In London herrscht das Chaos: Häuser brennen, Läden werden geplündert. Die Randalierer nutzen die modernen Technologien und formieren sich über den Messenger von Blackberry. Doch auch die Aufräumarbeiten werden mobil organisiert, über Twitter. Unterdessen haben Hacker den firmeneigenen Blog des BlackBerry-Herstellers RIM gehackt und davor gewarnt, mit der Polizei zusammenzuarbeiten.

London/Berlin. Die Unruhen in England haben den Status 2.0 angenommen. 2.0 bedeutet in der Computersprache, dass es von einer älteren Version einer Software eine neue, eine zweite Version gibt. Auf London bezogen bedeutet das, dass die Unruhestifter nicht mehr mit Megafonen die Massen zur Unruhe bewegen, sonder mobil geworden sind. Doch nicht Facebook und Twitter werden bei den Unruhen in London genutzt. Medien berichtet, dass die Wahl auf ein geschlossenen Chat-Dienst fällt, der auf BlackBerry-Handys läuft - diese sind bei britischen Jugendlichen populär. Mit dem BlackBerry schicken sich die Randalierer Nachrichten und sprechen sich ab, wo sie welche Läden plündern oder in Brand setzen.

Dieser Messenger erlaubt es, Nachrichten an geschlossene Nutzergruppen zu schicken. Ein Nutzer habe "jedermann von allen Seiten Londons“ aufgefordert, Geschäfte in der berühmten Einkaufsstraße Oxford Street zu plündern, berichtete etwa der "Guardian“: "So come get some (free stuff!!!)“, heißt es in der Nachricht – also in etwa: Kommt und bedient Euch.

Der BlackBerry-Hersteller RIM reagierte mit einer dürren Mitteilung via Twitter. Das Unternehmen kündigte an, den britischen Behörden zu helfen – wie, ließen die Kanadier aber offen. "Wir fühlen mit den Betroffenen der Krawalle in London mit“, versicherte der Blackberry-Betreiber.

Daraufhin ist der firmeninterne Blog von RIM Ziel einer Cyber-Attacke geworden, nachdem er im Zuge der Krawallen in London eine Kooperation mit der Polizei ankündigte. Hacker schrieben zeitweise in den Blog: "Sie werden der Polizei nicht helfen.“ Der Beitrag war Mittags zeitweise auf der Konzernseite blogs.blackberry.com zu sehen.

Der Blog war am Abend nicht mehr zu erreichen. Im Internet und auf Fachblogs kursierten jedoch Fotos von der gehackten Seite. Ein RIM-Sprecher bestätigte überdies dem "Guardian“ diesen Vorfall.

Randalierer stimmen sich über BlackBerry ab

Am Montag hatte die kanadische Firma RIM in einem offiziellen Profil auf dem Kurznachrichtendienst Twitter vage angekündigt, die Behörden in London "so gut wie möglich zu unterstützen“. Die Krawalle in der britischen Hauptstadt wurden zuletzt vor allem mit Mitteilungen über den "BlackBerry Messenger“ koordiniert.

Die Hacker befürchteten, die Ermittler könnten Verbindungsdaten für das Chat-System "BlackBerry Messenger“ erhalten. Sie mahnten, dann könnten letztlich auch "unschuldige Bürger, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren, für nichts bestraft werden“.

"Wir haben Zugang zu Ihrer Datenbank“

Eine Weitergabe der Verbindungsdaten würde RIM bedauern, schrieben die Hacker: "Wir haben Zugang zu Ihrer Datenbank, Angaben zu Angestellten inklusive.“ Sie drohten konkret mit einer Veröffentlichung. Ob sie diese Daten wirklich kopiert hatten, blieb zunächst offen.

