Am Ende beschlossen die Euroländern ein Rettungspaket von 109 Milliarden Euro. Kanzlerin Merkel setzte Bankenbeteiligung durch.

Brüssel. Erstmals machen bei dem gewaltigen neuen Hilfspaket für Griechenland auch Banken und Versicherungen mit. Das geht aus der Abschlusserklärung des Euro-Krisengipfels am Donnerstag in Brüssel hervor. Zu dem Maßnahmenbündel für Athen gehören günstigere Zinsen und längere Laufzeiten für Kredite. Die Rettungsaktion wird mit einem Gesamtvolumen von 109 Milliarden Euro beziffert. Das Paket stemmen die Euro-Partner und der Internationale Währungsfonds (IWF) sowie der Privatsektor, dessen Nettobeitrag mit zusätzlich 37 Milliarden Euro angegeben wird.

Dafür brechen die Staaten ein Tabu: Sie akzeptieren den vorübergehenden Zahlungsausfall Griechenlands. Denn die Einbeziehung privater Gläubiger würde dazu führen, dass die Ratingagenturen Griechenland für „teilweise zahlungsunfähig“ erklären würden. Damit wären griechische Banken von der Refinanzierung durch die Europäische Zentralbank (EZB) abgeschnitten. Sie halten nämlich viele griechische Staatsanleihen und sind darauf angewiesen, dass sie die Papiere auch weiterhin bei der Zentralbank als Sicherheit hinterlegen können.

Daher planen die Staats- und Regierungschefs eine Art Puffer für die griechischen Banken. Sie wollen den „Zahlungsausfall“ auf wenige Tage beschränken; außerdem sollen öffentliche Garantien Sicherheit schaffen.

Insbesondere die EZB hatte sich lange dagegen gewehrt, weil sie Turbulenzen an den Finanzmärkten fürchtet. Nun hat sie ihre Fundamentalopposition aufgegeben.

Griechenland war bereits 2010 mit internationalen Kreditzusagen von 110 Milliarden Euro vor der Pleite bewahrt worden. Davon stehen noch 45 Milliarden Euro aus. Dieses Paket reicht aber nicht mehr aus. Inzwischen hängen auch Portugal und Irland am internationalen Finanztropf; Italien und Spanien gelten als nächste Kandidaten.

Um die wirtschaftliche Erholung Griechenlands zu unterstützen, will die EU die für Athen vorgesehenen Zuschüsse für schwache Regionen neu verteilen. Die von Frankreich favorisierte Bankenabgabe ist dagegen vom Tisch.

Die Staats- und Regierungschefs wollen jenseits der Hilfe für Griechenland vor allem verhindern, dass sich die Krise zu einem nicht mehr beherrschbaren Flächenbrand auswächst. Der europäische Krisenfonds für finanzschwache Eurostaaten EFSF soll daher schon vorbeugend Geld bereitstellen, falls Euro-Länder in Gefahr geraten. Eine Aufstockung des EFSF soll es nicht geben.

Spanien und Italien werden in diesem Zusammenhang nicht ausdrücklich genannt; für die Finanzmärkte sind die beiden großen südeuropäischen Volkswirtschaften aber seit längerem die nächsten Wackelkandidaten. Vor allem Italien ächzt unter einem hohen Schuldenberg und fürchtet wegen der Skepsis der Ratingagenturen steigende Zinsen.

„Mit diesem Programm wollen wir die Probleme auch wirklich an der Wurzel anpacken“, hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel vor Gipfel-Beginn gesagt.

Die internationalen Märkte reagierten erleichtert: An allen wichtigen Börsen kletterten die Kurse; vor allem Finanzwerte profitierten. Der Eurokurs stieg bis zu 1,44 Dollar. Die Risikoaufschläge für Anleihen angeschlagener Euroländer gaben deutlich nach. Der deutsche Aktienmarkt bekam kräftig Auftrieb. So schloss der Dax, der am Vormittag noch Verluste verbucht hatte, fast ein Prozent höher bei 7290,14 Punkten.

Seit Wochen wurde über eine Beteiligung privater Gläubiger diskutiert, die vor allem Berlin forderte. Dies wird nun auf freiwilliger Basis erfolgen.

In dem Papier heißt es: „Der Finanzsektor hat seine Bereitschaft erklärt, Griechenland auf einer freiwilligen Basis mit einer Reihe von Optionen zu unterstützen (...)“. Dazu gehört beispielsweise der Umtausch von griechischen Anleihen in neue Bonds mit längeren Laufzeiten. Es wäre ein Novum, dass auch Banken und Versicherungen Athen unterstützen – und nicht mehr nur der Steuerzahler allein das Risiko tragen muss.

Deutschland habe bei den Verhandlungen im wesentlichen seine Linie behauptet, sagten Diplomaten. Frankreich haben sich mit der Bankenabgabe gegen Berlin nicht durchsetzen können.

Deutschland war dagegen, weil die Einnahmen nicht einzelnen Ländern, sondern der EU zur Verfügung gestellt werden sollten. Mit dieser Abgabe hätte man weitere Hilfen für Athen finanzieren können.

Damit Griechenland seine Kredite leichter zurückzahlen kann, sinken wohl die Zinsen und die Laufzeiten werden verlängert. Das von der Pleite bedrohte Griechenland werde vom Krisenfonds EFSF mit frischem Geld zu niedrigen Zinsen versorgt werden. Der Zinssatz soll sich auf rund 3,5 Prozent belaufen, heißt es in dem Papier. Die Laufzeiten der Kredite sollen von bisher siebeneinhalb auf mindestens

15 Jahre und bis zu 30 Jahre gestreckt werden. „Die Zeiträume müssen sich so erstrecken, dass die Griechen sich das leisten können“, sagte Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann.

