Was wäre, wenn Hillary Clinton die US-Wahl gewinnt?
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Von Dirk Hautkapp
Washington. Hillary Clinton ist fest entschlossen, die nächste US-Präsidentin zu werden. Doch welche Richtung wird sie einschlagen? Eine Übersicht.
Sie macht sich Sorgen. Aber sie wankt nicht. Die Umfragen, die sich nach der „Oktober-Überraschung“ des FBI für sie verschlechtern, werfen Hillary Clinton nicht um. Sie hat als Präsidenten-Gattin, Senatorin und Außenministerin viele Krise überwunden. Die 69-Jährige will am 8. November Geschichte schreiben und erste Präsidentin der Vereinigten Staaten werden.
Die Meinungsforscher geben ihr immer noch bessere Chancen, die notwendigen 270 Wahlmännerstimmen zu erreichen. Aber sie spürt: Trump hat das Momentum. Sie versucht es zu brechen. Mit einem Dauersperrfeuer auf sein Frauenbild. Die Aussicht auf Hillary Clinton im Oval Office ruft – im Kontrast zu ihrem Widersacher – national und international eher gelassene Reaktionen hervor. Was also wäre, wenn…
Clinton seit 30 Jahren „in der Szene“
Vorab: Anders als bei dem politischen Selbsterfahrungs-Unternehmer Trump ist bei Clinton einigermaßen vorhersehbar, was Amerika und der Rest der Welt von ihr zu erwarten haben. Sie ist seit 30 Jahren „in der Szene“, kommt aus dem Establishment, ist also pragmatisch, kompromiss- und kungelgestählt und im politischen Spektrum streng mittig verankert.
Ihr Wahlprogramm ist eine Ansammlung von kleineren und größeren Schritten. Nichts Revolutionäres. Clinton versteht sich, bislang jedenfalls, als Hüterin des Obama-Erbes. Sie will es weiterentwickeln, Dellen ausbeulen, hier und da neue Akzente setzen. Ein Blick auf die wichtigsten Themen:
Misstrauen zwischen Putin und Clinton
Russland: Clinton lobt Putin nie. Umgekehrt ist es genauso. Der russische Präsident ist überzeugt, dass die Demokratin seit langem seine Autorität untergraben will. Misstrauen statt Offenheit. Andersherum wird Clinton nicht vergessen, dass russische Hacker via Wikileaks ihre Präsidentschaftskandidatur desavouieren wollten. Russischen Cyber-Attacken wird Clinton darum stärker entgegentreten.
Hillary Clinton will Präsidentin werden
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Ebenso dem expansiven Machtstreben, das Putin auf der Krim und in der Ukraine vorexerziert hat. In Syrien kann das zu einer ernsthaften Bewährungsprobe führen. Clintons Idee einer Flugverbotszone hat das Potenzial zur Eskalation. Als Präsidentin kann sich sie nicht erlauben, dass aus Eiszeit Permafrost wird. Sie muss mit Putin neue Wege zwischen Konfrontation und Eindämmung aber auch verstärkter Kooperation und Abstimmung (Klimaschutz, internationaler Terrorismus) finden.
Strategie der militärischen Nadelstiche wird weitergehen
Militär und Deutschland: Im Irak und in Libyen hat Clinton mit ihrem Ja-Wort zur Gewalt Federn gelassen. Was sie daraus gelernt hat, muss sich noch zeigen. Clinton, anders als der friedensnobelpreisbewegte Obama eher ein stark differenzierender „Falke“, der den Sinn von Militäreinsätzen von Fall zu Fall beurteilt, wird den kriegsmüden Amerikanern keine neuen Groß-Abenteuer zumuten. Die Strategie der Nadelstiche (Drohneneinsätze, Spezialkommandos etc.) wird aber weitergehen.
In Sachen Islam-Terror will Clinton IS-Chef Abu Bakr al-Bagdadi wie einst Al-Qaida-Chef Osama bin Laden töten lassen. Im Irak und in Syrien bleiben weiter Luftangriffe das Maß aller Dinge. US-Bodentruppen hat sie kategorisch ausgeschlossen. Im Verbund mit auswärtigen Geheimdiensten, Nato und anderen Sicherheitspartner wird Amerika unter ihr noch stärker dafür sorgen, dass dem IS der Zufluss von Geld, Waffen und Personal abgeschnitten wird.
