Berlin. Die Grünen fordern ein Verbot von Mikroplastik in Kosmetik, Reinigungs- und Waschmitteln. Dabei sollte das Problem längst gelöst sein.

Plastikmüll zerfällt über Jahre in immer kleinere Teile. Dieses sogenannte Mikroplastik gefährdet Wasserökosysteme, bindet Schadstoffe und gelangt über Fische und Muscheln auch in die menschliche Nahrungskette. Kleine Plastikpartikel stecken auch in einigen Kosmetika, Wasch- und Reinigungsmitteln. Seit Jahren tobt ein Streit zwischen Industrie, Politik und Umweltschützern über die tatsächliche Gefahr aus dem Badezimmerschrank.

Die Bundesregierung einigte sich 2013 mit Herstellern darauf, dass diese bis 2020 freiwillig vollständig auf den Einsatz der Partikel verzichten. Doch staatliche Kontrollen gibt es nicht. Auch fehlen unabhängige Daten.

Bundesregierung verlässt sich auf Aussagen der Industrie

Die eingesetzte Mikroplastikmenge habe sich zwischen 2012 und 2015 um 70 Prozent reduziert, erklärt die Bundesregierung in einer Antwort auf eine aktuelle Anfrage der Bundestagsfraktion der Grünen. Sie liegt unserer Redaktion vor. Eigene Zahlen oder Untersuchungen legt die Regierung nicht vor, sondern verweist ausgerechnet auf eine Umfrage des Europäischen Kosmetikverbandes Cosmetics-Europe.

Nicole Maisch (Die Grünen): „Die Bundesregierung muss endlich aktiv werden. Statt auf unwirksame Selbstverpflichtungen zu bauen, brauchen wir ein vollständiges Verbot von Mikroplastik in Kosmetika.“
Nicole Maisch (Die Grünen): „Die Bundesregierung muss endlich aktiv werden. Statt auf unwirksame Selbstverpflichtungen zu bauen, brauchen wir ein vollständiges Verbot von Mikroplastik in Kosmetika.“ © dpa | Bernd von Jutrczenka

„Mikroplastik hat in Kosmetik nichts zu suchen“, sagt Nicole Maisch, Grünen-Sprecherin für Verbraucherpolitik, unserer Redaktion.

„Die Bundesregierung selbst kon­trolliert den Stand des freiwilligen Ausstiegs nicht, sondern verlässt sich ausschließlich auf die Aussagen der Industrie“, kritisiert Peter Maiwald, Grünen-Sprecher für Umweltpolitik. Seine Partei sieht die Selbstverpflichtung der Industrie gescheitert. Die eingesetzte Menge von Mikroplastik sei sogar noch gestiegen, argumentieren die Grünen in einem neuen Antrag, in dem sie ein gesetzliches Verbot von Mikroplastik in Kosmetikprodukten fordern.

Flüssiger Kunststoff ist per Definition kein Mikroplastik

Doch als Beleg führen sie eine umstrittene Studie an. Sie wurde von dem privaten Verbraucherportal Codecheck in Zusammenarbeit mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) veröffentlicht. Darin wurden 103.000 Produktangaben ausgewertet. Im Jahr 2016 soll demnach jede dritte Sonnencreme, jedes vierte Duschgel, jede fünfte Gesichtscreme und jedes zehnte Make-up Mikroplastik enthalten haben.

Das Problem: „Hier wurden auch Kunststoffe einbezogen, die löslich sind, also keine Partikel bilden“, erklärt Marcus Gast vom Umweltbundesamt (UBA). Sie fallen somit nicht unter die Definition für Mikroplastik. Als sichtbare Kügelchen soll Kunststoff etwa in Peeling-Produkten die Haut reinigen, als flüssige unsichtbare Zutat sorgt er aber auch dafür, dass Duschgel oder Flüssigwaschmittel geschmeidiger aus der Flasche laufen oder sich Make-up gut im Gesicht verteilen lässt. In ihrer Antwort definiert die Bundesregierung Mikroplastik so: „Plastikpartikel, die fünf Millimeter und kleiner sind.“

Belastung für die Umwelt ist unklar

Die Grundlage für die Kritik, es würde entgegen der Selbstverpflichtung mehr Mikroplastik eingesetzt, scheint somit wackelig – zumal die Vereinbarung von Regierung und Kosmetikindustrie explizit „Partikel im Nanobereich und flüssige Kunststoffe, oder solche in Pulverform“ ausschließt.

