Hamburg. Das Duo Yaara Tal und Andreas Groethuysen: Ein Gespräch über das gemeinsame Spiel, Teamarbeit und kochen.

Unzertrennlich ist der Begriff, der wohl am besten zu Yaara Tal und Andreas Groethuysen passt. Die beiden haben 1985 damit begonnen, als Klavierduo Konzerte zu geben. Auf Spezialitäten sind die Tasten-Teamarbeiter spezialisiert, egal, ob vierhändig und nebeneinander an einem Klavier oder jeweils zweihändig mit zwei Klavieren.

Der Ehrgeiz, immer wieder neues Repertoire zu finden und dem Publikum nahezubringen, hat Tal Groethuysen, auch privat ein Paar, zu einer Referenzgröße in der Klassik-Welt gemacht. Was sie spielen, hat Format. Die Bandbreite reicht vom Barock bis in die Gegenwart; sie haben – um nur einige Beispiele zu nennen - Mozart aufgenommen, Debussy, das Konzert für zwei Klaviere von Vaughan Williams, Schuberts vierhändige Klaviermusik, eine Bearbeitung von Bachs Goldberg-Variationen, Debussy, Reger… Das aktuelle Projekt ist eine raffiniert kombinierte CD, bei der Clara Schumann und ihre Familie im Mittelpunkt steht.

Es gibt ja das schöne Sprichwort, dass geteilte Freude doppelte Freude wäre. Bei Ihnen beiden aber – wenn Sie vierhändig auf einem Instrument spielen – ist ein geteilter Flügel nur noch ein halber Flügel. Ist das nicht relativ doof?

Yaara Tal Das ist überhaupt nicht doof. Ein halbes Leben ist sehr, sehr viel. Und wenn ich spiele, habe ich nicht das Gefühl, ich spiele nur ein halbes Stück oder eine halbe Wahrheit Musik. Andreas´ Part neben mir ist so lebendig, ich kann mich vollständig entspannen und die Musik eventuell auch mehr genießen.

Sie müssen auch den Applaus teilen.

Andreas Groethuysen Aber wir freuen uns ja dran, und das gemeinsame Ergebnis ist mehr noch als die Summe der Teile, etwas Höheres.

Üben Sie zwangsweise zusammen – oder geht jeder für sich zunächst seinen Part allein durch?

Groethuysen Sowohl als auch, je nachdem, was es braucht. Am Anfang lesen wir ein Stück gemeinsam durch, dann übt jeder seine Sachen. Aber es sollte auch jeder nicht zu lang allein spielen, wir wollen es ja gemeinsam entwickeln.

Ihre Managerin, Herr Groethuysen, soll Sie damals mehr oder weniger sanft dazu genötigt haben, es zu zweit zu versuchen. Es fiel das Wort „zähneknirschend“.

Groethuysen Fast. Das Klavierduo hatte ich für mich als Zukunft nicht auf dem Schirm. Das war das solistische Spiel. Meine Agentin meinte, als wir damals zusammen wohnten und solistisch spielten, es wäre doch sinnvoller, unsere Energien zu bündeln. Na gut, schaumermal, habe ich mir gedacht. Und bei der Recherche, beim entsprechenden Material ist dann der Groschen gefallen. Es gibt doch so viele Stücke, die man nie hört, das haben wir als die große Herausforderung für uns akzeptiert.

Yaara Tal Ich fand‘s nie eine dumme Idee. Ich habe schon als Kind mit meinem Klavierlehrer in meinem Heimatland Israel sehr viel Vierhändiges gespielt. Als die Idee von außen kam, hat das Andreas überzeugt.

Haben Sie eine Münze geworfen, wer oben spielt und wer unten?

Groethuysen Beim vierhändigen Spiel gab’s keine Frage, es war ganz eindeutig, dass Yaara oben sitzen soll und ich unten. Sie war es von Kindheit an gewohnt. Unten fühle ich mich auch ganz besonders wohl. Das ist eine Rolle wie ein Dirigent: Man hat das Pedal, man hat die Bässe, man verwaltet die Harmonien. Es sähe auch sehr albern aus, wenn der hochgewachsene Mann und die kleine Frau andersherum säßen. Und bei aller Gleichberechtigung: Dass die Frau die hohen Töne spielt, finde ich doch noch einen Tick natürlicher.