Clinton und Merkel – ein Spitzenduo
Für Clinton, die als Außenministerin sechs Mal in Deutschland war, ist Kanzlerin Angela Merkel ein Vorbild an Führungskraft. Die beiden Frauen kennen und schätzen sich. Nach dem „Brexit“ würde Berlin für Clinton Europas erste Adresse. Auch was die Wünsche bei der Lastenteilung anbelangt. Spannungsfrei wird das nicht. Gerade, was den Umgang mit Russland (Sanktionen?) angeht. Aber das Fundament stimmt. Man kennt sich. Clinton und Merkel, das wäre ein starkes Spitzenduo.
Wirtschaft: Mit einem gewaltigen Investitionsprogramm im Volumen von umgerechnet 250 Milliarden Euro will Clinton die marode Infrastruktur (Straßen, Schienen-Wege etc.) sanieren lassen. So sollen zehn Millionen Menschen in Brot kommen. Zur Finanzierung sollen unter anderem höhere Steuern für Reiche und Großunternehmen herangezogen werden.
Sympathie für TTIP
Beim Handel ist Clinton lauwarm. Auf Druck von links (Bernie Sanders) ist sie zum Transpazifischen Freihandelsabkommen TPP auf Distanz gegangen, hat es aber noch nicht völlig beerdigt. TTIP, das Konstrukt mit der EU, hat ihre Sympathien. Verkämpfen dafür wird sie sich aber nicht.
Auf dem Arbeitsmarkt verspricht Clinton bessere Bezahlung. Der Mindestlohn von 7,25 Dollar pro Stunde soll schrittweise auf 12 bis 15 Dollar steigen. Um jungen Menschen ohne College-Abschluss Perspektiven zu eröffnen, will Clinton Unternehmen für das deutsche Modell der dualen Berufsausbildung gewinnen.
Stärkerer Schutz vor Abschiebungen
Einwanderung: Clinton wird den Faden aufnehmen, den Obama am Ende nach Blockaden im Kongress und der Justiz verloren hat: Millionen Illegalen im Land soll ein Weg zur nachträglichen Staatsbürgerschaft geebnet werden; inklusive eines stärkeren Schutzes vor Abschiebung von Menschen, die als Kinder in die USA kamen. Anders als Trump will sie im moderaten Umfang (etwa 65.000 statt bislang 10.000) Flüchtlinge aus Bürgerkriegsgebieten wie Syrien aufnehmen. Muslime unter Pauschalverdacht zu stellen, wie Trump es tut, lehnt sie ab.
Gesellschaftspolitik: Klares Ja zu Homo-Ehe und zum Recht auf Abtreibung. Clinton würde dafür sorgen, dass am Obersten Gerichtshof in dieser Hinsicht nichts ins Rutschen kommt. Für Niedrigverdiener (unter 85.000 Dollar im Jahr) sollen an staatlichen Universitäten die ruinösen Studiengebühren abgeschafft werden.
Gesundheitspolitik ist größte Baustelle
Das noch unter Führung ihres Mannes entstandene System der massenhaften Inhaftierungen auch wegen Bagatell-Straftaten, unter dem vor allem Schwarze und Latinos leiden, will sie reformieren.
Ihre größte Baustelle wird die Gesundheitspolitik: „Obamacare“ droht gerade an Web-Fehlern und zu hohen Kosten zu implodieren. Sie will die Krankenversicherung des amtierenden Präsidenten ertüchtigen, etwa durch steuerliche Abfederung von zu hohen Prämien, aber nicht schleifen. Ob sie den Mut hat, sich mit den großen Pharma-Unternehmen und Krankenhaus-Verbünden anzulegen, die im Weltmaßstab horrende Preise verlangen, ist fraglich.
Clinton wird Weg von Obama weitergehen
Umwelt: Obama hat mit Fracking die Gas- und Ölförderung vorangetrieben, um Energie-Unabhängigkeit vom Nahen Osten zu erreichen. Clinton will die Erneuerbaren massiv anschieben. 60 Milliarden Dollar Förderung sind dafür vorgesehen. Für Clinton eine Investition in Arbeitsplätze, Nachhaltigkeit und Exportchancen. Analog zu Obamas Klimaschutzplänen (Reduzierung des Ausstoßes von Treibhausgasen bis 2025 um 30 Prozent) will sie die USA zu einer „clean super power“ machen.
Fazit: Unter einer Präsidentin Clinton würde Amerika im Grundsatz den Weg fortsetzen, den Obama vor acht Jahren eingeschlagen hat. Die erfahrene Innen- wie Außenpolitikerin würde die USA wieder stärker als Führungsmacht positionieren. Das kann stabilisierend wirken, muss es aber nicht.