Die Kanzlerin bekennt sich trotz der Kostenexplosion zu Stuttgart 21. Doch weitere unangenehme Überraschungen will Merkel nicht mehr erleben.

Stuttgart/Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) haben die Bahn aufgefordert, die Finanzplanung für Stuttgart 21 offenzulegen. „Weitere Kostenüberraschungen darf es da nicht geben“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Dienstag in Berlin. Merkel stehe zu dem Projekt, jedoch müsse die Bahn alle Zahlen auf den Tisch legen.

Kretschmann appellierte an die Bahn, für die Durchfinanzierung von Stuttgart 21 zu sorgen. Andernfalls könne man Großprojekte nicht bauen. „Das verstehen nun wirklich Lieschen Müller und Klein Fritzchen seit BER“, sagte er in Anspielung auf die Pannen beim Großflughafen Berlin-Brandenburg.

Die Bahn hatte im Dezember von zusätzlichen Kosten und Risiken von bis zu 2,3 Milliarden Euro berichtet – somit würde S21 bis zu 6,8 Milliarden Euro kosten. Bahnvorstand Volker Kefer sprach am Dienstag im Gespräch mit Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) über eine höhere Kostenbeteiligung der Stadt. Kuhn lehnte ab.

Seibert erklärte in Berlin, Merkels grundsätzliche Überzeugung, dass es sich bei Stuttgart 21 um ein wichtiges Vorhaben für die Region und Deutschland insgesamt handele, habe sich nicht geändert. Zugleich gelte jedoch: „Ein solches Projekt muss wirtschaftlich sein, und die Zahlen müssen stets überprüft werden.“

Es sei Aufgabe und Pflicht der Vertreter des Bundes im Bahn-Aufsichtsrat, Fragen zur Kostenentwicklung zu stellen. Wie die „Stuttgarter Zeitung“ ohne Angaben von Quellen berichtete, habe die Kanzlerin in einer Koalitionsrunde von der Bahn verlangt, Einsparpotenziale zu prüfen. Eine Ausstiegsdebatte vor der Bundestagswahl solle vermieden werden.

Kretschmann fühlt sich nach eigenen Worten an die Verträge und die Volksabstimmung zu Stuttgart 21 gebunden. Es sei nun Sache des Aufsichtsrates der Bahn, über den Fortgang des Projekts zu entscheiden. Baden-Württemberg habe bislang 112,7 Millionen Euro für Stuttgart 21 überwiesen. Das Land werde nicht mehr als die zugesagten 930 Millionen Euro zahlen, bekräftigte der Regierungschef.

Stuttgarts OB Kuhn sagte nach dem Gespräch mit Bahn-Technikvorstand: „Wir halten uns an den Finanzierungsvertrag.“ Darin ist der Beitrag der Kommune zu Stuttgart 21 mit knapp 292 Millionen Euro festgelegt. Dazu gebe es auch die entsprechenden Gemeinderatsbeschlüsse, unterstrich Kuhn.

Die Bahn hatte am Montag offizielle Gespräche mit den S-21-Projektpartnern eröffnet. Ziel: eine Beteiligung der Mitfinanziers an prognostizierten Mehrkosten von bis zu 2,3 Milliarden Euro über den bisherigen Kostenrahmen von 4,5 Milliarden Euro hinaus. Der Aufsichtsrat hatte sie aufgefordert, dafür die sogenannte Sprechklausel im Finanzierungsvertrag zu ziehen.

Auch Kuhn forderte belastbaren Informationen zu den neuen Kostenberechnungen, aber auch Einsparvorschläge: „Wir können ja keine Luftschlösser bauen.“ Nach Ansicht des Bunds für Umwelt und Naturschutz (BUND) darf die Bahn die Bürger nicht weiter zur „Melkkuh“ für alle weiteren Kostensteigerungen des „praktisch gescheiterten Prestigeprojekts“ machen. Der Bau müsse gestoppt und Alternativen sollten erarbeitet werden, verlangte Landeschefin Brigitte Dahlbender.

Dagegen hieß es im Stuttgarter FDP-Kreisvorstand: „Die Sprechklausel ist mehr als eine Einladung zum grünen Tee beim Verkehrsminister.“ Für die Mehrkosten bei den Verbesserungsvorschlägen, beispielsweise beim Filderbahnhof, gelte: „Wer bestellt, bezahlt.“ Dem schloss sich die CDU-Verkehrspolitikerin Nicole Razavi an. SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel sagte nach einem Treffen mit Kefer, die Bahn müsse sich für S 21 besser aufstellen und endlich die bereits anvisierte Projektgesellschaft für das Vorhaben gründen.