Hamburg. Im Podcast erzählt Klaus Püschel vom Mord an dem Mädchen. Er war der Beginn eines gruseligen Geschehens in Norddeutschland.

Im ansonsten dunklen Zimmer eines Hauses flackern die Lichter etlicher Kerzen. Um das Bett, das in dem Raum steht, sind mehrere Heiligenbilder platziert. Die Szenerie hat etwas Mystisches, vor allem aber auch etwas Verstörendes, Schockierendes. Denn in dem Bett liegt hindrapiert ein junges Mädchen, reglos. Um den Hals der 13-Jährigen ist ein Seidenschal geschlungen. Mit ihm ist die Jugendliche erdrosselt worden.

Ein Mord an einer Jugendlichen, und um sie herum nun die Kerzen und Madonnen: Wollte der Täter damit, einer bizarren Logik folgend, seinem Opfer im Tod ein friedlich-seliges Umfeld verschaffen? Doch selbst im Jetzt kommt die 13-Jährige nicht zur Ruhe. In der darauffolgenden Nacht verschwindet ihr kalter Körper aus der Leichenhalle eines Krankenhauses. Es ist der Auftakt einer gruseligen Serie von Leichendiebstählen in Norddeutschland, die die Menschen in der Region erschüttern.

Stiefvater drehte durch, flüchtete und ertrank

„Der erste dieser Fälle ereignete sich in Verden“, erzählt Rechtsmediziner Klaus Püschel im Abendblatt-Crime-Podcast „Dem Tod auf der Spur“ mit Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher. „Die Tote lag bekleidet im Bett, am Hals waren Strangmarken zu erkennen. Das Opfer war über Monate vom Stiefvater missbraucht worden und hatte schließlich die sexuellen Übergriffe angezeigt.

Offenbar ist der Stiefvater in dieser Situation durchgedreht. Er hat also, so der Verdacht der Ermittler, die Tochter getötet und ihren Leichnam im Bett aufgebahrt. Und dann ist er geflüchtet.“ Später wurde der Verdächtige in einem Bachlauf gefunden, er war ertrunken.

Der Leichnam der 13-Jährigen war verschwunden

In beiden Fällen wurden für den jeweils übernächsten Tag gerichtliche Sektionen der Toten anberaumt. „Für uns ergab sich eine überraschende Situation, als wir die Kühlzelle für das Mädchen öffneten: Sie war leer, der Leichnam war verschwunden!“ Die Polizei versucht, diesen düsteren, bizarren Diebstahl aufzuklären. Insbesondere überprüfen die Beamten, ob der Leichenklau möglicherweise aus religiösen Motiven erfolgt sein könnte – etwa durch Verwandte der getöteten Jugendlichen oder auch von Zugehörigen einer Sekte. Doch die Nachforschungen bleiben ergebnislos.

„Gut sechs Wochen nach dem Mord und dem Tod des Stiefvaters wurden wir wieder in die Region Verden gerufen“, erinnert sich Püschel. Ein Hund hatte auf einem Feld einen Leichnam erschnüffelt. Die Tote wird später zweifelsfrei als die ermordete 13-Jährige identifiziert. Einige Monate später und etwa 50 Kilometer weiter nördlich geschieht eine bizarre Tat, die erstaunliche Parallelen zu dem Fall aus Verden aufweist. Der Leichnam einer jungen Frau, die nach einem Sturz vom Pferd gestorben ist, wird wieder aus einer Leichenhalle entfernt, diesmal aber nur aus dem Kühlraum gezogen und liegen gelassen.

Der dritte Fall ereignete sich in Hamburg

Wenig später ereignet sich der dritte Fall von Leichenklau, diesmal in Hamburg. „Zu uns ins Institut für Rechtsmedizin wurde eine Wasserleiche aus der Elbe gebracht, die an der Wasseroberfläche getrieben hatte. Der Leichnam war verstümmelt.“ Später stellt sich heraus, dass die Tote aus einem Grab eines Hamburger Friedhofs gestohlen worden war.

Der letzte Fall dieser Serie findet in Bremen statt. Hier macht sich der Täter am Körper einer verstorbenen Siebenjährigen zu schaffen und verstümmelt ihn. Nun gibt es erstmals einen Hinweis auf einen Tatverdächtigen. Aufmerksame Zeugen haben sich das Kennzeichen eines verdächtigen Lieferwagens gemerkt. Die Spur führt zu einem 35-Jährigen, der bereits wegen Vergewaltigung im Gefängnis gesessen hatte. Bei einer Hausdurchsuchung macht die Polizei auf dem Balkon des Mannes eine gruselige Entdeckung: Im Blumenkasten finden sie die herausgeschnittene Teile vom Körper der Siebenjährigen.

Die jüngste Tat räumt der 35-Jährige ein, für sie wird er später verurteilt. Weil ein Gutachter besonders gefährliche sexuelle Neigungen bei dem Mann feststellt, wird neben einer Haftstraße die Sicherungsverwahrung angeordnet. „Von dem Täter habe ich später nie wieder etwas gehört“, erzählt Püschel über den Fall von 1978, der auch im Krimi-Sachbuch „Der Tod gibt keine Ruhe“ von Püschel und Mittelacher ausführlich geschildert wird. „Die Serie von Leichendiebstählen ist seit der Verurteilung des Mannes beendet“, so Püschel. „Eine derartige Fallkonstellation habe ich nie wieder bearbeitet.“

Nekrophilie: Der Fall des Amerikaners Jeffrey Dahmer

Es stellt sich die Frage, was Menschen bewegt, die durch Tote eine besondere Lust verspüren, die sogenannte Nekrophilie. Zum Teil werden sogar Tote in den eigenen Lebensbereich aufgenommen, aufgebahrt, manchmal im mumifizierten Zustand oder auch tiefgekühlt aufbewahrt. Bekannt ist unter anderem der Fall Jeffrey Dahmer. Der Amerikaner hat nach seiner Verhaftung 1991 insgesamt 17 Morde gestanden. Seine Opfer, überwiegend junge Männer, hatte er meist unter einem Vorwand in seine Wohnung gelockt, wo er sie betäubte, sexuell missbrauchte und erwürgte.

Anschließend nahm er nekrophile Handlungen an den Toten vor. In mehreren Fällen hob er den Schädel und andere Körperteile beispielsweise im Kühlschrank auf, teilweise aß er auch davon. Bei einer Durchsuchung seiner Wohnung fanden Ermittler unter anderem Köpfe, abgetrennte Hände und zwei vollständige Skelette.

Der zuständige Gerichtsmediziner erklärte später, dass Dahmers Wohnung eher an ein Museum als an einen Tatort erinnert habe. Der Verbrecher wurde 1994 im Gefängnis von einem Mithäftling erschlagen. Püschel: „Ich bin sicher: Wenn ihm nach 17 Morden und etlichen weiteren Verbrechen nicht das Handwerk gelegt worden wäre, hätte er immer so weitergemacht.“