Die wichtigsten Köpfe, Fakten und Hintergründe im Überblick bei abendblatt.de. Kommt der erste grüne Ministerpräsident in Deutschland?

Stuttgart/Hamburg. Es ist die wohl wichtigste Wahl in diesem Jahr in Deutschland. Die Bürger in Baden-Württemberg bestimmen an diesem Sonntag ihren neuen Ministerpräsidenten. Oder bleibt es der alte? Amtsinhaber Stefan Mappus (CDU) muss sich erstmals in diesem Amt den Wählern stellen. Nach fast 58 Jahren Unions-Regierungen im „Ländle“ könnte es zu einer Verschiebung der Machtverhältnisse im Süden kommen. Dazu haben das Bahnprojekt Stuttgart 21 sowie die bundespolitischen Verwerfungen und die Atomkatastrophe in Japan beigetragen.

+++ Hier finden Sie den Hintergrund zur Wahl in Rheinland-Pfalz +++

Fällt Mappus, wackelt auch die Bundesregierung von Angela Merkel. Denn die CDU-Vorsitzende ist nach den Einbußen bei den zurückliegenden Landtagswahlen arg unter Druck. Zum ersten Mal könnte es einen grünen Ministerpräsidenten geben. Winfried Kretschmann hat gute Chancen auf das Amt. Auf abendblatt.de können Sie wichtige Fakten zur Wahl hier im Überblick lesen.

Mögliche Koalitionen und die Atompolitik

SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid machte deutlich, dass es eine Große Koalition mit der CDU nur als Notlösung geben könne. Grünen-Spitzenkandidat Winfried Kretschmann schloss ein Bündnis mit der CDU aus. Ministerpräsident Mappus hingegen zeigte sich siegesgewiss und verteidigte sein Vorgehen in der Atompolitik. Mappus sagte, er glaube nicht, dass allein die Debatte um die Atompolitik am Sonntag wahlentscheidend sei. „Am Ende wird die Gesamtschau entscheiden und nicht ein Thema allein.“ Mappus räumte ein, dass für das vorläufig abgeschaltete Kernkraftwerk Philippsburg I Chancen bestünden, nach dem dreimonatigen Moratorium wieder ans Netz zu gehen. Er schätze Philippsburg 1 als rentabler ein als Neckarwestheim 1. Beurteilen müsse dies jedoch am Ende der Betreiber EnBW, sagte Mappus. Die EnBW hat bereits den Reaktor Neckarwestheim I stillgelegt und dies damit begründet, dass die vom Land geforderten Nachrüstungen den Betrieb unrentabel gemacht hätten.

Die letzte Umfrage

Grüne und SPD (je 24 Prozent) kommen in einer Umfrage für „stern.de“ auf 48 Prozent und liegen damit deutlich vor Union und FDP. Die CDU (38 Prozent) und die FDP (5 Prozent) erreichen zusammen nur 43 Prozent. Damit muss Ministerpräsident Mappus bangen, die mitregierende FDP muss fürchten, nicht wieder in den Stuttgarter Landtag einzuziehen. Die Linke kommt in der Umfrage nur auf vier Prozent.

Stuttgart 21

Die größte „Wahlbaustelle“ der Regierungskoalition, der Streit um das Megaprojekt Stuttgart 21, schien mit dem Abschluss der Schlichtung Ende November zunächst befriedet. Die CDU erholte sich aus dem Umfragetief, in das sie seit dem Sommer mit dem Anschwellen der Proteste gerutscht war. Nach der Schlichtung unter Heiner Geißler gelang es der Regierungspartei jedoch sogar, den Spieß umzudrehen und die Projektgegner, namentlich die Grünen, als Spielverderber darzustellen, die den Schlichterspruch nicht akzeptierten. Dabei mussten sie lediglich auf Umfragen verweisen, wonach sich mittlerweile eine Mehrheit für das Infrastrukturprojekt aussprach und 68 Prozent der Befragten den Schiedsspruch für „eher gut“ hielten.

Die Wahlbeteiligung dürfte steigen – wegen der Wutbürger?

Für die baden-württembergische Landtagswahl zeichnet sich eine höhere Wahlbeteiligung als vor fünf Jahren ab. Darauf deutet die stark gestiegene Zahl der Briefwähler hin. Allein in Stuttgart haben bisher 62.000 Menschen Briefwahl beantragt. Das sind gut 20.000 mehr als bei der letzten Landtagswahl, wie der Leiter des Statistischen Amtes der Stadt, Thomas Schwarz, der Nachrichtenagentur dpa sagte. Bei der Landtagswahl 2006 war die Beteiligung landesweit auf den historischen Tiefstand von 53,4 (2001: 62,6) Prozent gesunken. Wem die höhere Wahlbeteiligung nützt, ist noch unklar.

