Hamburg . Frank Wettstein im Abendblatt-Podcast: Ein Gespräch über ein Minus, das dramatischer klingt, als es sein soll.

Frank Wettstein hat gerade erst den nächsten negativen Jahresabschluss des HSV vorgelegt – der neunte in Folge. Warum der Finanzvorstand trotz dramatisch anmutender Zahlen ruhig bleibt, sagt er im Gespräch mit Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider in der Reihe "Entscheider treffen Haider", zu hören hier im Abendblatt-Podcast.


Das sagt Frank Wettstein über ...

… seine Zeit vor dem HSV:

„Bevor ich zum HSV gekommen bin, hatte ich mit einem Partner zwei Jahre lang eine Kanzlei als Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, das war unser Lebenstraum. In der Regel habe ich vor meiner Zeit beim HSV für Unternehmen gearbeitet, die in Schwierigkeiten waren oder zu denen die Banken wenig Vertrauen hatten. Es gibt auch Unternehmen, die operativ ganz gut laufen, die das aber nicht an ihre Finanzgeber vermittelt bekommen. Dann kamen wir und haben genau das versucht. Das Spannende bei solchen Aufgaben ist, dass man nicht viel Zeit hat, die Krise zu analysieren, um dann Maßnahmen zu entwickeln, sie zu beheben.“

… seine Arbeit für Borussia Dortmund:

„2004 bekam die Kanzlei, für die ich damals gearbeitet habe, das Mandat für Borussia Dortmund. Das war die Phase, in der der BVB vor der Insolvenz stand. Damals wurde ein Team aufgestellt, zu dem auch ich gehörte, weil ich mich zuvor drei Jahre um Alemannia Aachen gekümmert hatte. Es ging überragend gut aus für Dortmund, weil sich schnell der sportliche Erfolg eingestellt hat.“

… das Angebot des HSV:

„Ein Bekannter hat mich mit Karl Gernandt in Kontakt gebracht, der damals Aufsichtsratsvorsitzender des HSV war. Ich dachte erst, es ginge um eine beratende Tätigkeit. Aber schon im ersten Telefonat hat Gernandt mir klar gemacht, dass der HSV keinen Berater, sondern einen Finanzvorstand sucht. Und nachdem wir uns getroffen haben, hat er gesagt: Wenn Sie nicht zu uns kommen wollen, sagen Sie bitte in den nächsten drei Tagen ab. Um mich dann nach anderthalb Tagen anzurufen und zu sagen: Die drei Tage sind um! Mir war aber schon nach dem ersten Treffen klar, dass ich unbedingt zum HSV wollte. Ich hatte die erste Berührung mit dem Verein Anfang der 80er-Jahre, für mich ist der HSV etwas anderes als für meine Kinder: Eines meiner ersten Spiele, das ich gesehen habe, war der Europapokal-Sieg der Landesmeister.“

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…neun Geschäftsjahre mit Verlusten in Folge:

„Klar ist, dass wir irgendwann sicherlich mal schwarze Zahlen werden schreiben müssen, weil sich sonst die Frage stellen würde, was eigentlich der Sinn der Organisation HSV ist. In den fünf Jahren, die ich da bin, haben wir 45 Millionen Euro Verluste angehäuft. Borussia Dortmund hat damals in zwei Geschäftsjahren 150 Millionen Euro Verlust gemacht und trotzdem die Krise überwunden. Für uns war es jetzt erstmal wichtig, das erste Jahr in der zweiten Bundesliga vernünftig organisiert zu bekommen.“

…91 Millionen Euro Verbindlichkeiten:

„Das ist keine dramatische Zahl. Zu dieser Summe gehören Lohnsteuer-, Umsatzsteuer- und Lieferantenverbindlichkeiten, die haben wir immer, die haben auch andere Clubs. Das sind bestimmt 20 Millionen Euro. Bleiben noch 70 Millionen Euro übrig, denen 15 Millionen Euro gegenüberstehen, die wir auf dem Bankkonto haben. Also reden wir am Ende über 55 Millionen Euro Verbindlichkeiten, die wir zum Beispiel über eine Schuldverschreibung aus dem Jahr 2016 tilgen. Damals haben wir Kapital von 40 Millionen Euro aufgenommen, von dem wir mittlerweile zwölf Millionen zurückgezahlt haben. Die restlichen 28 Millionen zahlen wir in den nächsten sieben Jahren. Das ist alles bedienbar, das kriegen wir aus dem operativen Geschäft hin. Betriebswirtschaftlich macht es übrigens keinen Sinn, ein komplett eigenkapitalfinanziertes Unternehmen zu haben, also schuldenfrei zu sein.“

… die Frage, warum der wirtschaftliche Turnaround nicht gelungen ist:

„In den vergangenen zwei Jahren ist die Erklärung ganz einfach: Niemand schreibt schwarze Zahlen, wenn er aus der ersten Liga absteigt beziehungsweise das erste Jahr in der zweiten Liga spielt. Es würde ja auch etwas falsch laufen, wenn wir wirtschaftlich erfolgreich wären, sportlich aber nicht. Dann würden uns Fans und Eigentümer zu Recht vorwerfen, dass wir das Geld bunkern. Sportliche Ziele müssen bei einem Verein wie dem HSV immer vor wirtschaftlichen Zielen stehen, anders funktioniert das nicht. Man wird einen Fußballclub nie durch finanzielle Vorgaben sanieren können, das geht nur über sportliche Leistung.“

… den Wert des Stadions:

„100 Millionen Euro sind schon eine relativ fundierte Zahl. Wenn wir das Stadion verkaufen würden, könnten wir mit einem Schlag schuldenfrei sein. Aber dann müssten wir an den neuen Eigentümer Miete zahlen, das ist nicht unsere favorisierte Lösung. Es ist auf jeden Fall besser, ein solches Stadion zu besitzen, als es nicht zu besitzen.“

…die Rolle des Finanzvorstands bei Trainerwechseln:

„Wenn die sportliche Leitung über einen Tausch des Trainers nachdenkt, was soll denn der Finanzvorstand machen?! Soll er sagen: Arbeitet mit dem alten bitte weiter, auch, wenn ihr kein Vertrauen mehr habt und alle Spiele verliert, aber wir können uns keinen neuen Trainer leisten? Das geht nicht. Über allem steht bei uns der sportliche Erfolg, und meine Aufgabe ist, in solchen Fällen für finanzielle Reserven zu sorgen.“

… Fernsehgelder:

„Kosten senken kann man nur begrenzt. Unser Ziel muss es sein, den Umsatz zu steigern. Und das geht nur, wenn man sich sportlich verbessert, weil nur dann der Anteil an den Fernsehgeldern steigt. Fernsehgelder sind auch deshalb so wichtig, weil keine Kosten dahinter stehen.“

… die Gesellschafter des HSV, zu denen auch Klaus-Michael Kühne gehört:

„Für alle unsere Gesellschafter ist die finanzielle Rendite zweitrangig, die wollen, dass es bei ihrem HSV gut läuft.“

… die Lage des HSV im Jahr 2022, so lange läuft sein Vertrag:

„Das schlechteste Szenario wäre, dass der HSV immer noch in der zweiten Liga ist, dann müssten wir den Etat für den Kader deutlich nach unten angepasst haben. Bestes Szenario wäre, dass wir in der Ersten Bundesliga spielen und nicht jeden Spieltag nach unten gucken müssen. Dann werden sich die Finanzen automatisch positiv entwickelt haben.“