Berlin. Frank-Walter Steinmeier rät im Interview zu kühlem Kopf angesichts des Terrors. Russlands Rolle in Syrien lobt der Bundesaußenminister.

Am Tag, als die Terroristen in Brüssel zuschlugen, reiste Frank-Walter Steinmeier nach Moskau – auch um über die Lage in Syrien zu sprechen. Die Waffenruhe, die dort seit einem Monat hält, wertet der SPD-Politiker als größten Erfolg im Kampf gegen den „Islamischen Staat“.

Herr Steinmeier, stellen Sie sich darauf ein, dass Deutschland das nächste Anschlagsziel islamistischer Terroristen wird?

Frank-Walter Steinmeier: Die entsetzlichen Anschläge von Brüssel, Paris, Istanbul, Tunis und vielen anderen Orten der Welt zeigen: Absolute Sicherheit gibt es nirgendwo. Terrorismus macht an Grenzen nicht Halt, auch nicht an unseren. Er richtet sich unterschiedslos gegen alle Menschen, gleich welcher Herkunft, jung oder alt, Frau oder Mann, Christ, Jude oder Muslim. Unsere Sicherheitsbehörden machen gute Arbeit und haben immer wieder Anschlagsplanungen durchkreuzt. Daneben haben wir möglicherweise auch Glück gehabt, dass wir in Deutschland von Anschlägen bisher verschont geblieben sind. Und wir sollten uns bei alledem bewusst sein, dass friedliches Miteinander der gesellschaftlichen und religiösen Gruppen auch Radikalisierung vorbeugt.

Steht Europa im Krieg?

Steinmeier: Die Terroristen würden gerne ihren Krieg in unsere Städte und unsere Köpfe tragen, uns in eine Art Belagerungszustand treiben, um uns ihre perverse Logik von Gewalt und Hass aufzuzwingen. Wir tun gut daran, dieses Spiel nicht mitzuspielen, den Terroristen nicht diese Genugtuung zu geben. Vielmehr kommt es jetzt darauf an, mit kühlem Kopf gegen die Hintermänner und die Wurzeln des Terrors anzugehen und ihre Unterstützer in Europa zu identifizieren – mit allen Mitteln des Rechtsstaats. Und die Zusammenarbeit der Dienste gehört aus meiner Sicht dazu.

Kann Deutschland seinen Beitrag zum Antiterrorkampf – auch militärisch – noch ausweiten?

Steinmeier: Wir haben schon nach den Anschlägen von Paris unser Engagement in vielen Bereichen verstärkt: Im Kampf gegen Extremismus und Radikalisierung in unseren Schulen und Gemeinden, beim gemeinsamen Vorgehen gegen die Terrorzentralen von IS in Irak und Syrien, auch bei der Polizeizusammenarbeit, für die der Innenminister wichtige Verbesserungen angemahnt hat. Der vielleicht wichtigste Schlag gegen IS ist, dass wir nun seit über vier Wochen in Syrien eine Waffenruhe erreicht haben, die weitgehend hält. Regierungstruppen und Opposition reiben sich zumindest für den Moment nicht gegenseitig auf, sondern können ihre Kräfte auf den Kampf gegen IS und die Brutstätte des Terrors konzentrieren. Und zum ersten Mal nach fünf Jahren Krieg ist Hoffnung, einen Konflikt zu entschärfen, der den Terrorbanden täglich neue Nahrung gegeben hat.

Sie waren in der vergangenen Woche in Moskau. Wie beurteilen Sie das russische Engagement?

Steinmeier: Ich bin am Dienstagabend nach Moskau gereist – da hatten wir alle die grausamen Bilder von den Terroranschlägen in Brüssel noch ganz frisch vor Augen. Die Bomben am Brüsseler Flughafen und in der Metro haben uns einmal mehr spüren lassen, dass Terror uns alle gleichermaßen bedroht und immer und überall zuschlagen kann. Russlands Engagement in Syrien hat viele Gründe. Einer davon ist ganz ohne Zweifel Moskaus Angst, dass ein radikalisierter Islam vom Mittleren Osten aus in die muslimischen Regionen Russlands zieht. Vergessen wir nicht: Russland ist mehrfach schon Opfer islamistischen Terrors gewesen. Ein Forum, um weitere gemeinsame Schritte zum Kampf gegen Terrorismus auch mit Russland abzustimmen, ist die OSZE, deren Vorsitz wir in diesem Jahr innehaben: Hier haben wir im Sommer eine große Anti-terrorismuskonferenz in Berlin geplant, wo es vor allem um Prävention von Extremismus unter jungen Menschen geht.

Trägt Russland wirklich zur Befriedung Syriens bei?

Steinmeier: Richtig ist, dass Russland in Syrien auch noch eigene, ganz andere Interessen verfolgt – die Absicherung der eigenen Machtbasis im Mittleren Osten, die Etablierung eigener Einflusszonen gehört dazu. Aber Russland hat kein Interesse am Dauerchaos und an der völligen Zerstörung staatlicher Strukturen im Mittleren Osten. Gerade deshalb ist es so entscheidend, dass wir uns in Wien und München mit Russland und mit den Staaten der Region auf einen Fahrplan für eine Beendigung der Kämpfe und eine politische Lösung verständigt haben. Die Waffenruhe, die Gewährung humanitärer Zugänge, der Beginn der Friedensgespräche in Genf – all das wäre ohne eine konstruktive Einbindung Russlands nicht realisierbar gewesen.

Wie wirkt sich die Flüchtlingskrise auf den Anti-Terror-Kampf aus?

Steinmeier: Wir dürfen Flüchtlinge nicht mit mutmaßlichen Terroristen in einen Topf werfen. Die Mehrzahl der Attentäter kam bisher aus Europa selbst, ist hier aufgewachsen. Genauso richtig bleibt die Erkenntnis, dass wir wieder die Kontrolle über die europäischen Außengrenzen erlangen und wissen müssen, wer bei uns ein- und ausreist. Der Vorschlag der Kommission, Frontex zu einem echten europäischen Grenzschutz auszubauen, und die Vereinbarungen mit der Türkei sind dafür wichtige Bausteine. Wir brauchen zudem eine bessere Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden. Die Vorschläge von Innenminister de Maizière zu einer Verbesserung des Informationsaustausches in Europa, zu einer effizienteren Erhebung und besseren Nutzung von Daten sind deshalb richtig.

Der amerikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump schießt sich auf die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel ein. Was wäre von einem Präsidenten Trump zu erwarten?

Steinmeier: Leider ist Donald Trump mit seinen Ansichten nicht allein: Wir nehmen auf beiden Seiten des Atlantiks eine Tendenz zur Polarisierung und zur Abschottung wahr. Und das Bedürfnis nach einfachen Antworten nimmt hier und dort ebenfalls zu, die Zahl der Populisten, die sie zu geben bereit sind, auch. Leider ist die Welt aber komplizierter. Die Flüchtlingsfrage, einschließlich der Ursachen von Flucht und Vertreibung, zeigt das nur zu deutlich. Wir müssen uns in der Politik trauen zu sagen, dass einfache Antworten oft falsche Antworten sind. Und mit Selbstbewusstsein und Hartnäckigkeit für die richtigen streiten.