Kroatien fühlt sich “noch einmal gekreuzigt“: Der Freispruch hatte als sicher gegolten. In Kroatiens Hauptstadt Zagreb wurden schwere Ausschreitungen befürchtet.

Zagreb/Den Haag. Sie wollten nur live den Freispruch verfolgen - dann endete die Fernsehsendung über das Urteil gegen Ante Gotovina für die Kroaten in einer Katastrophe. Fast 16 Jahre liegt die mörderische Vertreibung Zehntausender Serben aus der kroatischen Region Krajina zurück. Nun sollen zwei Generäle die Bluttaten für eine noch längere Zeit hinter Gittern büßen. In Kroatien aber gelten sie weiter als Helden.

Der kroatische Ex-General Ante Gotovina, der in seiner Heimat als Volksheld verehrt wird, ist für Kriegsverbrechen an serbischen Zivilisten zu 24 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Der heute 55-jährige sei als Befehlshaber für Morde an mehr als 300 Zivilisten sowie massenweise Plünderungen und die Vertreibung von mehr als 90 000 Menschen aus der seinerzeit von Serben bewohnten Region Krajina maßgeblich verantwortlich, befand am Freitag der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag. Die Staatsanwaltschaft hatte 27 Jahre Haft gefordert.

Der ebenfalls als wichtiger Verantwortlicher für die kroatische Militäroperation „Sturm“ im Jahr 1995 angeklagte Ex-General Mladen Markac (55) erhielt eine Gefängnisstrafe von 18 Jahren. Dabei sei der angegriffene Gesundheitszustand des früheren Chefs der kroatischen Sonderpolizei berücksichtigt worden, sagte der Vorsitzende Richter Alphons Orie bei der Urteilsverkündung. Für Markac hatte die Anklage 23 Jahre Gefängnis verlangt.

Ein weiterer Ex-General, der sich neben Gotovina verantworten musste, wurde freigesprochen. Die Vorwürfe von Kriegsverbrechen gegen den früheren Garnisonskommandanten Ivan Cermak (61) seien nicht hinreichend bewiesen worden, befanden die Richter. Bei Gotovina und Markac folgten sie aber weitgehend den vom amerikanischen Staatsanwalt Alan Tieger vorgetragenen Argumenten und den Aussagen vieler Zeugen.

Die kroatische Staats- und Regierungsspitze zeigte sich über die Verurteilung der drei Generäle „geschockt“. Trotz des Urteils sei der Krieg gegen die serbische Minderheit zur Befreiung des Landes gerecht gewesen, sagten Staatspräsident Ivo Josipovic und Regierungschefin Jadranka Kosor. Die „legitime Befreiungsaktion“ könne man nicht wie das Gericht als „gemeinsames verbrecherisches Unternehmen“ abqualifizieren. Demgegenüber zeigten sich serbische Spitzenpolitiker zufrieden mit dem Urteil. „Damit wird von den Serben die Stereotype abgestreift, nur sie hätten organisiert Krieg geführt“, hieß es.

Die Anklageschrift in dem vor drei Jahren eröffneten Prozess galt Beobachtern auch als juristische Abrechnung mit dem damaligen kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman. Zusammen mit ihm und anderen, argumentierte die Staatsanwaltschaft, habe der frühere Söldner Gotovina eine „gemeinsame verbrecherische Vereinigung“ gebildet. So verwies Tieger darauf, dass Tudjman die Serben als „Krebsgeschwür im Bauch Kroatiens“ beschimpfte habe. Tudjman starb 1999, während die Ermittlungen gegen ihn im Gange waren.

In Kroatien wurde die Urteilsverkündung von Demonstrationen begleitet. Die dortige katholische Kirche und die Regierungschefin Jadranka Kosor hatten Freisprüche für die Generäle verlangt. Vor allem Gotovina gilt als Nationalheld, weil er mit der Operation „Sturm“ die Krajina zurückerobert und so die territoriale Zerstückelung des Landes durch serbische Aufständische und Truppen beendet habe.

Gotovina war im Dezember 2005 auf der spanischen Kanareninsel Teneriffa verhaftet und an Den Haag überstellt worden. Er gehörte zu den meistgesuchten mutmaßlichen Kriegsverbrechern des ICTY. Vor dem 1993 durch den UN-Sicherheitsrat eingerichteten Tribunal zur juristischen Aufarbeitung der schwersten Verbrechen während der Jugoslawienkriege zwischen 1991 und 1999 wurden mehr als 160 Verdächtige angeklagt.

Darunter war der jugoslawische Ex-Präsident Slobodan Milosevic, der im März 2006 vor dem Abschluss seines Prozesses im Gefängnis starb. Mehr als 60 Angeklagte wurden verurteilt, mehr als 40 Verfahren sind noch anhängig. Der derzeit prominenteste Angeklagte ist Radovan Karadzic. Dem einstigen Führer der bosnischen Serben wird Völkermord vorgeworfen – unter anderem wegen des Massakers von Srebrenica, dem im Sommer 1995 bis zu 8000 bosnische Männer und Jungen zum Opfer fielen. Das Jugoslawien-Tribunal soll laut Mandat des UN-Sicherheitsrates bis 2014 alle Prozesse abgeschlossen haben. (dpa)