Kurz vor dem fünften Jahrestag des Mordes an der Kremlkritikerin präsentieren Ermittler den mutmaßlichen Organisator der Bluttat.

Moskau. Im Fall der 2006 ermordeten kremlkritischen Journalistin Anna Politkowskaja haben die Fahnder nach eigenen Angaben eine heiße Spur. Russische Ermittler nahmen den mutmaßlichen Organisator der Bluttat fest, die vor knapp fünf Jahren in der ganzen Welt für Entsetzen gesorgt hatte. Und es gebe neue Hinweise auf den Drahtzieher, sagte der Sprecher der Ermittlungsbehörde, Wladimir Markin, am Mittwoch in Moskau. Doch den Namen gab er nicht preis, dafür sei es zu früh. Zweifel bleiben, vor allem bei Angehörigen. „Wir müssen immer noch beweisen, dass er der Organisator ist“, sagt Sohn Ilja Politkowski über den festgenommenen Ex-Oberstleutnant Dmitri P.. Und er fordert Informationen über die Auftraggeber: „Es ist wichtig, dass er über die gesamte Kette spricht.“

Der Fall der im Alter von 48 Jahren ermordeten Politkowskaja gilt als Symbol für die Brutalität gegen regierungskritische Journalisten in Russland. Vor dem fünften Jahrestag des Verbrechens am 7. Oktober 2006 stehen die Ermittler unter besonderem Druck. Die internationale Gemeinschaft fordert seit langem Aufklärung. Der Abschluss der Ermittlungen sei für Russland „eine Frage der Ehre“, sagt der Menschenrechtsbeauftragte des Kremls, Michail Fedotow. Das gelte auch für ähnliche Fälle wie den ebenfalls nicht aufgeklärten Mord an der Journalistin und Bürgerrechtlerin Natalia Estemirowa 2009. Der Verdächtige P. ist ein krimineller Staatsdiener, der bei einer geheimen Polizeieinheit diente. Im ersten – gescheiterten – Prozess 2008 wusste er als anonymer Zeuge der Staatsanwaltschaft über wichtige Details Bescheid. Danach kam P. in ein Zeugenschutzprogramm. „Wir hatten schon lange den Verdacht, dass er involviert sein könnte“, sagt Anna Stawizkaja, die Anwältin der Familie.

Den Mordauftrag erhält P. offenbar von einem Unbekannten, als er noch im Polizeidienst ist. Daraufhin spioniert er Politkowskaja tagelang aus – gegen einen Stundenlohn von 100 US-Dollar. So erzählt es Dmitri Muratow, der Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung „Nowaja Gaseta“, für die auch Politkowskaja schrieb. „Er hatte keine persönlichen Motive“, sagt Muratow nach Angaben der Zeitung „Iswestija“ vom Mittwoch. P. heuert angeblich Killer an, übergibt ihnen Waffe und Schalldämpfer. Menschenrechtler sprechen nun von Fortschritten – aber längst nicht von einem Durchbruch.

„Zweifellos handelt es sich bei dem Auftraggeber um einen einflussreichen und mächtigen Menschen“, sagt Waleri Borschtschew von der Moskauer Helsinki Gruppe. Viele Regierungskritiker bezweifeln, dass der echte Drahtzieher je genannt wird. Bürgerrechtler hatten immer wieder von einer möglichen Verwicklung der Moskauer Führung in den Mord gesprochen. Die Reporterin war die schärfste Kritikerin des damaligen Präsidenten und heutigen Regierungschefs Wladimir Putin.

Todesschütze ist nach Auffassung der Ermittler der Tschetschene Rustam Machmudow. Er wurde Ende Mai in seiner Heimat im Nordkaukasus festgenommen. Mit fünf Schüssen soll er Politkowskaja vor ihrer Wohnungstür kaltblütig ermordet haben. Danach marschierte er aus dem Haus im Stadtzentrum, Komplizen brachten ihn mit einem Auto des Typs Lada Was 21043 zur Metrostation Nowoslobodskaja. Dort verschwand er. Eine Spur in den Nordkaukasus gilt durchaus als möglich. Politkowskaja hatte in der von Stammesclans und Islamisten geprägten Region viele Feinde. Die mit internationalen Preisen ausgezeichnete Journalistin schrieb wiederholt über Auftragsmorde, Folter und Entführungen in dem Konfliktgebiet.

Familie und Freunde der couragierten Reporterin hoffen nun, dass die Ermittler gründlicher gearbeitet haben als zuvor. Bereits 2007 waren mehrere Polizisten festgenommen, doch mangels Beweisen wieder freigelassen worden. Auch der Prozess 2008 scheiterte. Freigesprochen wurden damals zwei Brüder Machmudows und ein Ex-Polizist. (dpa/abendblatt.de)