Die Muslime trauerten in weiß. Während ein Teil der Bosnier und die Weltgemeinschaft mitfühlte, lief im serbischen Fernsehen Fußball.

Srebrenica/Sarajevo. Auch eineinhalb Jahrzehnte später herrschen im Gedenkzentrum für den Völkermord im ostbosnischen Srebrenica Trauer, Entsetzen, Fassungslosigkeit. 775 erst jüngst identifizierte Opfer werden begraben. Die beiden Jüngsten waren gerade mal 14 Jahre alt, der Älteste 78. Die meisten Särge, in langen Reihen mit grünen Leinentüchern bedeckt, enthalten nur Teile der Skelette. Die Serben hatten ihre über 8000 Opfer mit Baggern und Raupen aus den ursprünglichen Massengräbern wieder herausgeholt und auf viele neue Gräber verteilt. So sollten Spuren verwischt werden. An den ausgeschachteten frischen Gräbern hocken Tausende Frauen in langen Gewändern und mit Kopftüchern in Weiß, der Trauerfarbe der Muslime. Die Sonne brennt am Sonntagmittag vom Himmel. Die Menschen versuchen, sich mit bunten Schirmen zu schützen. Viele suchen während der Begräbniszeremonie Abkühlung am zentralen Brunnen im Eingangsbereich. Schon vor Beginn der Gedenkfeier wurden die Trauernden auf eine harte Probe gestellt. Erst quälte sich eine unübersehbare Kolonne mit Bussen durch das Verkehrschaos, dann brach das Stromnetz zusammen. Bewegend der Jugendchor mit dem Oratorium „Srebrenica-Inferno“. Ebenso traurig und erschütternd der Vortrag des „Srebrenica- Gedichts“, in dem der Sprecher einen Dialog mit seinem toten Bruder führt, für den es keine Rettung mehr gab.

Doch Staatstrauer und TV-Sonderprogramme gibt es heute nur in einer Hälfte Bosniens. In der serbischen Landeshälfte erinnert nichts an das Massaker. Während der Gedenkfeier wird im Fernsehen das WM-Fußballspiel Deutschland gegen Uruguay wiederholt. Die dortigen Serben bestreiten bis heute den Völkermord , der sogar vom Internationalen Gerichtshof als der höchsten weltweiten Justizinstanz festgestellt worden war.

„Diejenigen, die den Völkermord in Srebrenica in Frage stellen haben keine Zukunft und sind nicht Teil unserer Zivilisation“, donnert denn auch der internationale Bosnien-Beauftragte Valentin Inzko. Doch auch er weiß durch seine tägliche Arbeit nur zu gut, dass die Kriegswunden noch lange nicht geheilt sind.

Muslime und Serben stehen sich nach wie vor misstrauisch, ablehnend, manchmal sogar feindlich gegenüber. Vor den nächsten Wahlen Anfang Oktober machen Politiker auf beiden Seiten ihren Völkern schon wieder mit Warnungen vor einem neuen Krieg Angst.

Mehr als 4500 Opfer des Massakers liegen seit Sonntag auf dem Gedenkfriedhof. Knapp 4000 fehlen noch. Viele von ihnen dürften für immer verschollen bleiben. Tausende weiße Leichensäcke aus Plastik liegen aber noch vor den Gerichtsmedizinern und Forensikern zur Identifizierung – aus Srebrenica und von anderswo. Fast exakt 100.000 Tote sind inzwischen in ganz Bosnien identifiziert. Auf dem Gedenkfriedhof in Potocari gibt es noch viel Platz.