Berlin. Die EU kriegt die Flüchtlingskrise nicht in den Griff. An Mahnungen und Warnungen fehlt es nicht, wohl aber an Konzepten. Eine Analyse.

In der Flüchtlingskrise werden die Gräben innerhalb Europas immer tiefer. Ein abgestimmtes Vorgehen ist kaum noch erkennbar. Stattdessen: Politische Alleingänge allerorten. „Wir haben keine Linie mehr, wir steuern irgendwie in eine Anarchie hinein“, warnte am Donnerstag Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn, noch einer der Besonnenen in der tiefsten Krise der EU.

Alles blickt nun auf den EU-Türkei-Gipfel am 7. März. Gelingt der EU in den bis dahin verbleibenden zwei Wochen die Wende zu einem gemeinsamen Vorgehen? Zweifel sind angebracht, angesichts der verworrenen Lage und der Zerstrittenheit. Steht die viel beschworene europäische Wertegemeinschaft vor dem Zerfall? Der Versuch eines Überblicks:

Österreich verprellt griechische Regierung

Österreich, bis vor kurzem noch eng an der Seite der deutschen Bundeskanzlerin, hat gerade erst im Alleingang Obergrenzen für den Zuzug eingeführt. Außerdem berief die Regierung in Wien eine Balkankonferenz ein – ohne den Schlüsselstaat Griechenland. Die Regierung Tsipras rief darauf seine Botschafterin aus Wien zurück.

Das Nicht-EU-Land Mazedonien zieht unverdrossen an der Grenze zu Griechenland dichte Zäune hoch und lässt bis auf weiteres nur wenige Syrer und Iraker passieren. Die Folge: Auf der Balkanroute nördlich von Mazedonien nimmt die Zahl der Flüchtlinge und Migranten derzeit ab – während sie sich in Griechenland stauen, weil der Zuzug aus der Türkei keineswegs nachlässt: Schlepperbanden hätten in den vergangenen sieben Tagen mehr als 12.000 Menschen aus der Türkei über die Ägäis zu den griechischen Inseln gebracht, teilte die griechische Küstenwache mit.

Athen droht mit Blockade der EU

In droht deshalb Ministerpräsident Alexis Tsipras der EU mit einer Blockade aller politischen Beschlüsse, so lange die vereinbarte gleichmäßigere Umverteilung von Flüchtlingen auf die Mitgliedstaaten nicht umgesetzt werde. Dafür gibt es aber weiter keine Anzeichen.

Zuvor hatte Ungarns umstrittener Regierungschef Viktor Orbán angekündigt, sein Volk über den Plan der EU zur Verteilung von Flüchtlingen abstimmen lassen. Orbán rief ein nationales Referendum über den Quotenplan der Gemeinschaft aus – und irritierte damit wieder einmal die Partnerländer. „Wir können nicht verstehen, wie das zum Entscheidungsprozess passt, der von allen EU-Mitgliedstaaten, Ungarn eingeschlossen, nach den EU-Verträgen vereinbart worden ist“, meinte kopfschüttelnd eine Sprecherin der EU-Kommission in Brüssel.

Ende September hatten sich die EU-Innenminister nach langem Streit auf die Verteilung von 120.000 Flüchtlingen über den Kontinent geeinigt – allerdings gegen den Widerstand mehrerer Länder. Tschechien, die Slowakei, Rumänien und Ungarn hatten dagegen gestimmt. Ungarn soll demnach 2100 Flüchtlinge aufnehmen.

De Maizière warnt vor Zerfall der Gemeinschaft

Schweden hatte bereits Anfang Januar wegen des Flüchtlingsandrangs erstmals seit mehr als 50 Jahren wieder Ausweiskontrollen für Einreisende aus Dänemark eingeführt. Im letzten Jahr hatte das Land mehr als 160.000 Flüchtlinge aufgenommen. Daraufhin hat die schwedische Regierung das Asylrecht verschärft – wie auch Deutschland mit dem am Donnerstag beschlossenen Asylpaket II.

Dänemark folgte dem Beispiel des nördlichen Nachbarn und führte wieder Kontrollen an der Grenze zu Deutschland ein – und hat diese Praxis gerade erst bis zum 4. März verlängert.

Angesichts dieser Gemengelage warnte der deutsche Innenminister Thomas de Maizière (CDU) am Donnerstag fast schon beschwörend vor einem Zerfall der Gemeinschaft: „Das ist allen Beteiligten klar in Europa: Dass die Dinge sich ändern müssen, wenn Europa zusammenbleiben soll.“ Und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) diagnostizierte, der Zustand der EU sei im Augenblick „zum Schreien“. Grenzschließungen seien keine Lösung: „Der Plan B ist Scheiße, weil er nicht funktioniert“, so Gabriel. (mit Material von dpa)