SPD-Chef Sigmar Gabriel schlägt Alarm. Er beklagt einen “dramatischen Vertrauensverlust“ und “kontinuierlichen Erosionsprozess“.

Berlin. SPD-Chef Sigmar Gabriel hat seine Partei zum Auftakt der Vorstandsklausur ermahnt, die Oppositionsrolle aktiv anzunehmen. Um Wählervertrauen zurückzugewinnen, reiche bloße Kritik an der schwarz-gelben Regierung nicht aus. „Wir müssen selber auch die Alternative formulieren und bekanntmachen“, sagte Gabriel. Die Klausur begann am Sonntagabend und soll am Montagmittag enden. In einer Beschlussvorlage zeigt sich die neue SPD-Spitze über die Lage der Sozialdemokraten tief besorgt.

In dem Papier namens „12 Thesen zur Erneuerung der SPD“ heißt es laut einem Bericht der „Passauer Neuen Presse“: „Der Status der SPD als Volkspartei ist gefährdet.“ Beklagt wird ein „dramatischer Vertrauensverlust der SPD“ und ein „kontinuierlicher Erosionsprozess“. Der Partei hätten zuletzt „klares Profil, emotionale Anziehungs- und Überzeugungskraft, Kompetenz und Vertrauen in wichtigen Politikfeldern“ gefehlt. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident und frühere SPD-Chef Kurt Beck äußerte sich indes optimistischer. „Ich bin sehr zuversichtlich, dass es für die SPD ein gutes Jahr wird. Denn wir haben es mit einer Bundesregierung zu tun, die eine katastrophale Leistung abliefert und von einem Krisengipfel zum anderen stolpert“, sagte Beck vor Beginn der Klausur im Berliner Willy-Brandt-Haus. Schwarz-Gelb habe zu unrealistische Vorstellungen, stellte er fest „Steuern senken, die Schuldenbremse umsetzen und auch noch Zukunftsaufgaben in der Bildungspolitik finanzieren – das alles geht eben nicht zusammen.“

Der Parteilinke Björn Böhning sagte zu den schwelenden Konflikten innerhalb der SPD über die Rente mit 67 und die umstrittenen Hartz-IV-Reformen, diese Diskussionsprozesse wolle die Parteispitze bewusst laufen lassen und nicht von oben herab abwürgen. „Ich bin fest davon überzeugt, dass wir zur Mitte des Jahres in diesen Punkten auch zu Ergebnissen kommen, die die Lebensleistung der Menschen im Arbeitsleben stärker berücksichtigen – und zwar sowohl beim Arbeitslosengeld II als auch bei der Rente.“ Gabriel schlug in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vor, in die künftige Arbeit „nicht nur Mitglieder, sondern alle, die sich interessieren und Sachverstand mitbringen“, einzubinden. Dies könne auch für die Auswahl von Kandidaten, etwa dem Spitzenkandidaten bei Wahlen, gelten.

Gabriel, der nach der schweren Wahlniederlage der SPD in der Bundestagswahl im September 2009 den Parteivorsitz von Franz Müntefering übernommen hatte, sagte: „Bei ehrlicher Betrachtung bin ich als Vorsitzender das Produkt einer tiefen Krise der SPD.“ In „Spiegel online“ griff der SPD-Vorsitzende Bundeskanzlerin Angela Merkel scharf an und warf ihr vor, die Wähler zu täuschen. Sie verheimliche ihre Sparpläne, wahrscheinlich bis zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai. „Das ist Betrug“, meinte Gabriel. Statt die zentralen Herausforderungen wie die Finanzlage oder die Arbeitslosigkeit anzugehen, beschäftige sich die Kanzlerin mit taktischen Varianten, wie man die Wähler am besten hinters Licht führen könne. Ausdruck dessen seien die zum Jahreswechsel in Kraft getretenen Steuersenkungen.