Verteidigungsminister Guttenberg fordert einen Untersuchungsausschuss. Kanzlerin Merkel verspricht eine lückenlose Aufklärung.

Berlin. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat eine lückenlose Aufklärung der Affäre um den Luftangriff von Kundus zugesichert und sich zur deutschen Verantwortung für die Folgen bekannt. An diesem Mittwoch soll der Verteidigungsausschuss des Bundestags nach dem Willen aller Fraktionen in einen Untersuchungsausschuss umgewandelt werden. Die Grünen-Abgeordnete Kerstin Müller sagte nach einer Sitzung des Auswärtigen Ausschusses mit Verteidigungsminister Karl- Theodor zu Guttenberg (CSU) am Dienstag, die Affäre sei inzwischen ein Fall Guttenberg“ und könne noch zu einem „Fall Merkel“ werden.

Merkel betonte: „Es muss lückenlos alles aufgeklärt werden.“ Sie fügte hinzu: „Es ist mir ganz wichtig, dass das, was infolge unseres Handelns geschehen ist, auch von uns verantwortet wird.“ Sie ließ aber offen, was damit genau gemeint ist. So ist die Frage nach der Entschädigung der Angehörigen der zivilen Opfer noch ungeklärt. Der verantwortliche deutsche Oberst soll mit seinem Befehl zur Bombardierung der zwei von Taliban gekaperten Tankwagen Einsatzregeln verletzt haben. Bis zu 142 Menschen wurden getötet oder verletzt, darunter 30 bis 40 Zivilisten. Merkel sagte, die Regierung werde nach Prüfung aller Informationen „die richtigen Schlüsse ziehen, wenn nicht alle Regeln eingehalten worden sein sollten“. Dies mache sie einvernehmlich mit Guttenberg und Außenminister Guido Westerwelle.

Möglicherweise wird es sogar zwei Untersuchungsausschüsse zu der Kundus-Affäre geben, der zweite könnte vom Bundestag insgesamt eingesetzt werden. Denn im Verteidigungsausschuss könnten nur die militärischen, nicht aber die politischen Belange geprüft werden, sagte der Linke-Abgeordnete Jan van Aken.

Guttenberg wies Vorwürfe der Opposition zurück, er habe sich kritiklos hinter den Luftangriff gestellt. Er habe von Anfang an auf Verfahrensfehler hingewiesen, sagte er und verwies ferner darauf, dass er auch früh von zivilen Opfern gesprochen habe. Der CSU- Politiker hatte am 6. November nach Durchsicht eines geheimen NATO- Berichts erklärt, trotz der Verstöße gegen Einsatzregeln sei die Bombardierung „militärisch angemessen“ gewesen. Guttenberg hatte zudem gesagt, er gehe davon aus, dass es Zivilisten unter den Opfern gegeben hat.

Er kündigte nun an, er werde die ganzen Umstände nach den in der vorigen Woche aufgetauchten – bis dahin unbekannten – Berichten zu getöteten und verletzten Zivilisten „zeitnah“ neu bewerten und als erstes das Parlament informieren. Er unterstützte ausdrücklich einen Untersuchungsausschuss. Er selbst habe „höchstes Interesse“ an der Aufklärung, wie die Informationsstränge im Verteidigungsministerium unter seinem Vorgänger Franz Josef Jung (CDU) gelaufen seien. Daraus könne er dann Rückschlüsse für die Zukunft ziehen. Jung, der nach der Bundestagswahl das Arbeitsministerium übernommen hatte, war am vorigen Freitag als Minister wegen der Kundus-Affäre zurückgetreten. Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold sagte, es sei eine Fehleinschätzung von Guttenberg gewesen, den Angriff als militärisch angemessen zu bezeichnen. Arnold sagte der „Berliner Zeitung“: „Damals wollte Guttenberg die Anerkennung der Soldaten.“ Heute stehe er vor einem Dilemma. „Ändert er seine Position, hat er in der Bundeswehr ein Problem. Ändert er sie nicht, hat er ein politisches Problem.“ Linksfraktionschef Gregor Gysi forderte Merkel zu einer Regierungserklärung auf. Sein Stellvertreter Jan van Aken sagte: „Wir wollen wissen, was die Kanzlerin wusste und wann sie es wusste.“

Linke und Grüne erklärten, sie seien gespannt, was Merkels Ankündigung der Verantwortungsübernahme bedeuten werde, wenn sich herausstellen sollte, dass das Kanzleramt mehr Informationen über den Angriff hatte, als vor der Bundestagswahl den Wählern mitgeteilt wurde. Der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Ernst-Reinhard Beck (CDU), sagte, „die eigentliche Federführung“ für den Auslandseinsatz liege beim Auswärtigen Amt – Außenminister war zu der Zeit der heutige SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. „Da ist die SPD auch im Boot“, meinte Beck im WDR.

Merkel lehnte unterdessen eine schnelle Aufstockung der deutschen Truppen für Afghanistan ab – trotz der von US-Präsident Barack Obama erwarteten Ankündigung von 34000 zusätzlichen US-Soldaten. Sie blieb bei dem Fahrplan, darüber erst nach einer internationalen Afghanistan-Konferenz Ende Januar in London zu entscheiden. Das betonten auch Westerwelle und Guttenberg. Er sagte: „Wir werden mit Sicherheit jetzt nicht einem Ruf aus den USA sofort (...) folgen.“ Obama informierte Merkel in einem Telefongespräch vorab über seine Afghanistan-Strategie. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm teilte mit, Obama habe Merkel „über die wesentlichen Inhalte seiner Rede zum US- Engagement in Afghanistan“ unterrichtet. Merkel habe Obama im Gegenzug über die deutschen Bemühungen zur Stabilisierung am Hindukusch informiert und auf die Afghanistan-Konferenz verwiesen. Der Bundestag will das Bundeswehrmandat an diesem Donnerstag verlängern und die Obergrenze von 4500 Soldaten beibehalten.