Beim Dreikönigstreffen redet Guido Westerwelle viel über Inhalte - und verliert kein Wort über sich selbst. Von Selbstzweifel nicht die geringste Spur.

Stuttgart. Als Guido Westerwelle so richtig loslegen will, ist es erst einmal vorbei. Erst ein paar Sätze hat er zu seinen Parteifreunden im Stuttgarter Staatstheater gesprochen. Die ersten Worte der Rede, auf die alle gewartet haben. Der FDP-Chef steht auf dem Podium, guckt nach oben auf die Ränge, und da passiert es: Ganz links hängen einige junge Gäste ein mit schwarzer und grüner Schrift bepinseltes Bettlaken ans Geländer. "Stuttgart 21 stoppen - FDP tiefer legen", steht darauf. Absender: die Grüne Jugend.

Ein paar Sekunden dauert es, bis Westerwelle und der Rest der Liberalen die Botschaft entziffert haben. Unruhe. "Lasst es ruhig hängen", sagt Westerwelle dann. "Jetzt habt ihr euch zum ersten Mal im Leben eine Krawatte umgebunden, um hier reinzukommen. Herzlich willkommen." Gelächter. Das Transparent verschwindet trotzdem, die jungen Grünen aber bleiben. Dann legt er nach: "Schaut euch mal um. Die Jungliberalen sind heute alle ohne Krawatte gekommen."

Bereits im Vorfeld ist viel hineininterpretiert worden in den Auftritt Westerwelles beim traditionellen Dreikönigstreffen der Liberalen, das immer am 6. Januar im Staatstheater der baden-württembergischen Landeshauptstadt stattfindet. Sonst markiert es den politischen Jahresauftakt der FDP. In diesem Jahr allerdings wurde es vor allem mit der Zukunft Westerwelles verknüpft. Nach all der Kritik, nach Rücktrittsforderungen und einer massiven Debatte um seine Person galt der 6. Januar als Entscheidungstag, und seine Worte wurden zur Schicksalsrede stilisiert - auch wenn einige Spitzenliberale das zuvor nach bestem Bemühen heruntergespielt hatten.

Guido Westerwelle lächelt viel an diesem Tag, ist demonstrativ gut gelaunt, winkt. Die schwarz-gelbe Krawatte sitzt tadellos. Wie immer hat er seine gerade, fast durchgedrückte Körperhaltung, wie immer gestikuliert er viel, während er spricht. Er muss einen Schritt hinter dem Rednerpult stehen, damit er nicht aus Versehen das Wasserglas auf den Boden fegt.

Alle FDP-Bundesminister sitzen mit ihm auf der Bühne, die Fraktionschefin Birgit Homburger und Generalsekretär Christian Lindner. Dazu Landespolitiker aus Baden-Württemberg. Auch die Hamburger Spitzenkandidatin Katja Suding ist dabei. In der Hansestadt ist schließlich Wahlkampf. Einer, den man hier gar nicht im Rampenlicht erwartet hätte, ist Herbert Mertin, Spitzenkandidat aus Rheinland-Pfalz. Auch er hat eine Landtagswahl zu bestreiten, hatte Westerwelle jedoch vor einigen Wochen als "Klotz am Bein" der FDP bezeichnet. Seit der Weihnachtspause hat man nichts mehr von Westerwelle gehört. Als Letztes hatte er in "Bild am Sonntag" angekündigt, "das Deck nicht zu verlassen, wenn es stürmt". Damit war das Thema für ihn abgehakt. Auch beim Dreikönigstreffen bleibt es dabei. Stattdessen geht es um Inhalte.

Vor allem betont Westerwelle die Erfolge seiner Partei im Bund, spricht von einem "deutschen Wirtschaftswunder", pocht auf Steuervereinfachungen und eine Entlastung des Mittelstandes. Auch die Außenpolitik kommt nicht zu kurz und dass Deutschland erst kürzlich einen Sitz als nicht ständiges Mitglied im Uno-Sicherheitsrat bekommen hat, bleibt nicht unerwähnt. "Eine Dreikönigskundgebung verneigt sich in Dankbarkeit vor denen, die weltweit unser Land verteidigen", sagt Westerwelle zur Würdigung der deutschen Soldaten im Auslandseinsatz. Großes Thema ist auch der Bahnhof. Nur wenige 100 Meter ist er vom Staatstheater entfernt, noch immer kampieren Gegner des Milliardenprojekts Stuttgart 21 auch bei Minusgraden im vorgelagerten Schlossgarten. Für Westerwelle ist das "Fortschrittsverweigerung". Fast könnte man vergessen, dass die FDP gerade in einer ihrer schwersten Krisen steckt.

Nur zweimal in seiner Rede spielt Westerwelle auf die Lage seiner Partei an. "Mir ist ein schwieriges Dreikönigstreffen lieber, in dem es Deutschland gut geht, als ein einfaches Dreikönigstreffen, und Deutschland geht es schlecht", sagt er gleich zu Beginn. Und schließlich: "Die Demoskopie ist nicht Maßstab unserer Meinung." Beides bringt ihm Applaus ein. Nach wie vor ist es jedoch so, dass er die FDP nicht nur zurück in die Regierung gebracht hat - Westerwelle hat sie auch in eine ihrer tiefsten Umfrage-Tiefen geführt. Die Werte pendeln zwischen drei und fünf Prozent. Der Siegestaumel nach der Bundestagswahl von 2009 ist einem Erschöpfungszustand gewichen. Bei allen sieben Landtagswahlen 2011 muss die FDP um den Einzug in die Parlamente bangen. Westerwelles Rede jedoch klingt so, als sei das nie passiert. Es geht um alles - nur nicht um die Themen, die in der Partei und um die Partei herum zuletzt diskutiert wurden.

Noch vor Westerwelle steht Christian Lindner am Rednerpult. Er ist rhetorisch nicht so stark wie sein Chef. Eher ruhiger, konzentrierter. Doch das kommt an. "Er ist einer der brillantesten Redner, den wir seit Langem haben", findet ein Parteimitglied. Seit einigen Wochen wird der 32-Jährige als möglicher Westerwelle-Nachfolger gehandelt. Noch aber ist es nicht so weit. Dass Westerwelle noch nicht ans Aufhören denkt, ist durch seine Rede klar geworden. Genauso klar ist aber auch, dass Lindner schon längst in den Startlöchern steht. Zumal die Querelen um den Vorsitzenden nicht beendet scheinen. Der hessische Landesvorsitzende Jörg-Uwe Hahn hat Westerwelles Rede als unzureichend kritisiert. "Das kann nicht alles gewesen sein, das darf nur der erste Teil der Rede gewesen sein", sagte Hahn dem "Wiesbadener Kurier".