“Solange ich lebe“, so Merkel, werde es eine gesamtschuldnerische Haftung in Europa nicht geben. Finanzminister wollen Streitpunkte ausräumen.

Brüssel/Berlin. Das Konzept von Rat, Kommission, Zentralbank und Euro-Gruppe sieht eine gemeinsame Schuldenfinanzierung, eine Bankenunion und als Fernziel ein Schatzamt der Währungsunion vor. Das dürfte auf dem EU-Gipfel für Streit sorgen, hat doch Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Vergemeinschaftung von Schulden wiederholt abgelehnt. Eine gesamtschuldnerische Haftung in Europa werde es nicht geben, "so lange ich lebe", bekräftigte sie Teilnehmern zufolge am Dienstag in einer Fraktionssitzung der FDP.

Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso unterstrich, es gehe nicht nur um mehr europäische Integration im Wirtschaftsbereich. Insgesamt komme es auf mehr Vertrauen in den Euro-Verbund an und eine Verpflichtung auf das europäische Projekt.

Die Finanzminister aus Berlin, Paris, Rom und Madrid wollten am Dienstagabend Streitpunkte ausräumen, zumal auch an anderen Enden die Schuldenkrise die Alarmglocken schrillen ließ: Italien und Spanien, das am Vortag europäische Hilfen beantragt hatte, mussten den Investoren für frisches Geld die höchsten Zinsen seit Monaten zahlen. Im jüngsten Krisenfall Zypern ist in EU-Kreisen von einem möglichen Hilfsvolumen von bis zu zehn Milliarden Euro die Rede – das wäre mehr als das Doppelte der jährlichen Wirtschaftleistung der Inselrepublik.

Die kurzfristigen Probleme drohen, die Bemühungen um eine langfristige Lösung erneut in den Hintergrund zu drängen. Die beiden großen Euro-Länder Spanien und Italien kämpfen mit wachsenden Finanznöten, da sie am Kapitalmarkt immer höhere Zinsen für ihre Schuldenpapiere zahlen müssen.

Dies dürfte auch das Treffen der Finanzminister der vier größten Volkswirtschaften der Währungsgemeinschaft am Abend in Paris beschäftigen. Gastgeber Pierre Moscovici sagte: „Wir sind in der aktiven Phase der Vorbereitung des Gipfels.“ Die Konferenz wurde kurzfristig einberufen. Ihr Ziel könnte sein, offenen Streit beim Gipfel zu vermeiden.

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Für Unbehagen sorgt auch der Umfang der Hilfen, die die drittkleinste Volkswirtschaft der Euro-Zone Zypern beanspruchen könnte. Das Land leidet wegen seiner engen Vernetzung mit dem notleidenden Griechenland immer stärker unter dessen langem Kampf gegen die Pleite. Zypern will sich als fünftes Land unter den Euro-Rettungsschirm flüchten. Hilfen im Umfang von mehr als der Hälfte der jährlichen Wirtschaftsleistung könnten Zweifel an der Schuldentragfähigkeit auslösen und Forderungen nach einem Schuldenschnitt nach sich ziehen. Zyperns Finanzminister Vassos Shiarly bestritt, dass jemals über einen Betrag gesprochen worden sei.

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Der Chef des CDU-Wirtschaftsrates, Kurt Lauk, forderte, Zypern dürfe nicht wie geplant zum 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen. Es gehe nicht an, dass ein Land diese Funktion übernimmt, das sich unter den Rettungsschirm begeben muss und über Jahre seine Hausaufgaben nicht gemacht habe. Das Auswärtige Amt wies diese Forderung umgehend zurück.

Noch keine genauen Zahlen gibt es zum Finanzbedarf Spaniens, das die Kapitalnöte seiner Banken nicht mehr alleine schultern kann. In Griechenland, dessen frisch gewählte Regierung mit seinen Geldgebern einen neuen Zeitplan für die Erfüllung seiner Spar- und Reformauflagen aushandeln will, soll inzwischen der Wirtschaftsprofessor Yannis Stournaras neuer Finanzminister werden, erklärte das Büro von Regierungschef Antonis Samaras.

Bei der ersten Auktion von Staatspapieren nach dem Hilfsantrag Spaniens verdreifachten sich die Zinsen für Dreimonatspapiere verglichen mit der jüngsten Auktion im Mai nahezu. Die Verhandlungen zum Rettungspaket für Spanien – wie im Übrigen auch Zypern – könnten sich einige Zeit hinziehen. Die Ratingagentur Moody’s wertete als Folge der jüngsten Ereignisse die Kreditwürdigkeit von 28 spanischen Banken teils massiv ab.

Auch in Italien tun sich Probleme im Bankensektor auf, wie der Fall der mit einer rund drei Milliarden Euro schweren Kapitallücke kämpfenden Banca Monte dei Paschi di Siena zeigt. Dabei wird Regierungskreisen zufolge der Staat helfen. Das Kabinett in Rom habe beschlossen, der ältesten Bank der Welt sogenannte Tremonti-Bonds anzubieten. Die nach dem früheren Wirtschaftsminister Giulio Tremonti benannten Anleihen können von der Bank ausgegeben, vom Staat erworben und in Aktienkapital umgewandelt werden. Um ein Zeichen der Handlungsfähigkeit vor dem EU-Gipfel zu setzen, stellte sich Ministerpräsident Mario Monti am Dienstag einer Vertrauensfrage im Parlament.

An den Märkten sind die Erwartungen an den anstehenden EU-Gipfel in Brüssel nicht allzu hoch gesteckt. „Was wir aber wirklich brauchen, sind handfeste Entscheidungen für eine langfristige Vision einer funktionsfähigen Strategie, die das Festival der Ohnmacht der letzten beiden Jahre beendet“, erklärte die Aktienhändlerin Anita Paluch vom Brokerhaus Gekko. (rtr)