Er sei zu alt, um sich sonderlich zu ärgern, sagt Helmut Schmidt. Also ärgert er sich auch nicht über die SPD. In seiner Analyse bescheinigt der Altkanzler den Sozialdemokraten allerdings Rückständigkeit.

Hamburg. Altbundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) hat seiner Partei vorgehalten, nicht auf der Höhe der Zeit zu sein. „Möglicherweise hat die Sozialdemokratie noch nicht in ihrer Breite verstanden, wie sehr sich die Gesellschaft verändert hat“, sagte Schmidt dem Hamburger Abendblatt (Sonnabend-Ausgabe). Heute stünden „andere Fragen im Zentrum als die der Arbeiterbewegung“. Als Beispiel nannte er die Integration der sieben Millionen Zuwanderer in Deutschland. „Es gibt keine politische Partei in Deutschland, die die Integration als zentrales Thema begriffen hat – auch nicht die SPD“, sagte Schmidt.

DAS INTERVIEW MIT HELMUT SCHMIDT IM WORTLAUT

Die elf Regierungsjahre hätten die Sozialdemokraten „nicht sonderlich verändert“, fügte der Altkanzler hinzu. „Aber die Gesellschaft hat sich in dieser Zeit sehr schnell verändert.“ Auf die Frage, wie sehr er sich gegenwärtig über die SPD ärgere, antwortete Schmidt: „Ich bin zu alt, um mich sonderlich zu ärgern.“ Das Ergebnis der Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl sei „etwas Besonderes“ gewesen. Zugleich betonte er: „Ich werde auch den Rest meines Lebens für die SPD sein.“

In dem Interview regte Schmidt zugleich die Abschaffung der Wehrpflicht in Deutschland an. „Ich bin dafür, über die Schaffung einer Freiwilligenarmee nachzudenken.“ Die Wehrpflicht sei „an der Grenze der Verfassungswidrigkeit“ gewesen, weil sie zu einer „unglaublichen Ungleichheit der Einberufung“ geführt habe, bemängelte Schmidt. „Das wird durch die beabsichtigte Verringerung der Einberufungsdauer etwas gemildert, aber nicht wesentlich.“

Die Bundeswehr sei als Wehrpflichtarmee gegründet worden sei, weil Deutschland sich durch sowjetische Truppen und Raketen bedroht gefühlt habe, erinnerte der Altkanzler. „Diese massive gegenseitige Bedrohung zwischen Ost und West ist weggefallen – und damit auch die Grundlage der Entscheidung für eine Wehrpflichtarmee.“

Mit Bick auf die Finanzmarktkrise kritisierte Schmidt scharf die Reaktion der internationalen Gemeinschaft. „Ich sehe nicht, dass die Finanzmärkte gebändigt werden“, sagte der Altbundeskanzler. „Die Gipfeltreffen der G20 haben zahlreiche Absichterklärungen hervorgebracht, aber niemand verwirklicht etwas davon. Das sieht nicht gut aus.“

So seien Finanzmanager in New York schon wieder dabei, Bonuszahlungen in Milliardenhöhe herauszuhandeln. Schmidt bemängelte vor allem das Verhalten in den USA und Großbritannien, die bei der Finanzmarktregulierung entscheidend seien. „In beiden Ländern ist die politische Klasse nicht geneigt, Banken oder Hedgefonds unter Kontrolle zu bringen“, sagte der Altbundeskanzler.