Hamburg. Rechtsmediziner Klaus Püschel berichtet im Podcast über schwere Verkehrsunfälle durch Senioren am Steuer.

Vor einem Augenblick noch war alles gut. Mehr als 60 Jahre lang ist das Ehepaar gemeinsam durchs Leben gegangen. Nun ist der Mann 88 Jahre alt, seine Frau einige Monate jünger, und beiden ist bewusst gewesen, dass es nicht mehr ewig so weitergehen würde.

Irgendwann würde einer von ihnen sterben und der andere zurückbleiben. Allein. So wie das Unglück jetzt aber über die beiden Senioren hereinbricht, damit haben sie nicht gerechnet: Das Gesicht schreckensblass, starrt der Mann auf seine Gattin, die auf der Straße liegt und mit dem Tod ringt.

Drama in Hamburg: Senior überfahrt seine Ehefrau

Und er selbst war es, der das Drama verschuldet hat. Der Senior hat seine eigene Frau überfahren. „Es ist ein Unglück von besonderer Tragik, das sich an einem Herbsttag in Hamburg ereignet hat“, erzählt Rechtsmediziner Klaus Püschel im Abendblatt-Crime-Podcast „Dem Tod auf der Spur“ mit Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher.

„Bei einem Ausparkmanöver hat der Rentner mit seinem Auto seine Partnerin erfasst. Die Frau ist zu Boden gestürzt und dann überfahren worden.“ Knapp drei Monate liegt die 87-Jährige sehr schwer verletzt im Krankenhaus. Dann stirbt sie.

Senior hatte Gas und Bremse verwechselt

„,Gas und Bremse verwechselt‘, ,Senior erleidet Schwächeanfall am Lenkrad‘ oder ,Herzinfarkt am Steuer‘: Solche und ähnliche Schlagzeilen lesen wir immer öfter“, stellt Mittelacher fest. „In verstärktem Maße bewegen uns scheinbar unerklärliche Verkehrsunfälle älterer Menschen.“

Ein zentrales Thema ist heute der demografische Wandel. Und für diese älteren und alten Menschen bedeute die Mobilität eine enorme Lebensqualität, stellt Püschel fest. „Als Rechtsmediziner äußere ich mich manchmal dahingehend, dass für viele Verkehrsteilnehmer im Herbst ihres Lebens ihr Führerschein wichtiger ist als der Trauschein. Andererseits nehmen diese Menschen nicht ausreichend wahr, dass ihre körperlichen und geistigen Fähigkeiten nachlassen.“

Körperliche und geistige Fähigkeiten lassen im Alter nach

Viele Krankheitssymptome nehmen im Alter zu, beispielsweise Herzerkrankungen und Diabetes. Sehkraft und Hörvermögen lassen meist nach, die Reaktionsfähigkeit wird langsamer. Manche Menschen werden dement. „Betrachtet man die demografische Entwicklung, rollt also buchstäblich ein gewaltiges Problem auf uns zu“, warnt Püschel.

In vielen Studien zeige sich, dass das korrekte Verhalten im Straßenverkehr deutlich ab dem 75. Lebensjahr abnimmt. Am Ende heißt es: „Vorsicht, Greis-Verkehr!“ So hat das Autoren-Duo auch das entsprechende Kapitel in seinem Krimi-Sachbuch „Der Tod gibt keine Ruhe“ genannt.

War der Autofahrer vielleicht krank oder dement?

Die rechtsmedizinischen Aufgabenstellungen bei Verkehrsunfällen sind sehr umfassend. Es geht auch um die Rekonstruktion des Geschehens. Mögliche Fragen sind zudem beispielsweise: Stand der Fahrer unter Alkohol oder Drogen? Und: War er vielleicht krank oder dement?

Diese Frage stellte sich auch bei einem folgenschweren Verkehrsunfall in der Nähe des Hamburger Hauptbahnhofs. Ein Kombi fuhr unvermittelt rückwärts aus einer Parklücke über den Straßenrand.

Danach schleuderte der Wagen mit dem Heck voran und mit Tempo 15 in eine junge Familie. Eine Frau und deren Bruder wurden schwer verletzt. Der kleine Sohn der Frau starb.

Mutter verliert Sohn bei Verkehrsunfall am Hauptbahnhof

Als Unglücksfahrer musste sich ein 74 Jahre alter Mann später vor Gericht verantworten. Im Prozess schildert die Mutter des getöteten Vierjährigen, wie sie selber unter das Auto geriet, wie sie dann die Hand ihres Jungen ergriff und schrie: „Mein Sohn, mein Kind!“ Sie ahnte nicht, dass der Junge tödlich verletzt war.

Seitdem, sagt die Frau im Prozess, fühle sie nur noch Leere. Am Ende verhängt die Amtsrichterin eine zehnmonatige Bewährungsstrafe. „Das ist ein furchtbarer, trauriger, schrecklicher Fall, der uns alle hier betroffen hat“, sagt sie. Sie sei überzeugt, dass ein vermeidbarer Fahrfehler des Angeklagten zu dem folgenschweren Unfall geführt habe.

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Schwere Verkehrsunfälle durch Senioren am Steuer

Es erfasse ihn immer wieder „ein gewisses Schaudern“, erklärt Püschel, „wenn ich mitbekomme, dass Menschen mit einer großen Lebensleistung im Zusammenhang mit einem altersbedingten Abbau uneinsichtig werden und schwere Verkehrsunfälle verursachen – und dabei unter Umständen den Tod eines Menschen verschulden. Sie bringen dabei großes Unglück über die Familie des Opfers. Und rufen auch für sich selbst eine tiefdepressive Endstimmung hervor, die vermeidbar wäre“ – wenn nämlich öffentliche Verkehrsmittel, Taxis und familiäre oder nachbarschaftliche Fahrdienste in Anspruch genommen würden.

„Ich setze mich sehr für freiwillige Selbstkontrollen ein, bei denen alte Menschen selbstbestimmt Fahrunterricht nehmen. Und im Einzelfall muss man auch freiwillig den Führerschein abgeben, weil es einfach nicht mehr geht“, so Püschel.