-sadistischer Praktiken ließ sich nicht erhärten. Es gebe keine Hinweise auf Straftaten. Aber wegen der Aufnahmerituale halten die Ermittlungen der Strafverfolger an. Die Staatsanwaltschaft kann noch immer wegen Freiheitsberaubung, Nötigung und Körperverletzung Anklage erheben.

    Worauf kam es von der Leyen an?

    Von der Leyen hat die Vorgänge umgehend als „abstoßend und widerwärtig“ bezeichnet und hart durchgegriffen. Neben Disziplinarverfahren und Versetzungen wurden Soldaten fristlos entlassen. Was für die Staatsanwaltschaft noch kein strafbares Verhalten ist, kann gleichwohl zu Disziplinarmaßnahmen führen. Im März wurde Oberst Thomas Schmidt von seinem Kommandoposten in der Staufer-Kaserne abgelöst. Auch der Heereschefausbilder Walter Spindler musste seinen Posten räumen. Für die Ministerin stand die Führungskultur auf dem Spiel, wenn Soldaten erniedrigt werden – und Vorgesetzte nicht einschreiten.

    Wie reagierten die Gescholtenen?

    Schmidt sieht sich als „Bauernopfer“. Spindler beklagte am Mittwoch in den „Stuttgarter Nachrichten“, dass das Ministerium Soldaten und Standorte wie Pfullendorf „pauschal, beständig und in einem verantwortungslosen Maße“ beschädigt hätte.

    Und wie geht es nun weiter?

    Die vier Soldaten können in Berufung gehen. Innerhalb der Bundeswehr wird weiter darüber diskutiert werden, ob von der Leyen zu rigoros reagiert und sich auf Kosten der Soldaten profiliert hat. Spindler lässt nicht locker. Schon im April hatte er von einer „stil- und würdelosen Art“ gesprochen, die Misstrauen schüre und die Bundeswehr in eine Vertrauenskrise stürze. Christian Trull, ehemaliger Generalmajor, warf der Ministerin in der „Stuttgarter Zeitung“ eine „Neigung zu Pauschalierungen, Übertreibungen und Alarmismus“ vor. Wie soll bei der „Begleitmusik“ ein Neuanfang in der Staufer-Kaserne gelingen? Möglicherweise wird die Verteidigungsministerin den Standort schon bald besuchen. Offiziell bestätigt werden die Besuchspläne zwar nicht. Fakt ist aber, dass von der Leyen am 12. und 13. September ohnehin in der Region unterwegs ist, am 12. September als CDU-Wahlkämpferin. Anderntags könnte sie sich ein Bild von der Stimmung in der Kaserne machen.