Berlin. Zentrale Vorhaben stocken – wegen der Flüchtlingskrise, der Wahlen und des Koalitionsklimas. Wie handlungsfähig ist die Regierung?

Bis Ende Februar wollten Bund und Länder Eckpunkte für eine bessere Integration der Flüchtlinge vorlegen. Davon kann keine Rede sein. Flüchtlingskrise, Landtagswahlen – das Regierungsgeschäft kommt unter die Räder. In Wahrheit ist die Bundesregierung nur bedingt handlungsfähig und nicht bloß mit dem Integrationskonzept in Verzug.

Stillstand herrscht auf zentralen Feldern, Union und SPD blockieren sich gegenseitig. So hat SPD-Chef Sigmar Gabriel angekündigt, den Bundeshaushalt im Kabinett so lange zu stoppen, bis er Geld für wichtige Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag bekommt.

Vorher hatte die CSU auf Nachbesserungen bei der Erbschaftsteuer gepocht. Derweil blockt der Bund Forderungen der Länder nach mehr Geld für die Flüchtlingshilfe ab. Alle warten zwei EU-Gipfel sowie die Wahlen am 13. März ab. Was alles stockt – eine Momentaufnahme.

Bei der Integration geht es nicht voran

Um große Worte waren Kanzlerin und Länderchefs nicht verlegen, als sie am 28. Januar eine Arbeitsgruppe einsetzten. Von einem „Meilenstein“ sprach der Bremer Carsten Sieling (SPD). „Klares Signal“, sekundierte Malu Dreyer (SPD) aus Mainz. Die Koalition und alle staatlichen Ebenen seien „sehr handlungsfähig“, frohlockte die Kanzlerin . Bis Ende Februar sollte die Runde Eckpunkte vorlegen und bis Ende März sogar ein Integrationskonzept. Der Realitätscheck ist ernüchternd.

Eckpunkte? Fehlanzeige. Als sich Staatsminister Helge Braun am Mittwoch mit den Ländervertretern traf, diskutierte die Runde fast zweieinhalb Stunden lang über die Präambel des Konzepts, etwa über den schlichten Satz, dass das „Gelingen der Integration“ von einer „spürbaren Reduzierung“ des Zuzugs abhänge. Die Runde vertagte sich auf den 16. März.

In dem Tempo wird es Monate dauern, den 26-seitigen Forderungskatalog abzuarbeiten. Dabei ist die Frage nach mehr Kitaplätzen, Sozialarbeitern, Lehrern, längeren Orientierungskursen (von 60 auf 100 Stunden) entscheidend.

Von Anfang an hielt der Bund die Länder hin: Erst die Arbeitsgruppe, dann das Geld. So lange unklar ist, ob Merkel sich in der EU durchsetzt und wie viele (Kontingent-)Flüchtlinge noch kommen, so lange hat Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) keine Planungsgrundlage. Die Länder mahnen parteiübergreifend – zuletzt Bayern und NRW – mehr Geld an, die Ausgabenwünsche seiner Kabinettskollegen türmen sich. So hält es Bauministerin Barbara Hendricks (SPD) für notwendig, die Zahl der neuen Wohnungen von 270.000 im Jahr 2015 auf 350.000 in diesem Jahr zu erhöhen. Das würde voraussetzen, dass Schäuble die Fördermittel noch einmal verdoppelt.

Taktiererei in der Asylpolitik

Marokko, Tunesien und Algerien sollten als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden, um Asylbewerber aus dieser Region zügig abschieben zu können. Nun wartet die Koalition den Wahlsonntag ab; und ob sie nach dem 13. März unverändert Rücksicht auf die Grünen im Bundesrat nehmen muss, die bisher in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg regieren. Werden sie rausgewählt, sind sie im Bundesrat nicht mehr das Zünglein an der Waage. Bei der Taktiererei verstreicht viel Zeit.

Als frühester Termin für die endgültige Verabschiedung im Bundesrat gilt intern der 17. Juni. Immerhin: Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hat die Zeit des Stillstands genutzt und ist durch die nordafrikanischen Staaten getourt.

Bewegung kommt momentan auf einem anderen Gebiet auf: Der Europäische Gerichtshof hat in dieser Woche entschieden, dass Deutschland Migranten vorschreiben kann, wo sie zu wohnen haben, wenn es der Integration dient. Wenigstens diese sogenannte Residenzpflicht kann der Innenminister in Angriff nehmen.

Zeitarbeit und Werkverträge

Längst wirkt sich Merkels Streit mit der CSU über die Flüchtlingspolitik auf die Arbeit der gesamten Politik aus. Die Bayern spekulieren darauf, dass Merkel Handlungsfähigkeit demonstrieren will und der Schwesterpartei bei verschiedenen Streitpunkten entgegenkommen würde. Ein Spitzengespräch der Unionsparteien brachte am Mittwoch aber kein Ergebnis.

Beispiel Arbeitsmarkt: Die CSU hat eine lange Liste mit Einwänden gegen das Gesetz, mit dem Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) schärfere Regeln für Leiharbeit und Werkverträge durchsetzen will. Dabei hat Nahles schon viel Kritik berücksichtigt. Die Metallarbeitgeber und CDU-Wirtschaftspolitiker jedenfalls können mit dem neuen Entwurf leben – die CSU aber nicht. Die IG Metall vermutet dahinter die bayerischen Arbeitgeber.

Der Hauptvorwurf an Nahles: Ihr Gesetz geht über den Koalitionsvertrag hinaus. Dort steht zum Beispiel, dass Leiharbeiter maximal 18 Monate in einem Betrieb eingesetzt werden können. Im Gesetzentwurf aber, so die CSU, finde sich noch eine zweite Grenze von 24 Monaten für Betriebe, in denen kein Tarifvertrag gilt. Das sei „weder notwendig noch sachgerecht“. Darüber hinaus vermissen die Christsozialen eine Definition, was unter „gleicher Bezahlung“ der Leiharbeiter zu verstehen ist. Sie wollen auch verhindern, dass Leiharbeiter Einfluss auf die Unternehmensmitbestimmung bekommen. Nahles wirft der Union nun „strategische Spielchen“ vor.

Zeitdruck bei der Erbschaftssteuer

Anders als bei der Leiharbeit und bei den Zeitverträgen gibt es bei der durch das Veto der CSU auf Eis gelegten Reform der Erbschaftsteuer massiven Zeitdruck. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom Dezember 2014 festgelegt: „Der Gesetzgeber muss bis 30. Juni 2016 eine Neuregelung treffen.“ Bis dahin muss ein neues Gesetz in Kraft sein. Welches Recht im Juli ohne neues Gesetz gilt, ist umstritten. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat den Unternehmern signalisiert, sie hätten dann große Nachteile.

Die Einigung, die die CSU blockiert, datiert von Mitte Februar. Daran wirkten auch die CSU-Bundestagsabgeordneten mit. Dann gab es Nachforderungen aus München, die darauf hinauslaufen, die Ausnahmen von der Erbschaftsteuer so groß wie möglich zu machen. Zum Beispiel sollen die Betriebe, die problemlos steuerfrei weitervererbt werden können, nicht nur drei, sondern fünf Mitarbeiter haben können. Auch soll das Privatvermögen, das eventuell berücksichtigt wird, nur zu einem Teil berücksichtigt werden.