Der SPD-Kanzlerkandidat präsentiert sich selbstbewusst auf dem Domplatz am Speersort. Beifall für seine Wahlkampfthemen wie Mietpreisbremse, Spitzensteuersatz, Pflegereform und Mindestlohn.

Hamburg. Die SPD mobilisierte alle Kräfte auf dem Domplatz am Speersort, wo Kanzlerkandidat Peer Steinbrück mit seiner 20. „Klartext-Open-Air“-Tour zum Wahlkampffinale noch einmal für sich und die Sozialdemokratie warb. Heiter bis wolkig traf dabei nur auf das Wetter, jedoch nicht auf die Stimmung der rund 4000 Zuschauer zu, die an den roten, sternförmig zur kleinen runden Bühne aufgestellten Tischen Platz nahmen. Bei Blasmusik, mit Bier und Kaffee stimmten sich die Besucher unter freiem Himmel erwartungsfroh auf den Auftritt von Peer Steinbrück ein, die Smartphones zum Fotografieren griffbereit neben sich.

Am Abend sprach fast zeitgleich der Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin zum Wahlkampfhöhepunkt im Landhaus Walter im Stadtpark. Jürgen Trittin war am Nachmittag bereits für ein Interview in der Abendblatt-Redaktion und versprach Haushalten 50 Euro weniger Stromkosten. Angela Merkel war am Abend ebenfalls in Hamburg. Die CDU-Chefin trat in der Fischauktionhalle auf.

Auch Julia Steif aus Bochum fiebert Steinbrücks Auftritt entgegen. Ihn einmal live zu erleben ist für die Bankkauffrau, die seit ihrem 16. Lebensjahr SPD-Anhängerin ist, ein besonderes Erlebnis. Bewunderung schwingt in ihrer Stimme mit, wenn sie über den Kanzlerkandidaten spricht. Seine Angriffslust, Zielstrebigkeit und sein Charisma faszinieren sie. „Das ist ein Mann, der etwas nach vorne bringt.“ Ihr Mann, ein gebürtiger Hamburger, sieht das anderes. Knuth Meyer-Soltau ist nur mitgekommen, um seiner Liebsten einen Gefallen zu tun. Der 48-Jährige wählt AfD, die Alternative für Deutschland. Ob ihn Herr Steinbrück heute umstimmen kann? „Vermutlich nicht“, sagt er. Aber wer weiß. Neben Neugierigen und noch Unentschlossenen scheinen es aber vor allem überzeugte Sozialdemokraten, Fans von Steinbrück zu sein, die auf dem Domplatz zusammenkamen, mit „Meine Peerle!“-Plakaten wedelten und trotz der herbstlichen Temperaturen gut gelaunt auf den 66-Jährigen warteten.

Unter großem Jubel betritt Peer Steinbrück um Punkt 19.30 Uhr gewohnt lässig und die rechte Hand zum Victory-Zeichen geformt das Podest. Sich hinter einem Rednerpult zu verschanzen ist nicht sein Ding. Er will in der Mitte der Bürger sein. Deshalb gibt es keine Showbühne mit abgetrenntem Mitgliederbereich. „Ich laufe hier zwar wie ein hospitalistischer Tiger bei Hagenbeck herum, aber dafür kann ich Sie sehen und bemerke, wenn Sie murrig werden.“ Sein Dialog auf Augenhöhe kommt an bei den Menschen, deren Fragen er beantworten will. „Anschließend halte ich eine 120-minütige Rede.“ Den Scherz hat er bereits beim Auftakt seiner „Klartext-Open-Air“ Anfang August in Hamburg gebracht, aber Die Lacher hat er auf seiner Seite.

Steinbrück präsentiert sich selbstbewusst, ironisch, wettert gegen die schwarz-gelbe Bundesregierung, erntet immer wieder Beifall für seine Wahlkampfthemen wie Mietpreisbremse, Erhöhung des Spitzensteuersatzes, Pflegereform und Mindestlohn. Was ist ihre erste Tat am 22. September? lautet die erste Frage aus dem Publikum. Die Antwort kommt prompt. „Ausschlafen, dann mit meiner Frau frühstücken“, sagt Steinbrück, bevor er auf sein 100-Tage-Programm eingeht. Besonders wichtig seien für ihn, einen flächendeckenden Mindestlohn einzuführen, das „saudämliche Betreuungsgeld“ abzuschaffen und das Geld in die Kitas, die frühkindliche Bildung und die Bezahlung der Erzieherinnen zu stecken. Zustimmendes Nicken. Bravo-Rufe. „Und wir wollen gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit durchsetzen“, so der Kanzlerkandidat. Auch Seitenhiebe auf Angela Merkel, für die er sich ein „Ministeramt für Ungefähres“ vorstellen könnte, kommen bei Steinbrücks Auftritt nicht zu kurz. „Ja, die Merkel ist heute Abend irgendwo am Fischmarkt“, sagt er und grinst. Dagegen sei nichts einzuwenden. „Da war ich lange Parkwächter. Mit 16. Das war eine Karriere.“ Müdigkeit ist dem Mann mit dem entschlossenen Zug um Mund und Augen auch nach wochenlangem Wahlkampf nichts anzumerken. Dass sich die Wahlkampfwochen gelohnt haben und er am 22. September Angela Merkel ablöst, davon sind zumindest viele Zuschauer, die Steinbrück gestern auf dem Domplatz umjubelten, überzeugt. „Sonst würden wir hier nicht sitzen“, sagt eine ältere Dame. Dem kann sich Julia Steif nur anschließen.