Berlin. Erneut wurde Frankreich zum Terrorziel, die Trauer ist auch in Deutschland groß – genauso wie die Sorgen um die eigenen Sicherheit.
Sie wollten hier am Brandenburger Tor in Berlin ein deutsch-französisches Volksfest feiern. Buden und Zelte sind schon aufgebaut. Aber jetzt trägt der Pariser Platz Trauer. Das Fest ist für diesen Tag abgesagt, vor der benachbarten französischen Botschaft stehen Menschen mit ernsten Gesichtern, manche haben Tränen in den Augen. An den Absperrgittern der Botschaft sind Blumen als Zeichen des Mitgefühls abgelegt. Kerzen flackern im Wind. Die Fahnen auf den umliegenden Gebäuden stehen auf halbmast.
Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) hat die bundesweite Trauerbeflaggung gleich am Morgen angeordnet. Jetzt steht er in seinem Ministerium und sagt: „Das Attentat belegt auf unfassbare Weise, wie kaltblütig und brutal Terroristen vorgehen.“ Und: „Wir stehen zusammen im Kampf gegen den internationalen Terrorismus, gegen die Feinde unserer offenen freiheitlichen Gesellschaften“. Nicht nur de Maizière ist die Betroffenheit über den erneuten Anschlag in Frankreich anzumerken: Fassungslos und erschüttert reagieren Mitglieder der Bundesregierung und Spitzenpolitiker aus dem Bundestag auf das Attentat.
Deutsche Sicherheitsbehörden sind beunruhigt
Kanzlerin Angela Merkel hat die grausige Botschaft in der Nacht kurz vor Beginn des Asien-Europa-Gipfels in der mongolischen Hauptstadt Ulan Bator erreicht. „Deutschland steht im Kampf gegen den Terrorismus an der Seite Frankreichs“, sagt sie sichtlich bewegt. Sie sei überzeugt, „dass wir trotz aller Schwierigkeiten diesen Kampf gewinnen werden“. Das Gipfeltreffen beginnt mit einer Schweigeminute. Alle, sagt Merkel, seien „vereint in der Fassungslosigkeit über den massenmörderischen Anschlag“.
Die Welt trauert um die Opfer von Nizza
Bundespräsident Joachim Gauck spricht während eines Staatsbesuchs in Uruguay von einem „Angriff auf die gesamte freie Welt“. Er sagt: „Wir wissen genau, was wir zu tun haben in dieser Situation. Aus dem Geist von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit müssen wir alle denen widerstehen, die mit Hass, Terror und Vernichtungswillen gegen unsere Werte agieren“. In Berlin äußern sich Politiker aller Parteien entsetzt, manche sind persönlich betroffen. FDP-Chef Christian Lindner war am Morgen des Terrortags selbst noch in Nizza, jetzt erklärt er: „Der Terror hat nicht das letzte Wort.“ Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) meint: „Wir werden uns niemals dem Terror beugen.“ Die Linksfraktionschefs Sahra Wagenknecht und Dietmar Barsch mahnen, „Hass nicht mit Hass zu vergelten“.
Sorge um Sicherheit in Deutschland
Doch in die Trauer und den Trotz mischt sich auch eine große Sorge. Die Analysen der Sicherheitsbehörden sind eindeutig: Ein Anschlag wie in Nizza kann sich jederzeit auch in Deutschland ereignen. Die Behörden sind alarmiert. Schon am Morgen hat die Bundespolizei mit einer „erhöhten Schleierfahndung“ an der deutsch-französischen Grenze begonnen. An Flughäfen, in Eisenbahnen und auf den Straßen wird vor allem nach möglichen Mittätern gesucht, die sich jetzt nach Deutschland absetzen könnten, berichtet das Bundesinnenministerium.
