Streit zwischen Schwarz-Gelb und Rot-Grün gefährdet bundesweite Suche nach Atom-Endlager. Notfalls soll Merkel den Weg frei machen.

Berlin/Gorleben. Der Streit zwischen Regierung und Opposition gefährdet die Einigung auf die bundesweite Suche nach einem Atommüll-Endlager. Die Vorstellungen, wie der Salzstock Gorleben – seit 35 Jahren die einzige Option – mit neuen Standorten verglichen werden soll, liegen weit auseinander, ohne dass es doch wieder auf Gorleben hinausläuft. Das wurde schon vor einem Spitzentreffen von Bund und Ländern am Dienstag im Bundesumweltministerium deutlich.

„Der bisher vorgelegte Entwurf des Bundesumweltministeriums klärt nicht den Umgang mit Gorleben. Wir sind der Auffassung, es muss hier einen kompletten Bau- und Erkundungsstopp gehen“, sagte Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.Trittin und SPD-Chef Sigmar Gabriel waren für Dienstagabend erstmals zu einem Bund/Länder-Spitzentreffen eingeladen, bei dem über die letzten offenen Konfliktpunkte für ein von Union, FDP, SPD und Grünen getragenes Endlager-Suchgesetz besprochen werden sollte. Die Linke kritisierte, dass sie nicht eingebunden ist. Auch wenn laut Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) 90 Prozent des Gesetzes stehen, ist eine Einigung fraglich und kompliziert, zumal sich die Parteien zum Teil untereinander schon nicht einig sind.

+++ Grüner Ministerpräsident sorgt sich um Endlager-Gespräche +++

Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) hatte nach den Beschlüssen zum Atomausstieg im November auch in der Endlagerfrage einen Neustart angekündigt. Er will eine „weiße Landkarte“, eine Suche ohne Tabus. Nach vier Bund/Länder-Treffen hatte die Opposition wegen Kritik an bisherigen Plänen im März ein fünftes Treffen abgesagt. Nun könnte eine Lösung auch dadurch erschwert werden, dass sich Röttgen als CDU-Kandidat in Nordrhein-Westfalen im Wahlkampf befindet. Bis zum Sommer soll das Gesetz stehen. Bis etwa 2040 soll das Atommüll-Endlager betriebsbereit sein, ab 2014 könnte mit der obertägigen Erkundung von neuen Standorten begonnen werden.

Während zwischen Bund und Ländern eigentlich Einigkeit besteht, dass Gorleben im Rennen bleiben soll, machte Stephan Weil, Hannovers Oberbürgermeister und SPD-Spitzenkandidat für die niedersächsische Landtagswahl 2013, dagegen mobil. „Aus niedersächsischer Sicht muss Gorleben aus dem Topf möglicher Endlager herausgenommen werden“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“ (Dienstag). „Hier wurde viel getrickst und geschummelt und die Menschen für dumm verkauft.“

Ein Ausschluss Gorlebens aus politischen Gründen dürfte schon aus Kostengründen keine Option sein – auch wenn Umweltschützer nur ohne den Salzstock einen echten Neustart für möglich halten. In den Ausbau und die Erkundung wurden bereits 1,6 Milliarden Euro investiert. Bei einem politischen Ausschluss dürften hohe Schadensersatzklagen drohen. Die Grünen wollen Gorleben in einem Vergleich mit anderen Optionen durch das Sieb fallen lassen. Daher kommt eine entscheidende Rolle der Frage zu, wer die Vergleichskriterien festlegt. Der frühere Bundesumweltminister Trittin betonte, es bedürfe bereits im Gesetz klarer Vergleichskriterien, damit die Suche nicht einseitig auf den Salzstock Gorleben zugeschnitten werde.

