Silvio Berlusconi und Nicolas Sarkozy erwägen Änderungen am Schengen-Abkommen. Bei der Flüchtlings-Frage ziehen nun beide an einem Strang.

Rom. Als Reaktion auf die Ankunft tausender Flüchtlinge aus Nordafrika wollen Italien und Frankreich zumindest zeitweilig wieder Grenzkontrollen in Europa ermöglichen. Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi und Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy forderten nach einem Treffen in Rom Änderungen am Schengen-Abkommen , das Reisefreiheit in zahlreichen Ländern Europas ohne Passkontrollen garantiert.

Nach Verstimmungen über den Umgang mit Flüchtlingen aus Nordafrika ziehen die beiden Nachbarländer damit an einem Strang. Bei dem Krisentreffen in Rom wurde ein gemeinsames Schreiben Sarkozys und Berlusconis an die EU-Kommission veröffentlicht, in dem sie die Möglichkeit fordern, wieder Kontrollen an den Grenzen der Schengen-Staaten einzuführen, und zwar „im Fall außergewöhnlicher Schwierigkeiten bei der Kontrolle der gemeinsamen Außengrenzen“. Das Schreiben richtet sich an EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und den EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy.

Auslöser für die Forderung von den Regierungen in Rom und Paris sind die politischen Umwälzungen in der südlichen Nachbarschaft von EU und Schengen-Gemeinschaft: Durch die Revolutionen in Nordafrika sieht sich Italien einem großen Andrang von Einwanderern ausgesetzt. Rund 26.000 Flüchtlinge kamen in den vergangenen Wochen auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa an, die meisten von ihnen Tunesier.

Zwischen Italien und Frankreich kam es zum Streit, nachdem die italienischen Behörden damit begannen, die Flüchtlinge aus Tunesien mit Visa auszustatten, die ihnen grundsätzlich eine Weiterreise in die anderen Schengen-Länder erlauben. Viele der französischsprachigen Tunesier hatten sich daraufhin auf den Weg nach Frankreich gemacht. Die Regierung in Paris reagierte, indem sie einen Grenzübergang zu Italien schloss – was wiederum in Rom Verärgerung hervorrief.

Nun fordern Berlusconi und Sarkozy angesichts der derzeitigen „außergewöhnlichen Umstände“ gemeinsam Änderungen des Schengen-Abkommens und die Möglichkeit, wieder Grenzkontrollen zwischen den Mitgliedsländern einzuführen. Die Schengen-Vereinbarung gilt als Kernstück des europäischen Zusammenwachsens: Derzeit gehören mit dem kürzlich aufgenommenen Liechtenstein 26 Länder dem Schengen-Raum an. Die 400 Millionen Einwohner dürfen sich ohne Passskontrollen von Italien bis Norwegen und von Portugal bis Polen bewegen.

Der „Druck“ auf die gemeinsamen Außengrenzen habe Folgen für alle Mitgliedsstaaten, warnten Berlusconi und Sarkozy in ihrem Schreiben. Sie forderten, auf dem EU-Gipfel im Juni müssten „konkrete Entscheidungen als Antwort auf die aktuellen Schwierigkeiten“ in die Wege geleitet werden. Dazu gehöre insbesondere, dass die Europäische Union mit den Staaten südlich des Mittelmeers zusammenarbeite und die EU-Staaten wie Italien und Malta finanziell stärker unterstütze, in denen besonders viele Flüchtlinge ankommen. Italien und Frankreich fordern zudem eine Stärkung der EU-Grenzschutztruppe Frontex.

In dem Schreiben sprechen sich die beiden Ländern außerdem für ein gemeinsames EU-Asylverfahren aus. Nach den bisherigen Regeln ist das Land für die Versorgung und einen möglichen Asylantrag verantwortlich, in dem ein Flüchtling die EU erreicht. Nordeuropäische Staaten wie Deutschland lehnen es ab, Ankömmlinge etwa nach einem Schlüssel auf alle 27 EU-Länder zu verteilen. (AFP)