Auch für Portugal und Irland, die ebenfalls von milliardenschweren Hilfsprogramm der Partner profitieren, sollen die Zinsen sinken. Der EFSF wird somit zum Ankauf von Staatsanleihen genutzt – aber nur unter strikten Bedingungen. Dies war von deutscher Seite bislang kritisch gesehen worden. Der EFSF wurde ursprünglich als Feuerwehr geschaffen, um Staaten vor der Pleite zu bewahren – wie bisher Irland und Portugal.

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Die Eurozone steht vor dem Befreiungsschlag: Mit einem 120 Milliarden schweren Rettungspaket für Griechenland, mit einem Beitrag der Banken von 17 Milliarden Euro und mit neuen Kreditzusagen für die anderen Sorgenkinder soll die Schuldenkrise endgültig eingedämmt werden. So sieht es der deutsch-französische Kompromissvorschlag aus der Nacht vor, den der Euro-Sondergipfel noch am Donnerstag beschließen sollte. „Ich bin sicher, dass wir eine gute Lösung für Griechenland und alle Euro-Staaten finden“, sagte EU-Kommissionschef José Manuel Barroso.

Mit dem Plan würde sich die Eurozone in vielen Bereichen auf Neuland wagen. Erstmals würde der Privatsektor in die Rettung einbezogen. Banken und Fonds sollen dafür ihre Griechenland-Anleihen in neue Papiere mit niedrigeren Zinsen und längeren Laufzeiten umtauschen oder die Konditionen verbessern. Sie müssten dafür auf 20 Prozent des Wertes verzichten – würden den Rest aber von den Euroländern garantiert bekommen. 17 Milliarden Euro sollen so zusammen kommen, verlautete aus Diplomatenkreisen. In den Vorbereitungen der Lösung hätten sich die Institute zum Mitmachen bereit erklärt, hieß es.

Heikle Operation im Herbst

Dafür würde die Währungsunion in Kauf nehmen, dass die Ratingagenturen Athen für die Zeit des Anleihenumtausches auf bankrott herabstufen. „Diese Möglichkeit wird nicht ausgeschlossen“, sagte Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker. Auch die Europäische Zentralbank (EZB) gab am Ende nach. Der Pleite-Zustand soll auf wenige Tage beschränkt werden, indem für sämtliche Anleihen quasi über Nacht neue Verträge geschlossen werden. Für die Überbrückungszeit müssen die Euroländer bei der EZB allerdings einen Milliardenbetrag als Sicherung einzahlen. Die heikle Operation werde wohl im Herbst erfolgen, hieß es, wenn alle komplizierten technischen und juristischen Details geklärt sind. Die Hoffnung ist, dass die Ratingagenturen so lange mit der Herabstufung warten.

Als zusätzliche Notmaßnahme ist vorgesehen, dass der Euro-Rettungsfonds EFSF griechische Altschulden zu Marktpreisen aufkauft. Besonders das war für die Berliner Koalition bislang eine rote Linie, den Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) angesichts des massiven Drucks zu einer Überwindung der Schuldenkrise aber überschreiten will.

Neben den 17 Milliarden Euro des Privatsektors und 30 Milliarden Euro aus griechischen Privatisierungserlösen sollen weitere gut 70 Milliarden von den Europartnern und dem Internationalen Währungsfonds in das Paket fließen. Zwölf Milliarden Euro sind notwendig, um die griechischen Banken abzusichern. Für die neuen Notkredite sollen die Zinsen von derzeit 4,5 auf 3,5 Prozent gesenkt und die Laufzeiten von 7,5 auf 15 oder 30 Jahre verlängert werden.

Neue Kreditzusagen gegen Ansteckungsgefahr

Durch die Beteiligung des Privatsektors droht dennoch eine erhebliche Ansteckungsgefahr, weil die Zinsen für Staatsanleihen anderer Wackelkandidaten nach oben schießen könnten. Aus dem Grund hatte sich die EZB erbittert dagegen gestemmt. Um die Gefahr zu bannen, sollen auch für Portugal und Irland die Zinsen der laufenden Kreditprogramme gesenkt und die Laufzeiten verlängert werden. Darüber hinaus werden ihnen zusätzliche günstige Kredite bereitgestellt, ohne dass sie genutzt werden. Das Geld „im Fenster“ soll die Finanzmärkte beruhigen und nur im Notfall ausgezahlt werden, und dann auch nur gegen neue Konsolidierungsauflagen.

Um die letzten Einzelheiten und Zahlen wurde am frühen Abend noch gerungen. Doch an einer Einigung wurde zumindest in deutschen Delegationskreisen nicht mehr gezweifelt. In der Tat haben sich Frankreich und Deutschland, die jeweils verschiedene Lager hinter sich haben, für ihren Kompromiss deutlich bewegt. Der französische Staatschef Nicolas Sarkozy willigte schließlich in die deutsche Kernforderung nach einer Privatsektor-Beteiligung ein und ließ seinen Wunsch nach einer Bankensteuer fallen. Und Merkel machte den Weg zu weit umfassenderen Hilfen für Griechenland und für neue Aufgaben für den Rettungsfonds EFSF frei. Ob dieser für den Schuldenaufkauf aufgestockt werden muss, blieb am Donnerstag zunächst offen.

Merkel hatte den Gipfel mit zahlreichen Gesprächen vorbereitet. Mir Sarkozy einigte sie sich erst nach siebenstündigen Verhandlungen am frühen Donnerstagmorgen. Am Mittwoch hatte sie auch mit US-Präsident Barack Obama telefoniert, der eine „effiziente“ Antwort auf die Krise anmahnte.

Mit Material von dpa/dapd