Stefan Mappus im Kurzporträt

Bei seinem Amtsantritt im Februar 2010 galt Baden-Württembergs Regierungschef Stefan Mappus als Hoffnungsträger der Südwest-CDU. Zupackend und entscheidungsfreudig löste der damals 43-Jährige als bundesweit jüngster Ministerpräsident Günter Oettinger ab. Inzwischen ist der Hobbyflieger wegen seiner oft polarisierenden Art aber in einige Turbulenzen geraten. Vor allem die drohende Atomkatastrophe in Japan macht dem bisherigen entschiedenen Akw-Befürworter schwer zu schaffen. Er muss darum kämpfen, nicht als Ministerpräsident mit der kürzesten Amtszeit in die Geschichte einzugehen. Parteifreunde und Gegner vergleichen Mappus wegen seines Machtinstinkts und seiner Impulsivität gerne mit dem jungen Franz-Josef Strauß. Der Pforzheimer Diplom-Ökonom aus einfachen Verhältnissen lehnt den Vergleich aber ab. Vorbild sei ihm vielmehr sein Vor-Vorgänger Erwin Teufel, der den damals 32-jährigen Mappus 1998 als Verkehrsstaatssekretär in die Regierung geholt hatte.

Doch wie der einstige bayerische Ministerpräsident Strauß trägt auch Mappus sein Herz oftmals auf der Zunge. Im Wahlkampf konnte Mappus auch mit dem Einsatz seiner Frau Susanne Verweyen-Mappus punkten. Die 48-jährige frühere CDU-Landesgeschäftsführerin und laut Partei „starke Frau“ an Mappus’ Seite ging nicht nur mit einer Videobotschaft des Staatsministeriums zum Weltfrauentag an die Öffentlichkeit. Sie tingelte zu medienwirksamen Kaffeekränzchen durch die Provinz, um Wählerinnen und Wählern sich und die Politik ihres Mannes „in ungezwungener Atmosphäre“ nahezubringen. Ein Novum, bislang wagte sich keine „First Lady“ im Ländle so weit in die Öffentlichkeit.

Winfried Kretschmann im Kurzporträt

Was der Spitzengrüne Winfried Kretschmann auch sagt – es gilt als durchdacht, fundiert und von argumentativer Klarheit. Der scharfzüngige, wertkonservative Redner ergreift gerne bei Grundsatzfragen das Wort: Wenn es um die Risiken der Bio- oder Gentechnik geht, um islamischen Religionsunterricht oder die Frage, ob muslimische Lehrerinnen mit Kopftuch unterrichten dürfen. Die CDU und Regierungschef Mappus sehen in Kretschmann einen gefährlichen Gegner und haben ihn auch persönlich bei ihren Attacken ins Visier genommen. Denn er genießt Sympathie und Vertrauen bis tief in bürgerliche Kreise hinein. Der 62 Jahre alte Ethiklehrer gehörte schon der ersten grünen Parlamentsgruppe an, die 1980 in Stuttgart erstmals in das Parlament eines Flächenlandes einzog. Zeitweise musste der bedächtig auftretende Kretschmann seine Parteifreunde ermahnen, trotz des Höhenflugs realistisch zu bleiben. Der überzeugte Katholik und Vater dreier Kinder ist entschlossen, die Macht zu ergreifen, wenn die Chance besteht. Schließlich wollte er sich schon nach der Landtagswahl 2006 auf eine schwarz-grüne Koalition einlassen. Doch der damalige CDU-Fraktionschef Mappus machte dem damaligen Ministerpräsidenten Günther Oettinger (CDU) einen Strich durch die Rechnung.

