Aleppo/Beirut. Syrische Regierungstruppen und Rebellen haben sich am Mittwoch in Aleppo erneut heftige Gefechte geliefert. Doch es gibt Signale für eine Waffenruhe.

Der zunächst gescheiterte Abzug von Zivilisten und Verletzten aus der umkämpften syrischen Stadt Aleppo soll Rebellen zufolge jetzt am Donnerstagmorgen beginnen. Bereits in den nächsten Stunden solle eine neue Waffenruhe in Kraft treten, erklärte der Sprecher der radikal-islamischen Miliz Ahrar al-Scham, Ahmed Kara Ali, am Mittwochabend. Ein Sprecher der Rebellengruppe Nur al-Din al-Sinki bestätigte die Meldung.

Aktivsten berichteten zugleich von neuen Luftangriffen. Auch die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete heftigen Beschuss der verbliebenen Rebellengebiete Aleppos. Aus regierungsnahen Kreisen hieß es, die Armee und verbündete Milizen hätten den bislang heftigsten Angriff auf die oppositionellen Milizen begonnen.

Russland gab Rebellen Schuld an Scheitern

Ein am Dienstag ausgehandeltes Abkommen über den Abzug von Kämpfern und Zivilisten aus Aleppos Rebellengebieten war am Mittwoch zunächst nicht umgesetzt worden. Russland als Unterstützer der Regierung beschuldigte die Regimegegner, sich nicht an die Einigung gehalten und die Waffenruhe gebrochen zu haben.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow hatte am Mittwoch gesagt, er hoffe, dass sich die Lage in Ost-Aleppo in zwei bis drei Tagen endgültig entspannen werde. In einem Telefonat mit seinem US-Kollegen John Kerry bekräftigte er, dass die syrische Regierung zum freien Abzug der Rebellen aus Ost-Aleppo bereit sei, teilte das Außenamt in Moskau am Mittwochabend mit.

Rebellen beschuldigen Milizen

Die Rebellen wiederum warfen den mit der Regierung verbündeten iranischen Milizen vor, sie hätten das Abkommen mit neuen Angriffen zum Scheitern gebracht. Demnach soll der Iran gefordert haben, dass auch die Blockade der vor allem von Schiiten bewohnten Orte Fua und Kafraja im Nordwesten Syriens aufgehoben wird. Diese werden seit langem von Rebellen belagert.

Regierungstruppen haben seit Beginn einer Offensive den größten Teil der von oppositionellen Milizen kontrollierten Gebiete Aleppos eingenommen. In den noch verbliebenen Vierteln der Rebellen halten sich noch Zehntausende Zivilisten auf. Wegen der monatelangen Blockade herrscht dort akuter Mangel an Trinkwasser, Nahrung und medizinischer Versorgung.

Ban Ki-moon gesteht Versagen der UN ein

Der syrische Präsident Baschar al-Assad will auch nach einer Eroberung Aleppos weiter kämpfen lassen. Er sagte dem russischen Staatsfernsehen: „Von einer Feuerpause kann keine Rede sein“. Mit Milde könnten nur „Terroristen“ rechnen, die sich ergeben oder den Kampfort verlassen. Die Kämpfe gingen weiter, bis „das ganze Land von Terroristen gesäubert“ sei.

Steinmeier: Humanitäre Hilfe sollte in Aleppo ihr Ziel finden

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    Der scheidende UN-Generalsekretär Ban Ki-moon bezeichnete das Versagen der Vereinten Nationen im Syrien-Krieg als die größte Enttäuschung seiner Amtszeit. „Was ich am meisten bereue, jetzt, wo ich aus dem Amt scheide, ist der anhaltende Alptraum in Syrien“, sagte Ban am Mittwoch in New York bei einer Veranstaltung des UN-Sicherheitsrats zu seinen Ehren.

    Auch USA sehen Krieg nicht beendet

    Die syrische Armee hatte zusammen mit ihren Verbündeten vor einem Monat eine Offensive auf die Rebellengebiete in Ost-Aleppo begonnen. Die frühere Handelsmetropole war jahrelang zwischen Regime und Rebellen geteilt und gilt heute als Symbol für den Krieg.

