Doch Kassen, Arbeitgeber und Gewerkschaften kritisieren das neue Versorgungsgesetz. Aber was bringt es den Patienten?

Berlin/Hamburg. Deutschlands Landärzte und ihre Patienten dürften aufatmen. Denn die Honorare der in der Provinz rar gesäten Mediziner werden steigen. Dadurch sollen weitere Ärzte aufs Land gelockt werden, hofft der neue Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP), der das Versorgungsgesetz von seinem Vorgänger Philipp Rösler geerbt hat und es nun durchs Kabinett brachte. Allerdings gibt es heftige Kritik an den höheren Honoraren für die Ärzte. Denn das Geld muss an anderer Stelle im finanzgeplagten Gesundheitssystem eingespart werden. Und deshalb laufen Krankenkassen, Arbeitgeber und Gewerkschaften Sturm. Bei abendblatt.de finden Sie hier einen Überblick über die wichtigsten Punkte der neuen Regelungen.

Warum werden Landärzte besonders gefördert?

An Landärzten herrscht dramatischer Mangel. Durch finanzielle Anreize sollen Mediziner, vor allem junge, aufs Land gelockt werden. Altersbedingt hören in naher Zukunft viele Hausärzte in der Provinz auf. Außerdem sollen Ärzte von Reha- und Pflegeeinrichtungen in unterversorgten Gebieten Patienten auch von außerhalb behandeln können. Gemeinden soll Arztpraxen in Eigenregie betreiben können, bei Bedarf sind auch „rollende Arztpraxen“ vorgesehen. Nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) sind derzeit bundesweit 550 zur Patientenversorgung unbedingt notwendige Arztpraxen nicht besetzt.

Welche Maßnahmen sollen helfen?

Bislang werden die Honorare von Medizinern nur bis zu einer bestimmten Höhe bezahlt. Wer mehr arbeitet und mehr Patienten behandelt – und das tun die meisten –, der bekommt nicht mehr Geld. Künftig soll dieser Honorardeckel weg. Ferner strebt die Bundesregierung an, mit befristeten Zuschüssen an die Länder die Zahl der Medizin-Studienplätze zu erhöhen.

Experten schätzen, dass in den nächsten Jahrzehnten bundesweit bis zu 20.000 Ärzte fehlen werden. Damit Notdienste den einzelnen Arzt nicht so häufig treffen, sollen die KVen mit den Krankenhäusern kooperieren. Die Residenzpflicht wird aufgehoben: Ärzte müssen nicht mehr dort leben, wo sie ihre Praxis haben. Sie können künftig etwa in der Stadt wohnen, aber auf dem Land tätig sein. Ärztinnen sollen sich bis zu zwölf Monate lang wegen einer Entbindung vertreten lassen können. Um sich mehr um die Erziehung eines Kindes zu kümmern, bekommen Ärzte die Möglichkeit, bis zu 36 Monate einen Assistenten zu beschäftigen. Ärzte in ländlichen Gegenden sollen außerdem stärker durch Telemedizin entlastet werden und Leistungen an anderes medizinisches Personal delegieren können.

Was kostet das neue Gesetz?

Die Zuschläge für Mediziner, die sich in unterversorgten Gebieten niederlassen, werden nach Schätzungen des Gesundheitsministers Bahr rund 200 Millionen Euro zulasten der Krankenkassen betragen.

Dem stehen bislang nicht bezifferte Einsparungen gegenüber, weil unnötige Einweisungen in Krankenhäuser oder Krankentransporte vermieden werden sollen. Zudem können die Zahnärzte ein Plus von 120 Millionen Euro erwarten, weil die Berechnung ihrer Honorare umgestellt wird.

Neue Regelung bei Krankenkassen-Pleiten

Das Gesetz reagiert auch auf die Erfahrungen nach der Pleite der City BKK, deren Versicherte zum Teil von anderen Kassen abgewimmelt wurden. Künftig drohen einer gesetzlichen Kasse, die eine Mitgliedschaft ablehnt, verhindert oder erschwert, ein Zwangsgeld bis zu 50.000 Euro. Vorstände sollen für solche Fälle zudem persönlich haften.

So reagieren die Experten und Betroffenen

Bundesärztekammer-Präsident Frank Ulrich Montgomery hat das Versorgungsgesetz zur Bekämpfung des Ärztemangels auf dem Land begrüßt. Viele Teile des Gesetzes seien richtig, sagte Montgomery im Deutschlandfunk. Dem drohenden Mangel an Medizinern in dünn besiedelten Gebieten werde richtigerweise durch Anreize begegnet. Man könne allerdings darüber streiten, ob das Gesetz dabei weit genug gehe.

Die Krankenkassen halten das geplante Gesetz für unzureichend. Der Entwurf sei ein „Sammelsurium von Einzelmaßnahmen“, die nicht zu Verbesserungen führen würden, beklagte auch die rheinland-pfälzische Gesundheitsministerin Malu Dreyer (SPD). Der neue Chef der Krankenkasse Barmer GEK, Christoph Staub , äußerte Zweifel, dass die Maßnahmen greifen werden. Er sagte der „Rheinischen Post“: „Meine Sorge ist, dass die Herausforderung einer gleichmäßigen Verteilung von Ärzten nicht ausreichend angegangen wird.“ Insbesondere die Maßnahmen gegen die ärztliche Überversorgung in manchen Regionen kämen zu kurz, betonte er. Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Köhler , stellte sich hinter die Pläne der Bundesregierung: „Wir werden in den nächsten fünf Jahren 40.000 Ärzte ersetzen müssen, die aus Altersgründen ausscheiden“, sagte er dem ARD-„Morgenmagazin“.

Die Arbeitgeber betonten, dass sie Honorarzuwächse für Ärzte grundsätzlich ablehnen. „Es ist gesetzliche Aufgabe der Ärzteschaft, überall eine ausreichende ärztliche Versorgung sicherzustellen“, sagte ein Sprecher der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) der „Welt“. „Wenn die Ärzteschaft dazu bislang nicht in der Lage ist und deshalb der Gesetzgeber aktiv werden muss, darf diese Fehlleistung nicht noch mit einem Honorarzuwachs belohnt werden.“ Die Neuordnung der ärztlichen Versorgung müsse „kostenneutral“ erfolgen.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) nannte das Versorgungsgesetz „ein Zeugnis beispielloser Klientelpolitik“. „Statt die Gesundheitsversorgung für die Patienten zu verbessern, will die Koalition die Ärzte und Zahnärzte mit höheren Honoraren versorgen“, erklärte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach . Sie kritisierte, dass entstehende Mehrausgaben laut Gesetzentwurf sogar über Kopfpauschalen der Versicherten finanziert werden sollen: „Der Gipfel der Unverschämtheit ist dabei, dass der Steuerzuschuss für den ohnehin unzureichenden Sozialausgleich auch noch gekappt werden soll, wenn die Arzthonorare steigen.“ (abendblatt.de/dpa/dapd/rtr)