Nils Schmid im Kurzporträt

Der erst 37 Jahre alte SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid hat womöglich ein Problem. „Er wirkt ein Stück weit zu bubihaft“, findet nicht nur der Politikwissenschaftler Hans-Georg Wehling. Doch das Handicap macht Schmid durch seine überlegte Art ein Stück weit wett. Ein lauter Polarisierer wie Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) ist er jedenfalls nicht. Der jugendlich-unbedarfte Eindruck verliert sich schnell, wenn der Familienvater in Wahlkampfveranstaltungen auftritt. Dann setzt er mit eher ruhigen Worten auf die Kraft der Argumente. Dies gilt für das seit dem Erdbeben in Japan dominierende Thema Atomausstieg ebenso wie für eines seiner Schlüsselthemen im Wahlkampf, die Bildungspolitik: „Wir kämpfen für gleiche Bildungschancen unabhängig von der Herkunft und dem Geldbeutel. Gesellschaftlicher Aufstieg durch Bildung ist und bleibt unser sozialdemokratisches Versprechen“, sagt Schmid. Dabei denkt er vermutlich auch an die eigene Bildungskarriere. Seine Eltern waren Heimatvertriebene, die Mutter Lehrerin, der Vater Zollbeamter, und sie ermöglichten ihm einen steilen Aufstieg: Nach dem Abitur mit der Bestnote 1,0 und Zivildienst in einem Altenheim der Arbeiterwohlfahrt absolvierte Schmid auch das Juraexamen mit Prädikat und promovierte bei dem Rechtswissenschaftler und jetzigen Bundestagsvizepräsidenten Ferdinand Kirchhof ebenfalls mit Bestnote über Staatsverschuldung und Staatsvermögen. In der Bildungspolitik, dem zweiten bestimmenden Wahlkampfthema, fordert Schmid mehr Ganztagsschulen und die Abschaffung der Studiengebühren. Zudem will er mit einer einprozentigen Reichensteuer kostenlose Kindergärten finanzieren. Dass ihm besonders die Kinder türkischer Migranten am Herzen liegen, mag auch daran liegen, dass der SPD-Herausforderer mit der Juristin Tülay Schmid verheiratet ist, deren Eltern in den 60er-Jahren aus der Türkei kamen. Türkische Medien haben den Vater einer einjährigen Tochter deshalb schon zum „nationalen Schwiegersohn“ ernannt, und das Massenblatt „Hürriyet“ spekuliert nun über eine „First Lady Tülay“. Er bezeichnet sich in Wahlveranstaltungen inzwischen als den „künftigen Ministerpräsident von Baden-Württemberg“ und betont: „Etwas Seriöseres als mich gibt es in diesem Land nicht“.

Das Landtagswahlrecht

Bei Landtagswahlen in Baden-Württemberg hat jeder Wähler nur eine Stimme, mit der er einen Kandidaten und zugleich dessen Partei wählt. Der Stimmkreisbewerber mit den meisten Stimmen in einem der 70 Wahlkreise zieht direkt als Abgeordneter in den Landtag in Stuttgart ein. Daneben werden aber auch noch 50 „Zweitmandate“ in einem relativ komplizierten Verfahren verteilt. Berechnet werden diese nach dem Stimmenverhältnis der Parteien in den vier Regierungsbezirken Karlsruhe, Stuttgart, Tübingen und Freiburg, um eine regionale Ausgewogenheit über das ganze Land hinweg zu gewährleisten. Allerdings müssen die Parteien mindestens fünf Prozent der Stimmen erreicht haben. Künftig wird nach dem Muster des französischen Mathematikers Jean-André Sainte-Lague und des Deutschen Hans Schepers gezählt. Bei dem bisher schon im Bundestag angewandten Verfahren werden die Stimmen für die einzelnen Parteien nacheinander durch eins, drei, fünf und so weiter geteilt. Dabei kommen eher Vorteile für die kleineren Parteien heraus. Hat eine Partei mehr Direktmandate in einem Bezirk gewonnen als ihr nach dem Stimmenanteil eigentlich zustehen, werden diese als Überhangmandate bezeichnet. Dafür erhalten die übrigen Parteien Ausgleichssitze, deren Zahl 2006 ebenfalls nach dem d’Hondt-Verfahren berechnet wurden. Auch hier wird auf Sainte-Lague/Schepers umgestellt. Maßgeblich für die Zuteilung der Zweitmandate in einem Regierungsbezirk war bisher die absolute Stimmenzahl, die ein Kandidat in seinem Wahlkreis erreichte und damit zum Gesamtergebnis seiner Partei beitrug. Damit waren die Bewerber in großen Wahlkreisen mit vielen Stimmberechtigten im Vorteil, weil man dort leichter ein Zweitmandat erringen konnte. Große Wahlkreise hatten deshalb bis zu vier Abgeordnete im Parlament.

Die wichtigsten Daten zu Baden-Württemberg

Fläche: 35.751 Quadratkilometer

Bevölkerung: 10,7 Millionen Menschen, auf einem Quadratkilometer leben statistisch gesehen 301 Menschen, im Bundesdurchschnitt sind es 230, rund 1,27 Millionen Einwohner sind Ausländer

Name: Baden-Württemberg wurde 1952 durch eine Volksabstimmung durch den Zusammenschluss von Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern gegründet.

Mit Material von dpa/dapd/AFP