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    Das US-Außenministerium teilte mit, von Russland oder der Türkei nicht in den Entscheidungsprozess miteingebunden worden zu sein. „Selbst wenn dies das Ende der Belagerung von Aleppo ist, ist es nicht das Ende des Krieges in Syrien. Er wird weitergehen. Die Opposition wird weiter kämpfen“, sagte Ministeriumssprecher John Kirby.

    US-Botschafterin emotional

    Der anstehende Abzug bedeutet einen wichtigen Sieg für die syrische Regierung im fast sechs Jahre dauernden Bürgerkrieg. Das Regime von Präsident Baschar al-Assad kontrolliert damit wieder alle großen Städte des Landes. Beobachter rechnen trotzdem nicht damit, dass der Bürgerkrieg bald endet. Rebellen beherrschen unter anderem die Provinz Idlib im Nordwesten Syriens. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hat im Norden und Osten Syriens noch große Gebiete unter Kontrolle.

    Die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Samantha Power, wandte sich in einem emotionalen Appell an ihren russischen Kollegen im Sicherheitsrat.

    Syrien und seine Verbündeten Russland und Iran seien für einen „kompletten Kollaps der Menschlichkeit“ in Aleppo verantwortlich. Die drei Länder stünden hinter „der Eroberung und dem Blutbad in Aleppo“ und seien für die in der Stadt verübten Gräueltaten verantwortlich, sagte Power.

    Die US-Botschafterin Samantha Power vor dem UN-Sicherheitsrat.
    Die US-Botschafterin Samantha Power vor dem UN-Sicherheitsrat. © REUTERS | LUCAS JACKSON

    „Schämen Sie sich gar nicht?“

    An Russlands Vertreter, Wasili Tschurkin, gewandt fragte sie: „Schämen Sie sich gar nicht? Sind Sie unfähig, so etwas zu empfinden? Geht Ihnen die Hinrichtung eines Kindes nicht unter die Haut? Gibt es nichts, über das Sie nicht lügen würden?“

    Tschurkin sagte daraufhin, Power tue so, als sei sie Mutter Teresa. Sie solle sich klarmachen, welches Land sie vertrete und noch einmal überlegen, ob sie wirklich aus einer moralischen Überlegenheit sprechen könne. „Am Ende wird Gott darüber richten, wer wirklich die Schuld trägt“, so Tschurkin.

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    Die UN erklärten derweil, sie stünden zur Hilfe bereit, seien in die Evakuierungen jedoch nicht eingebunden worden. Frankreich forderte den Einsatz von UN-Beobachtern. Anders könnten Zivilisten nicht in Sicherheit gebracht werden, erklärte Außenminister Jean-Marc Ayrault. Den UN zufolge sollen Assad-Soldaten und verbündete Milizen während der Vorstöße ins Rebellengebiet mindestens 82 Zivilisten getötet haben. Die Zahl bezieht sich auf die Zahl der gefundenen Leichen, deren Bergung in den vergangenen Tagen nur schwer möglich war.

    Hoffen, dass der Diktator freiwillig abtritt

    Sicherheitsexperten und Verteidigungspolitiker warfen den westlichen Demokratien schwere Verfehlungen im Syrien-Konflikt vor. „Man kann nicht die Absetzung eines Diktators fordern, dann die Hände in den Schoß legen und hoffen, dass er freiwillig abtritt: Mit dem Verlust seiner Glaubwürdigkeit hat der Westen auch die Fähigkeit verspielt, der syrischen Bevölkerung zu Hilfe zu kommen“, sagte der Chef der Münchener Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, der „Bild“-Zeitung.

    Die Türkei kündigte an, dass sie ein Zeltlager für bis zu 80.000 Flüchtlinge aus Aleppo aufstellen wolle. Vize-Ministerpräsident Mehmet Simsek gab dies im Onlinedienst Twitter bekannt. Nähere Einzelheiten nannte er nicht. (dpa/rtr/aba)