Die Bundesanwaltlschaft muss nun entscheiden, ob der von einem Bundeswehr-Oberst befohlene Luftangriff in Afghanistan zulässig war.

Dresden. Mit den strafrechtlichen Konsequenzen des von einem deutschen Bundeswehroberst befohlenen Luftangriffs in Afghanistan mit bis zu 142 Toten wird sich nun die Bundesanwaltschaft beschäftigen. Die Dresdner Generalstaatsanwaltschaft gab am Freitag überraschend die Prüfungen an den obersten Ermittler in der Bundesrepublik ab. Nach Darstellung der Dresdner Behörde muss sich der Generalbundesanwalt mit der Frage beschäftigen, ob der von Bundeswehr-Oberst Georg Klein angeordnete Militärschlag vom 4. September im Sinne des Völkerstrafrecht zulässig war.

Die Dresdner Ermittler schließen nicht aus, dass sich in Afghanistan derzeit ein bewaffneter Konflikt im Sinne des Völkerstrafgesetzbuches ereignet. Mit diesem könnte der Luftangriff in Zusammenhang stehen. Wenn es sich tatsächlich um einen solchen bewaffneten Konflikt handele, würde dies, so die sächsische Anklagebehörde, nicht nur zur Anwendung des Völkerstrafgesetzbuches führen, sondern auch zu den Regeln des humanitären Völkerrechts. Dann könnten völkerrechtskonforme Militäreinsätz innerhalb des Mandats der Vereinten Nationen grundsätzlich gerechtfertigt sein.

Nach Ansicht von Offizieren der Nato verstieß der Bundeswehr-Oberst Georg Klein mit seinem Befehl zur Bombardierung zweier Tanklastzüge in Afghanistan gegen Befehle und Dienstanweisungen. Wie hochrangige Offiziere des Militärbündnisses in Brüssel sagten, gehe das aus einem bislang geheimen Untersuchungsbericht hervor. Oberst Klein hätte vor allem nicht selbst eine Bombardierung der Tanklastzüge durch US-Kampfjets anordnen dürfen.

Die Entscheidung zur Bombardierung hätte nur der Kommandeur der Afghanistan-Schutztruppe ISAF, US-General Stanley McChrystal, treffen dürfen. Klein hätte ohne Rücksprache mit McChrystal Waffengewalt lediglich bei einer direkten Gefährdung seiner Soldaten einsetzen dürfen:„Er war in diesem Fall nicht für den Befehl zuständig.“ Bei der Bombardierung der von radikalislamischen Taliban gekaperten Tanklastzüge wurden nach deutschen Angaben am 4. September zwischen 17 und 142 Menschen verletzt oder getötet. Die afghanische Regierung hatte festgestellt, 69 Taliban und 30 Zivilisten seien ums Leben gekommen.

Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) will heute in Berliln die Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen über den Untersuchungsbericht informieren. Er wird sich auch erstmals öffentlich zu dem Luftangriff äußern. Das Verteidigungsministerium dementierte am Donnerstagabend einen Zeitungsbericht, wonach sich Guttenberg dabei von Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan distanzieren werde. Der Vier-Sterne-General hatte in der vorigen Woche erklärt, er sehe die Bundeswehr durch den NATO-Bericht entlastet und habe keinen Grund daran zu zweifeln, dass Oberst Georg Klein militärisch angemessen gehandelt habe. Die Opposition hält diese Bewertung nach Einsicht in den Bericht für unzulässig.

In dem Bericht heißt es auch, der deutsche Oberst habe die Frage eines US-Kampfpiloten, ob er durch einen Tiefflug die Menschen aus der Nähe der in einem Flussbett feststeckenden Tankwagen vertreiben solle, verneint. Auch Alternativen zur Bombardierung – beispielsweise der spätere Einsatz von Spezialkräften – seien nicht hinreichend geprüft worden. Nach der Bombardierung sei zu viel Zeit verstrichen, bis die ersten ISAF-Soldaten am Ort des Geschehens eingetroffen seien. Deswegen sei es nicht mehr möglich gewesen, die Zahl der Opfer verlässlich festzustellen. Die von McChrystal beauftragten Untersucher seien – so NATO-Militärs – zu dem Ergebnis gekommen, „dass der Vorfall nicht hätte passieren können, wenn alle Befehle und Vorschriften eingehalten worden wären“.

Guttenberg hatte erst am Dienstag in einem Interview von „kriegsähnlichen Zuständen“ in Afghanistan gesprochen – und sich damit klar von seinem Vorgänger Franz Josef Jung (CDU) distanziert, der stets von einem Stabilisierungseinsatz gesprochen hatte. Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Ulrich Kirsch, sagte der „Mitteldeutschen Zeitung“, der Verband stehe weiter „ohne Wenn und Aber“ zu Klein. „Unsere Frauen und Männer werden sagen, wenn wir in den Einsatz gehen, dann haben wir den Staatsanwalt mit im Gepäck. Das wäre fatal.“ Klein habe „militärisch das Richtige getan“.