Gleichzeitig bleibt eine wesentliche Frage offen: Sind die von Codecheck einbezogenen flüssigen Kunststoffe eine Belastung für die Umwelt? Die Bundesregierung liefert darauf keine Antwort: „Informationen speziell zum Umweltverhalten von Mikroplastik in flüssiger Form liegen uns nicht vor“.

Auch darüber hinaus bleiben einige der insgesamt 21 Fragen der Grünen an die Regierung unbeantwortet. Darüber, welche Produktgruppen auf dem deutschen Markt Mikroplastik in die Umwelt freisetzen könnten, gebe es „keine Erkenntnisse“. Auch darüber, wie sichergestellt werden soll, dass importierte Produkte bis 2020 keine Plastikkügelchen mehr enthalten, hat die Bundesregierung nach eigenen Angaben keine Erkenntnisse.

Umweltbundesamt: „Kosmetik nur kleineres Teil des Problems“

Bei den noch heute eingesetzten Mengen der Partikel verlässt sich die Regierung in ihrem Schreiben erneut auf Industrie-Auskünfte: „Nach Angaben des Industrieverbandes Hygiene und Oberflächenschutz werden circa zehn Tonnen Mikroplastik pro Jahr zur Herstellung von Pflegeemulsionen zur Oberflächenbeschichtung in der gewerblichen Reinigung eingesetzt.“ In Wasch- und Reinigungsmitteln für den privaten Gebrauch würden laut IKW circa 50 Tonnen Mikroplastik pro Jahr verwendet.

Die Menge des Mikroplastiks aus Kosmetika und Reinigungsmitteln schätzt die Regierung dennoch als gering ein. Sie spiele „nur eine untergeordnete Rolle gegenüber anderen Eintragsquellen.“ Der Anteil liege im unteren einstelligen Prozentbereich. Das Ziel, einen „guten Zustand der Meeresumwelt“ zu erreichen, zu dem sich alle EU-Staaten bis 2020 verpflichtet haben, hänge deshalb nur in geringem Maße von der Veränderung dieses Eintrages ab. Die Grünen hatten dieses Ziel in ihrem Antrag als unrealistisch bezeichnet, sollte Mikroplastik in Kosmetik nicht vollständig verboten werden.

UBA-Experte Gast sieht Mikroplastik aus Kosmetik nur als kleineren Teil des Problems: „Andere Quellen spielen eine deutlich größere Rolle, etwa Reifenabrieb oder kleine Kunststoffpellets, die bei der Produktion von Plastik in die Umwelt gelangen können, aber auch kleinste Kunststoffpartikel in Beschichtungen, mit denen zum Beispiel Hochglanzmagazine überzogen werden.“ Nichts desto trotz bestehe weiterer Forschungsbedarf, auch in puncto flüssiger Kunststoff in Kosmetikprodukten. Für eine abschließende Beurteilung sei es zum jetzigen Zeitpunkt noch „zu früh“.

Was Verbraucher tun können

Wer auf Kosmetika mit Mikroplastik verzichten will, sollte Peeling-Produkte mit sichtbaren Kügelchen meiden. In der Inhaltsstoffliste ist meist Polyethylen, Polypropylen oder Styrene/Acrylates Copolymer zu finden, sagt Marcus Gast vom Umweltbundesamt.

Reinigungsmittel mit dem Blauen Engel dürfen seit 2015 kein Mikroplastik mehr enthalten. Das EU-Ecolabel darf ab 2017 nur noch an Wasch- und Reinigungsmittel ohne Kunststoffkügelchen vergeben werden.