Ein Zugriff auf die Mitteilungen des Blackberry Messengers wäre theoretisch möglich: Die Nachrichten werden laut dem Fachmagazin Heise vor der Übertragung verschlüsselt, sie lagern aber auf den Servern des Unternehmens und benutzen alle den gleichen Schlüssel. Allerdings ist unklar, ob RIM den riesigen Datenstrom überhaupt protokolliert und somit nachträglich Aufrührer finden könnte. Eine wichtige Unterscheidung: Die Blackberry Enterprise Services (BES), die viele Unternehmen für ihren E-Mail-Verkehr nutzen, gilt im Gegensatz zum Messenger als abhörsicher.

Die Polizei hatte zuvor Twitter ins Visier genommen und angekündigt, Aufrufe zu Gewalt und Plünderungen über den Kurznachrichtendienst streng zu verfolgen. Londons stellvertretender Polizeichef Stephen Kavanagh sagte: "Soziale Medien und andere Methoden wurden genutzt, um diese Ausmaße an Gier und Kriminalität zu organisieren.“ Nach einem Bericht des "Guardian“ bestätigte er zudem, dass Beamte nun gezielt nach Krawall-Aufrufen suchten. Diese würden ebenso bestraft wie mündliche Drohungen und wildes Plakatieren.

Dass öffentliches "twittern" auch Folgen haben kann, mussten einige Twitternutzer erkennen, deren Kommentare von den Medien aufgegriffen wurden. Sie ruderten schleunigst zurück. Der Nutzer "DanielNothing“ schrieb zuerst: "Heading to Tottenham to join the riot! who's with me? #ANARCHY“ (in etwa: Gehe nach Tottenham, um bei den Krawallen mitzumachen! Wer ist dabei?) Wenig später gab er an, mit seiner Freundin auf dem Sofa einen Film zu schauen. Und um ganz sicher zu gehen, folgte zusätzlich: "Ich gehe NICHT zu den Tottenham-Krawallen. Das war ein Witz. Vielleicht ein schlechter, aber trotzdem ein Witz.“

Andere User wie "AshleysAR“ relativierten ältere Tweets. Zunächst kündigte er an: "I hear Tottenham's going coco-bananas right now. Watch me roll up with a spud gun :ö“ (in etwa: Ich höre, in Tottenham geht's ab. Schaut, wie ich mit meiner Kartoffelkanone andampfe.) Später fragte er pikiert, warum die Randalierer gegen ihre eigene Heimatgegend vorgingen.

Dass die Blackberrys so zweifelhafte Schlagzeilen machen, ist kein Zufall. Die Geräte des kanadischen Herstellers Research in Motion (RIM) – hier als ständiger Begleiter von Geschäftsleuten bekannt - sind unter den Jugendlichen auf der Insel sehr beliebt, wie eine aktuelle Studie der britischen Medienaufsicht Ofcom verdeutlicht: Von den 16- bis 24-Jährigen hat mehr als jeder Dritte (37 Prozent) eines. Das iPhone, unter älteren Erwachsenen die klare Nummer 1, kommt in dieser Altersgruppe nur auf einen Marktanteil von 25 Prozent.

Die Macht der Technologie zeigte sich auch nach den Krawallen: Über Twitter organisieren sich Bürger, um die verwüsteten Stadtteile aufzuräumen und vor künftigen Attacken zu schützen. Am Dienstag startete das Twitter-Konto "Riotcleanup“, von dem aus Orte und Uhrzeit für Aufräumaktionen in die Welt gezwitschert wurden. "Lass uns an Morgen denken. Der erste Schritt ist, Liebe gegenüber unseren Nachbarschaft zu zeigen, die unsere Hilfe braucht“, schrieb der unbekannte Autor.

Zu den Unterstützern gehören prominente Künstler und Musiker. Die Pop-Sängerin Kate Nash etwa ermunterte ihre Follower, "Riotcleanup“ zu folgen: "Follow @Riotcleanup for all meeting points and info xxxxx“. Wenige Stunden später verfolgten mehr als 60.000 Nutzer die Nachrichten.

Von Julian Mieth und Christof Kerkmann