+++ Atommüll: Endlagersuche ohne Ende +++

„Das kann nicht durch ein ominöses Institut erfunden werden“, sagte Trittin mit Blick auf das geplante neue Bundesinstitut für die Endlagerung, das frei von Weisungen arbeiten soll. „Sonst richten sich die Standorte nicht nach den Kriterien, sondern die Kriterien nach den möglichen Standorten“, betonte Trittin mit Blick auf Sorgen, Gorleben könne durch die Hintertür durchgedrückt werden. Er warnte davor, das Bundesamt für Strahlenschutz zu schwächen. Er warf Röttgen fehlende Bereitschaft zum Kompromiss vor. Eine Einigung könne es wohl nur bei einem Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) geben.

Der geplante Neustart war vor allem auf Initiative des grün-rot regierten Baden-Württembergs möglich geworden, zudem hatte Bayern seinen Widerstand aufgegeben. Neben Salzstöcken sollen auch Ton- und Granitgesteine in das Verfahren einbezogen werden. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) betonte, man müsse die historische Chance nutzen. Es gehe darum, „einen nationalen Konsens darüber herzustellen, wo atomarer Müll, der eine Million Jahre lang strahlt, möglichst sicher gelagert werden kann“, sagte er der „Stuttgarter Zeitung“. Es warnte vor parteitaktischen Spielchen.

Ralf Güldner, der Präsident des Deutschen Atomforums, forderte im ARD-Morgenmagazin, an Gorleben festzuhalten. „Ich glaube, es gibt keine technisch begründeten Argumente, die gegen Gorleben sprechen.“ Es seien in den 1970er Jahren etwa 170 Standorte untersucht worden, Gorleben sei anschließend jahrzehntelang intensiv geprüft worden.

Atomkraftgegner blockieren Gorlebener Endlager-Bergwerk

Mit Protestaktionen in Berlin und Gorleben haben Atomkraftgegner am Dienstagnachmittag das Spitzengespräch im Bundesumweltministerium zur Endlagersuche begleitet. Nach Angaben der Initiative „Gorleben 365“ blockierten rund 20 Aktivisten die sechs Tore zum Gorlebener Endlagerbergwerk. Sie hatten sich mit Vorhängeschlössern, Ketten und einer Pyramide an den Toren festgemacht.

Die Blockierer forderten eine ergebnisoffene Endlagersuche ohne den ihrer Ansicht nach ungeeigneten und politisch verbrannten Standort Gorleben. „Heute wird es keinen Schichtwechsel mehr geben“, sagte ein Sprecher der Demonstranten. „Wir haben das Bergwerk mit unseren Ketten und Körpern abgeschlossen.“ Auch vor dem Umweltministerium in Berlin verlangten Umweltschützer einen Ausschluss Gorlebens aus der weiteren Endlagersuche. Eine als Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) maskierte Person versuchte nach Angaben von Teilnehmern, auf einer weißen Deutschlandkarte einen schwarz-gelben Ball zu versenken. „Doch ganz gleich, wo der Atommüll-Ball auf der Karte angesetzt wurde, er rollte immer wieder in das Gorleben-Loch“, hieß es in einer Mitteilung.

„Röttgens Gerede von einer weißen Landkarte ist nur Rhetorik“, sagte Susanne Jacoby vom Netzwerk „Campact“. Angesichts von 1,6 Milliarden Euro, die in dem Salzstock bereits verbaut worden seien, drohe am Ende doch wieder nur Gorleben herauszukommen. „Und das, obwohl Grundwasserkontakt, explosive Gaseinschlüsse und ein Erdgasfeld darunter den Salzstock als Endlager für hoch radioaktiven Atommüll völlig untauglich machen.“

Unterdessen verlangte die Organisation „Contratom“ nach den jüngsten Äußerungen des Deutschen Atomforums zu Gorleben einen „Maulkorb“ für den Lobby-Verband. Wer heute noch ohne den kleinsten Zweifel an Gorleben festhalte, dürfe keine Rederecht mehr zu dem hochbrisanten Thema Endlagerung haben, sagte „Contratom“-Sprecher Jan Becker.

Mit Material von dpa und dapd