Grünen-Spitzenkandidat Trittin kämpft gegen Pädophilie-Debatte und sinkende Umfragewerte. Beim Auftritt in Hamburg ist dem 59-Jährigen die Kritik an seiner Person anzumerken.

Hamburg. Es ist kein leichter Gang für Jürgen Trittin in diesen Tagen. In der entscheidenden Phase des Wahlkampfs hat die Pädophilie-Debatte nicht nur die Grünen eingeholt, sondern auch ihren Spitzenkandidaten. So ist dem 59-Jährigen die Kritik an seiner Person anzumerken, als er am Mittwochabend vor etwa 350 überwiegend applaudierenden Anhängern im Hamburger Stadtpark eintrifft. Trittin, von einer Veranstaltung aus seiner Geburtsstadt Bremen angereist, wirkt angeschlagen und müde. Doch er kämpft vier Tage vor der Bundestagswahl, attackiert den politischen Gegner beinah wie eh und je. Er scherzt ein wenig, lächelt hin und wieder und sagt mit fester Stimme: „Sorgen Sie für ein sehr gutes Hamburger Grünen-Ergebnis. Sie helfen mir damit.“

Jürgen Trittin war am Nachmittag bereits zum Interview in der Abendblatt-Redaktion und versprach Haushalten 50 Euro weniger Stromkosten. Fast zeitgleich sprach Peer Steinbrück auf dem Domplatz am Speersort bei seinem bekannten „Klartext-Open-Air“. Bundeskanzlerin Angela Merkel war am Abend ebenfalls in Hamburg. Die CDU-Chefin trat in der Fischauktionhalle auf.

Das traditionsreiche Landhaus Walter haben sich die Grünen für ihren Wahlkampfhöhepunkt ausgesucht. In einem Zelt im Garten des 1912 vom Architekten Fritz Schumacher erbauten Restaurant sollte zum Endspurt bis zum Urnengang am Sonntag aufgerufen werden – noch einmal alle Kräfte mobilisieren und gegen die ohnehin sinkenden Umfragewerte ankämpfen. Stattdessen müssen sich Trittin und seine Wegbegleiter seit der Veröffentlichung der Ergebnisse des Parteienforschers Franz Walter erklären: Für ein Göttinger Kommunalprogramm von 1981, in dem unter anderem Straffreiheit für angeblich einvernehmlichen Verkehr mit Minderjährigen gefordert wurde, zeichnete der heutige Fraktionsvorsitzende im Sinne des Presserechts verantwortlich.

Von der Hamburger Landeschefin Katharina Fegebank und der Direktkandidatin Anja Hajduk begrüßt, betritt Trittin um 19.32 Uhr die Bühne. Noch kurz zuvor ruft ihm Fegebank auf seine Frage, wo die Sonne sei, zu: „Wir können dir nicht alles bieten. Wir haben mit ganz anderen Dingen umzugehen in diesem Wahlkampf.“ So ist auch die Stimmung unter den Zuschauern gemischt, wenngleich die zurufende Aufmunterung das enttäuschte Kopfschütteln an den Rand drängt. Trittin weiß, was seine Anhänger hören wollen und kommt schnell in seiner Rede auf die Pädophilie-Debatte. „Wir haben viel zu lange die falsche Haltung eingenommen“, sagt Trittin und distanziert sich abermals von der Forderung von 1981. Sie sei falsch gewesen. Es gebe keine Form einvernehmlicher Sexualität zwischen Erwachsenen und Kindern, die kein Missbrauch sei. Die Grünen müssten sich vorwerfen lassen, solche Ansätze zu lange zugelassen zu haben. Mittlerweile jedoch vertrete man diese Positionen schon seit 25 Jahren nicht mehr. Zudem habe man mit Walter einen kritischen Wissenschaftler gefunden, der die Geschichte „schonungslos und rücksichtlos“ aufarbeiten werde.

Dennoch äußert sich ein Anhänger am Rande fast schon resignierend: „Du kannst noch so viele Flyer verteilen, mit noch so vielen Menschen am Infostand sprechen, wenn so etwas wie die Pädophilie-Debatte passiert, hast du kaum noch eine Chance, einen normalen Wahlkampf zu machen.“ Die eigentlichen Themen der Grünen, über die Trittin an diesem Abend auch spricht – wie Mindestlohn, Mietpreisbremse und Steuergerechtigkeit – seien in den Hintergrund gerückt.