Zwar ist ein Deutschlandbezug des Täters bisher nicht bekannt, wie de Maizière betont. Aber deutsche und französischen Behörden stünden in einem engen Austausch. Der Anschlag zeige erneut, wie real die Gefahr „islamistischer Terrorakte“ in Europa sei, erklärt der Innenminister. Die Sicherheitsbehörden täten alles in ihrer Macht Stehende, um Anschläge in Deutschland zu verhindern. Aber: „Eine Garantie dafür, dass das immer gelingt, gibt es leider nicht.“ Auch Deutschland stehe im Fokus des internationalen Terrorismus.
Anschlag am Nationalfeiertag in Nizza
Tatsächlich hat das Attentat in den deutschen Sicherheitsbehörden besondere Beunruhigung ausgelöst. Zwar gehen Experten davon aus, dass die französische Dschihadistenszene größer und entschlossener ist als die in Deutschland. Aber das Tatmuster ist der Albtraum der Ermittler. Das Bundeskriminalamt hat erst kürzlich in einer internen Sicherheitsanalyse gewarnt, es müsse „jederzeit einkalkuliert werden“, dass radikalisierte Einzeltäter auch in Deutschland zuschlagen würden. Vorbeugung und Früherkennung stoßen aber bei Einzeltätern schnell an Grenzen: Es sei fast unmöglich, sie zu erkennen, sagt der Chef der Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt. Ein solcher Anschlag wie in Nizza sei daher auch in Deutschland möglich, Massenveranstaltungen seien kaum zu schützen. Versucht wird es dennoch: NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) etwa kündigte am Freitag an, den Polizeischutz für bevorstehende Volksfeste an diesem Wochenende in Köln und Düsseldorf noch besser als ohnehin zu schützen.
500 Gefährder im Fokus der Behörden
De Maizière verweist aber darauf, dass der Einzeltäteranschlag nur eines von mehreren Szenarien sei. So habe man bei dem Anschlag in Paris Anfang des Jahres gesehen, wie ein gut koordiniertes, eingereistes Terrorteam zuschlage. Es gebe nicht mehr „die eine oder die andere Tatform“, sie würden vielmehr nebeneinander ausgeführt – was die Sicherheitsbehörden besonders fordere. So spricht das Innenministerium von der zunehmenden Tendenz, dass kleine Terrorgruppen mit relativ wenig Aufwand hohen Schaden anrichten könnten. Solche Anschläge könnten zeitversetzt kurz nacheinander verübt werden, um Polizei und Rettungskräfte an ihre Grenzen zu bringen. Priorität hätten offensichtlich sogenannte weiche Anschlagsziele, also etwa Menschenansammlungen ohne umfangreiche Sicherheitsvorkehrungen – wobei gleichermaßen hohe Opferzahlen und ein gewisser Symbolwert des Ziels angestrebt würden. Rund 500 Gefährder, denen solche Anschläge und schwere Straftaten zugetraut werden, haben die Sicherheitsbehörden auf dem Radarschirm, etwa die Hälfte hält sich derzeit in Deutschland auf. Aber es gibt auch blinde Flecken: Der Verfassungsschutz geht davon aus, dass die Terrormiliz IS die Flüchtlingswelle genutzt hat, um Kämpfer nach Deutschland zu bringen. „Der IS will auch Anschläge gegen Deutschland und deutsche Interessen durchführen“, ist sich der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, sicher.
De Maizière ruft deshalb zu Vorsicht und Wachsamkeit auf. Aber Einschüchterung und Angst seien nicht geboten. Die Terroristen „hassen und töten, um Angst und Schrecken zu verbreiten“, sagt er. „Sie wollen, dass wir unsere Gewohnheiten und unser freiheitliches Leben verändern. Und sie wollen Macht über unsere Freiheit gewinnen. Das wird nicht gelingen.“
Auch deshalb wird das deutsch-französische Volksfest am Brandenburger Tor am Sonnabend doch noch stattfinden. Dies sei, sagt der französische Botschafter Philippe Etienne, „ein Zeichen der Widerstandskraft“.