Berlin. Das Umweltbundesamt hat Strände und den Meeresboden in Deutschland untersucht – mit besorgniserregenden Ergebnissen für die Natur.
Die meisten Deutschen halten laut einer Umfrage den Plastikmüll in den Weltmeeren für die größte Umweltbedrohung – noch vor Waldrodung, Artensterben und Klimawandel. Die Fakten untermauern die Ängste: Rund 140 Millionen Tonnen Plastik verschmutzen weltweit die Gewässer. Der Befund hat längst die internationale Politik erreicht – und die will sich kümmern.
An diesem Freitag endet in New York eine Konferenz der Vereinten Nationen zum Schutz der Ozeane. Mehr als 150 Länder haben Delegationen entsandt, um zu beraten, wie die Zerstörung der Meere und ihrer Lebensräume gestoppt werden kann.
Auch Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) ist nach New York gereist. Erst in der vergangenen Woche hatte sie im Rahmen der deutschen G20-Präsidentschaft einen Aktionsplan vorgestellt: In allen Ländern sollen funktionierende Recycling- und Abfallwirtschaftssysteme geschaffen werden. Und innerhalb der EU, berichtete Hendricks, sei man dabei, eine gemeinsame Plastikstrategie zu erarbeiten.
389 Müllteile auf 100 Meter Küstenlinie
Wie dringlich diese Aufgabe allein in Deutschland scheint, belegen neue Erkenntnisse, die von der deutschen Nordsee und Ostsee und deren Küstenabschnitten vorliegen. Das Umweltbundesamt hat in einem Faktenpapier zusammengefasst, was die Behörde selbst und die Küstenländer Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern in den vergangenen Jahren an Vermüllung festgestellt haben.
Das Papier, das dieser Redaktion vorliegt, zeiht eine ernüchternde Bilanz: Gegenüber 2012 habe es „keine signifikanten abnehmenden Trends in der Belastung durch Meeresmüll“ gegeben. So wurden allein an den untersuchten Nordseestränden im Durchschnitt 389 Müllteile auf 100 Meter Küstenlinie gefunden. 88,6 Prozent der gefundenen Müllteile bestanden aus Plastik, gefolgt von Glas, Gummi und verarbeitetem Holz. Ein Drittel der Funde führt die Behörde auf „maritime Quellen“ zurück, vor allem auf die Fischerei.
Deutsche, niederländische und britische Verpackungen
Ein weiteres Drittel der Funde sei Tourismus- und Freizeitaktivitäten an Land und auf See zuzuordnen. Ein Großteil des Mülls bestand aus Verpackungsmaterialien, etwa Essens- und Trinkverpackungen. Weitere Kleinstfunde konnten nicht zugeordnet werden. Spezifische Untersuchungen ergaben: Die Mehrzahl der identifizierbaren Produkte war für den deutschen (37 Prozent), den niederländischen (21 Prozent) und den britischen Markt (17 Prozent) hergestellt worden.
Wie kommen die Ergebnisse zustande? Und wie wird sichergestellt, dass nicht saisonale Gründe die Ergebnisse verfälschen? Indem zu jeder Jahreszeit geforscht wird. Vier Mal pro Jahr finden die Untersuchungen an der Nordsee an fünf Standorten statt. Es handelt sich um die niedersächsischen Inseln Juist, Minsener Oog und Mellum, die zu Hamburg gehörende Insel Scharhörn, die nur von einem Vogelwart bewohnt wird, und die schleswig-holsteinische Ferieninsel Sylt. Auch am Meeresboden der Nordsee ist laut Umweltbundesamt die Vermüllung „weitverbreitet“, und auch hier würden Kunststoffe bei den Funden dominieren.
Mikroplastik kann für Vögel tödlich sein
Die Forscher ermittelten eine durchschnittliche Menge von elf Kilogramm Müll pro Quadratkilometer. Während die Untersuchungen an der Nordsee seit 15 Jahren vorgenommen werden, ist dies an der Ostsee und deren Küstenbereichen in Mecklenburg-Vorpommern erst seit fünf Jahren der Fall: Hier werden rund 30 Strände überprüft – ebenfalls vier Mal pro Jahr. Die Wissenschaftler fanden dabei eine Vermüllung vor, die nach Ansicht des Umweltbundesamtes problematisch ist. Durchschnittlich seien rund 70 Teile auf 100 Meter Küstenlinie gesichtet worden.
Luftverpackung: Große Tüte, wenig Inhalt
Plastikmüll dominiere auch hier mit rund 70 Prozent die Funde am Strand. Als Hauptverursacher wird die „touristische Nutzung der Ostseestrände“ genannt. Beunruhigt zeigen sich Forscher über die „weite Verbreitung von Mikroplastikpartikeln“ in und an der Ostsee. Zum Mikromüll werden Teile gezählt, die kleiner als fünf Millimeter sind. Deren Konzentration an den Stränden sei um ein Vielfaches höher gewesen als von sogenanntem Makromüll. Die kleinen Plastikpartikel bedrohen auch Vögel an der Nordsee. So wiesen in der letzten Untersuchungsperiode 96 Prozent der tot aufgefundenen Eissturmvögel Kunststoffe im Magen auf.
Expertin: Meeresmüll eine Folge der Wegwerfgesellschaft
Zudem wurden in Nord- und Ostsee Hunderte tote Fische auf Plastikpartikel untersucht: 69 Prozent der untersuchten Fischproben wiesen die Aufnahme von Mikroplastik auf. Für das Umweltbundesamt sind die Ergebnisse alarmierend. Von einer „besorgniserregenden“ Belastung in den heimischen Meeren spricht Stefanie Werner, Meeresschutzexpertin der Dessauer Bundesbehörde. „Meeresmüll ist eine Folge unserer heutigen Wegwerfgesellschaft und den vorherrschenden Produktions- und Konsummustern geschuldet“, sagt Werner.
Jeder Einzelne sei daher gefragt, ist sie überzeugt. „Produzenten müssen stärker Verantwortung für den weiteren Lebensweg der von ihnen in Umlauf gebrachten und exportierten Konsumgüter übernehmen“, so Werner weiter. Verbraucher müssten verinnerlichen, „dass jegliche Verpackung oder andere Produkte aus Plastik, die in die Umwelt geraten, dort bis zu Jahrhunderte verbleiben und Tier wie auch Mensch schädigen können“.