Wie reagieren Solo-Pianisten auf Sie beide? Sind die geradezu neidisch auf Ihre Möglichkeiten zu zweit?

Groethuysen Es gibt viele Solo-Pianisten, die gern mal Duo spielen und das auch tun. Wir betrachten das manchmal mit einer gewissen Skepsis, weil es schon einen gewissen Grund hat, dass man jahrelang zusammenspielt und die Dinge entwickelt und nicht einfach mal so zwei Proben macht. Das geschieht hin und wieder, durchaus zum Schaden der vierhändigen Klavierkultur. Das hat sie zur Gelegenheitsmusik gemacht. Aber der wirklich tiefe Anspruch, ich denke da vor allem an Schubert, zeigt: Die meisten seiner Stücke sind durchaus vergleichbar mit denen für Solo-Klavier.

Der Aufwand, sich zu einigen, ist durchaus mit dem Konzept Streichquartett vergleichbar. Sie sind ein halbes Quartett, also findet man nichts mal eben von jetzt auf gleich.

Tal: Wenn man es genau nimmt, ist es noch schwieriger. Den viel weicheren Ansatz von Streichern oder Bläsern gibt es beim Klavier so nicht. Wenn man einen Bruchteil von Sekunden früher oder später kommt, merkt jeder, dass etwas nicht geklappt hat. Beim Vierhändigen ist es eine spezifische Gattung: Zwei Menschen bedienen einen Klangkörper. Man strebt eine Erweiterung des solistischen Klangs an, aber es soll immer noch klingen, als wäre es ein Mensch. Es muss eine perfekte Balance entstehen, das kommt nicht von heute auf morgen.

Wie lang dauerte dieser Prozess bei Ihnen?

Tal: Es geht immer noch weiter. Man kommt zwar schnell zusammen, aber die Entwicklung des gemeinschaftlichen Klangs dauert.

Groethuysen: Wir haben schon ähnlich geschwungen in der Musik, das hat uns geholfen.

Dann macht das Spielen im Klavierduo bescheiden oder gar demütig, weil es die Egos immer wieder herunterbremst? Weil man nicht allein ist und machen kann, was man möchte?

Groethuysen: Viele als „Einzelkämpfer“ ausgebildete Pianisten sind nicht imstande oder willens, sich da zurückzuschrauben. Es braucht schon zwei Interpreten, die das solistische Zeug haben, aber von ihrer Persönlichkeitsstruktur so veranlagt sind, dass sie sagen: Ich bin auch bereit, für etwas Gemeinsames etwas abzugeben. Gönnen können.

Tal: Wir haben Freunde, Paare, die beide sehr gut Klavier spielen. Aber zusammen spielen können sie nicht.

Gibt es Stücke, bei denen Sie nicht sofort einer Meinung und unisono begeistert waren?

Groethuysen: Wir spielen in der Regel Sachen, die wir beide spielen wollen.

Es gibt jede Menge tolle Stücke, die enorm unbekannt sind. Angeblich haben Sie 40.000 Stücke im Blick?

Groethuysen: Da muss ich die Zahlen zurechtrücken. Ich bin Teil eines internationalen Noten-Netzwerks, wir sammeln Raritäten, streifen durch die Bibliotheken. Da sind wir bei über 50.000 Titeln Klaviermusik jeglicher Couleur, zweihändig, vierhändig, zwei Klaviere… Beim Klavier-Duo sind wir auf ungefähr 5000 Werke gestoßen. Die gibt es. Das reicht für mehrere Leben und da ist auch nicht alles Gold, was glänzt, man muss enorm filtern. Wir haben leider keine 32 Sonaten von Beethoven, eigentlich keinen Chopin, von Brahms gibt es nicht so schrecklich viel; Liszt, Rachmaninow.. die haben sich alle zurückgehalten. Aber: Es gibt mehr, als man denkt.

Fehlt Ihnen das solistische Auftreten auf der Konzertbühne? Alleine raus, vielleicht ein Orchester hinter sich… Oder brauchen Sie das inzwischen gar nicht mehr?

