Bei der Vernetzung und Nutzung lebenswichtiger Patientendaten hinkt Deutschland im europäischen Vergleich hinterher.

Hamburg. Kürzlich jährte sich zum zehnten Mal der sogenannte Lipobay-Skandal. Das cholesterinsenkende Medikament musste vom Markt genommen werden, da es zu Todesfällen wegen unerwünschter Wechselwirkungen gekommen war. Ein Hauptproblem war, dass unterschiedliche Ärzte verschiedene Medikamente verschrieben hatten und der eine vom anderen nichts wusste. Kurz darauf kam der Startschuss für die elektronische Gesundheitskarte, die eine Speicherung wichtiger Patientendaten erlauben soll, etwa verschriebene Arzneimittel und mögliche Medikamentenunverträglichkeiten.

Zehn Jahre später sind die ehrgeizigen Pläne zur elektronischen Gesundheitskarte kaum umgesetzt; viele wichtige Lösungen wie die elektronische Patientenakte oder das elektronische Rezept wurden sogar auf Eis gelegt. Zwar setzen neun von zehn niedergelassenen Ärzten Computer ein, doch werden diese oft nur wie bessere Schreibmaschinen genutzt. Denn niedergelassene Mediziner, Kliniken und Apotheker sind in aller Regel nicht vernetzt. Deshalb fehlt immer noch eine gemeinsame Dokumentation, wer welche Medikamente in welcher Dosis verschreibt. Der Patient wird mit der Bewertung von möglichen Wechselwirkungen meist allein gelassen.

Im Grunde befürworten die meisten Ärzte die Möglichkeiten der Gesundheitstelematik, also den Einsatz von Telekommunikation und IT und der Telemedizin, also der Diagnose oder Therapie aus der Ferne. Das war eines der Ergebnisse des eHealth-Reports der Bundesärztekammer von 2010. Aufschlussreich waren vor allem die unterschiedlichen Positionen: 92 Prozent der Klinikärzte befürworten Vernetzung und Telemedizin, bei den niedergelassenen Ärzten war es jedoch nur etwas mehr als jeder zweite.

Als Einwand gegen eine Vernetzung wird häufig auf mögliche Risiken im Datenschutz hingewiesen. Dabei bestätigen alle Datenschützer den deutschen Konzepten ein sehr hohes Sicherheitsniveau. Die deutsche Lösung verlangt den Besitz der Karte und die Eingabe einer persönlichen Geheimzahl. Nur dann können die Daten auf der Karte ausgelesen werden.

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Interessant ist, dass aktuell bei gesetzlich und privat Versicherten mit zweierlei Maß gemessen wird. Privat abrechnende Ärzte haben heute bereits keine Bedenken, ihre Abrechnung durch private Unternehmen durchführen zu lassen. Bei diesen Abrechnungen wird genau aufgeschlüsselt, welche Untersuchungen beim Patienten durchgeführt worden sind.

Die elektronische Gesundheitskarte ist in den vergangenen Jahren regelrecht kleingekocht worden, sinnvolle Lösungen wie das elektronische Rezept als Fundament einer soliden Arzneimitteldokumentation wurden auf unbestimmte Zeit zurückgestellt. Dabei können die nun geplanten Teillösungen den Ärzten, Kliniken und Kassen ihre Arbeit erleichtern. Sie dienen vor allem dem Patienten, und sie schaffen mehr Sicherheit: Mit dem Online-Update der Verwaltungsdaten kann der Arzt sicher sein, dass die Versichertendaten immer auf dem aktuellen Stand sind. Die Speicherung einiger medizinischer Basisdaten kann im Notfall schnell unterstützen. Und die sichere verschlüsselte Kommunikation von Arzt zu Arzt hilft den Medizinern. Denn heute werden Patientendaten und Arztbriefe unverschlüsselt durch die Netze gefaxt oder gemailt; Daten können abgefangen, gelesen, geändert oder gelöscht werden oder an falsche Adressaten gelangen. Hier werden professionelle Lösungen zur Verschlüsselung helfen.

Ein Meinungsforschungsinstitut hat in einer repräsentativen Umfrage ermittelt, dass rund 70 Prozent der Bundesbürger für die elektronische Gesundheitskarte sind. 2009 waren es 59 Prozent. Je jünger die Befragten, desto deutlicher der Zuspruch. Offenbar sehen die Patienten die Vorteile der elektronischen Karte sehr deutlich.

Vor zehn Jahren waren die deutschen Pläne ehrgeizig. Heute ist das deutsche Gesundheitswesen bei der Vernetzung im Vergleich mit den europäischen Nachbarn Schlusslicht. Neue Gesundheitskarten wurden in Italien, in Spanien, in Frankreich und Österreich ausgegeben. In Dänemark sind Ärzte und Apotheker schon sein 15 Jahren vernetzt, in Schweden seit zwölf Jahren - ohne Nebenwirkungen!

Volker Smid, 52, ist Vorsitzender der Geschäftsführung von Hewlett-Packard und Vizepräsident des Bundesverbandes Informationswirtschaft, Telekommunikation und Neue Medien (Bitkom)