Was ist die Wahrheit? Das fragt sich derzeit die Bundesrepublik in Sachen des Privatkredits für Bundespräsident Wulff von einem Unternehmer. Wulff selbst schweigt.

Berlin. Der erste Mann im Staat: Gelten für ihn andere Regeln? Hat er formal oder auch moralisch richtig geantwortet? Hat der Privatkredit sein Handeln beeinflusst? Viele Fragen, doch keine Antworten. Zumindest noch nicht von Wullff selbst. Die Kanzlerin hat ihm heute zumindest ihr volles Vertrauen ausgesprochen.

Gute Ratschläge gab es für Christian Wulff gab es an diesem Mittwoch genug. Ob sie alle gut gemeint waren, steht auf einem anderen Blatt. Tag zwei im Wirbel um einen Privatkredit über 500 000 Euro. Der Bundespräsident – eben von einer sechstägigen Reise in die Golfregion zurückgekehrt – absolviert sein Programm: der tadschikische Präsident im Schloss Bellevue, der frühere japanische Ministerpräsident auch, am Abend die Verleihung des Deutschen Zukunftspreises. Kein Wort zu den Vorwürfen, im Landtag von Hannover nicht die ganze Wahrheit gesagt zu haben über das Darlehen der Unternehmergattin Edith Geerkens.

Am Mittag lässt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ganz offiziell ihr „vollstes Vertrauen“ in die Person und die Amtsführung von Christian Wulff verkünden. Keine Überraschung, und doch ein klares Signal, dass die schwarz-gelbe Koalition eine Eskalation der Affäre verhindern will. Gerade hat FDP-Generalsekretär Christian Lindner seinen Rücktritt erklärt, genug für das gebeutelte Regierungsbündnis, zumindest für diesen Tag. Für einen Moment sieht es so aus, als sei für Wulff das Schlimmste ausgestanden.

+++ Der Bundespräsident und die 500.000-Euro-Frage +++

+++ Wulff bereut USA-Flug: "Das war ein Fehler" +++

Rein rechtlich erscheint die Sache klar: Wulff hat die Frage im Landtag nach seiner Geschäftsbeziehung zum Osnabrücker Unternehmer Egon Geerkens formal korrekt beantwortet (es gibt keine), aber wegen des Darlehens von Frau Geerkens auch nicht alles gesagt, was er hätte sagen können. Wenn, wie die „Financial Times Deutschland“ in ihrer Online-Ausgabe berichtet, Egon Geerkens sogar das Nachfolgedarlehen bei der BW Bank eingefädelt haben soll, dann ist die Wahrheit Wulffs insgesamt noch ein bisschen unvollständiger, auch wenn das Privatdarlehen erst nach der Aussage im Landtag abgelöst wurde.

Noch ist der Bundespräsident nicht in Sicherheit. Er solle sich endlich öffentlich äußern, rät der Politikberater Michael Spreng. Am besten gar nichts sagen, meint der Politologe Gerd Langguth, der von einem „Sturm im präsidialen Wasserglas“ spricht. Wulff scheint entschlossen zu schweigen. Er ist sich keines Fehlers bewusst. Aber er dürfte ahnen, dass etwas hängen bleiben könnte.

Die „Bild“-Zeitung, die die Affäre am Dienstag ins Rollen gebracht hatte, kommentiert die Reaktion des Bundespräsidialamtes am Mittwoch: „Das reicht nicht, Herr Wulff.“ Das Boulevardblatt erinnert daran, dass Politiker selten über eine Affäre stolpern, sondern darüber, wie sie mit ihr umgehen.

Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Horst Köhler oder zu Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hält Wulff größeren Abstand zur „Bild“-Zeitung. Es ist kein Geheimnis, dass das Verhältnis zwischen Wulff und dem Springer-Verlag nicht frei von Spannungen ist.

Auch andere Kommentatoren nehmen sich Wulff vor. Gerne wird die unvollständige Aussage über sein Verhältnis zu Geerkens in Beziehung gesetzt zu einer eher noch mageren Bilanz seiner eineinhalb Jahre im Amt. Vielleicht bestätigt sich nun, was viele schon im Juni 2010 befürchteten, dass nämlich die Wahl eines langjährigen Parteipolitikers und Strippenziehers in das höchste Amt des Staates ein Risiko bedeutet.

Auch Wulffs Vor-Vorgänger Johannes Rau musste eine Flugaffäre durchstehen. Dabei ging es um Reisen auf Kosten der WestLB, in seiner Zeit als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen. „Der Bundespräsident als moralische Instanz wird mit ganz anderen Kriterien gemessen“, sagt der Politikwissenschaftler Gerd Langguth. Dumm nur, wenn Fehler aus dem früheren Leben als Ministerpräsident ihren Schatten auf das höchste Amt im Staat werfen.

Wulff selbst, und daran erinnern nicht wenige an diesem Mittwoch, hat in der Air-Berlin-Affäre, als es um die Heraufstufung seines Fluges nach Florida ging, Fehler eingeräumt und zugegeben, dass Politiker jeden Anschein einer Besserstellung durch ihre guten Kontakte zu Unternehmern vermeiden sollten. „Insofern hat er selber einen hohen Anspruch an sein Tun und Unterlassen hier formuliert“, bemerkt Edda Müller von Transparency International Deutschland. Einen Fehler zugeben müsste Wulff nach dieser Logik auch jetzt. (dpa)