Groethuysen: Die Beschäftigung mit anspruchsvollem Solo-Repertoire würde mich nach wie vor reizen. Aber dass ich jetzt etwas vermissen würde, gerade auf der Bühne? Das ist überhaupt kein Gedanke.

In einigen Monaten beginnt das Beethoven-Jahr. Setzen Sie eine Runde aus, haben Sie etwas Passendes ausgegraben?

Groethuysen: Es gab einmal den Plan, eine CD mit dem vierhändigen Beethoven zu machen. Das ist aber im Sand verlaufen, weil wir von unserem „Kunst der Fuge“-Projekt so in Anspruch genommen wurden...

Tal: … Aber wir spielen einige Konzerte...

Groethuysen: Da steht also ein symphonisches Programm an. Es gibt ja die kuriose Besetzung vierhändiges Klavier, Geige und Cello. So haben wir schon einiges gemacht. Es gibt auch die Erste und die Fünfte Sinfonie von Beethoven in diesem Format….

Tal: … und es gibt auch die Große Fuge, seine eigene Fassung für Klavier zu vier Händen. Wir werden also einiges von ihm spielen.

Wenn Sie die Wahl hätten: Von wem würden Sie sich ganz dringend eine Originalkomposition wünschen und warum?

Groethuysen: Chopin, auf jeden Fall. Beethoven, eine große Sonate, so etwas Hammerklaviersonatemäßiges, das wäre absolut fällig.

Tal: Und dazu Schubert und Brahms. Und komischerweise Skrjabin.

Gibt es gemeinsame Hobbys oder gehen Sie getrennte Wege, wenn das Musizieren vorbei ist? Synchronschwimmen, Tandemfahren?

Groethuysen: Unsere künstlerischen Aktivitäten und dazu die Professur in Salzburg, das ist lebensausfüllend. Da gibt es eigentlich keine Zeit, noch Weiteres zu machen. Aber wir haben einen Nachlass von meinem Großvater geerbt, der ein sehr anerkannter Maler war. Dieser Nachlass müsste gründlichst aufgearbeitet wären. Das wäre aber ein Fulltime-Job.

Können Sie zusammen kochen?

Tal: Das geht, sowohl allein als auch zusammen.

Schicksalsgemeinschaft also.

Tal: Eine gute Schicksalsgemeinschaft.

CDs: „Love? Hommage to Clara Schumann“ Werke von Clara Schumann, Robert Schumann, Julie v. Webenau, Theodor Kirchner, Johannes Brahms. Julian Prégardien (Tenor), Chor des Bayerischen Rundfunks (Sony Classical, ca. 17 Euro) / „The Art of Tal Groethuysen“ (10 CDs, ca. 35 Euro, Sony Classical) / Wagner „Götterdämmerung“ (ca. 11 Euro, Sony Classical)

Playlist

Mozart: „Vorrei spiegarvi“ KV 418, Patricia Petibon, Daniel Harding, Concerto Köln

Mahler: 2. Sinfonie, 1. Satz: Allegro maestoso. Mit durchaus ernstem und feierlichem Ausdruckl. Sir Georg Solti, London Symphony Orchestra

Stravinsky “Ebony Concerto”

A. Berg “Wozzeck“, 1. Akt: Wozeck und der Hauptmann (bis „schön langsam!“). Dietrich Fischer-Dieskau, Evelyn Lear, Karl Böhm, Orchester und Chor der Deutschen Oper Berlin.

Wagner „Siegfrieds Tod“ aus der „Götterdämmerung“

Poulenc „Stabat Mater: Vidit suum“ Michèle Lagrange, Serge Baudo, Orchestra National de Lyon

Mendelssohn „Lieder ohne Worte“: op. 102 Nr 5 A-Dur, op. 67, Nr. 2 fis-Moll, Ignaz Friedman

Schostakowitsch: 9. Sinfonie, 1. Satz: Allegro. Leonard Bernstein, New York Philharmonic

Das komplette Gespräch hören mit Yaara Tal und Andreas Groethuysen bei „Erstklassisch mit Mischke“ hören Sie auf www.abendblatt.de/podcast. Bisherige Gäste: Christian Tetzlaff, Albrecht Mayer, Ton Koopman und Bo Skovkus. Nächster Gesprächspartner ist Alan Gilbert.