Hamburg. Eine Domina bleibt mit ihren Freiern in Kontakt – trotz Prostitutionsverbot. Im Podcast erzählt sie, wie sie die Pandemie erlebt.

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Jenny (38) arbeitet als Domina an der Herbertstraße, schon seit 17 Jahren. Vor Ausbruch der Pandemie saß sie fast täglich in einer der Schotten. Damals war die Straße noch belebt, heute wirkt sie wie ausgestorben. Denn sexuelle Dienstleistungen sind in Hamburg Corona-bedingt verboten. Das hatte der Senat im vergangenen Jahr in mehreren Verordnungen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus beschlossen. Jenny erzählt, wie sie und ihre Freier damit umgehen.

Abendblatt: Seit Ausbruch der Pandemie durften Sie erst zwei Monate arbeiten, nämlich im September und Oktober. Wie geht es Ihnen damit?

Jenny: Sehr, sehr schlecht. Zum einen sind meine Ersparnisse weg. Ich war gezwungen, mir von Bekannten und Freunden Geld zu leihen, weil ich mit den Corona-Hilfen nicht über die Runden komme. Zum anderen geht es um so viel mehr als nur Sex. Das sieht die Gesellschaft oft nicht. Es geht nämlich ums Menschliche, auch bei den Freiern. Viele meiner Gäste haben niemanden, bei dem sie sich anlehnen, sich austauschen und alles rauslassen können. Gerade im Lockdown habe ich gemerkt, dass meine Gäste vereinsamen. Das nimmt psychisch mit.

Pflegen Sie den Kontakt zu Ihren Freiern?

Ja, wir telefonieren. Ich habe Stammgäste. Erst vergangene Woche habe ich mit einem älteren Mann telefoniert, einem Witwer. Er kam zu mir und hat eine Schulter gesucht, an der er sich anlehnen kann. Die hat er jetzt gerade nicht – und so wie ihm geht es vielen. Das lässt mich nicht kalt. Wenn ich mit diesen Männern telefoniere, sagen sie: „Mir geht es schlecht.“

Mit dem Witwer haben Sie rein platonisch telefoniert?

Rein platonisch. Wenn ich Jahre lang mit denselben Männern Kontakt habe, baut sich natürlich etwas Freundschaftliches auf.

Wie läuft so ein Telefonat ab?

Eigentlich immer gleich: Wie geht’s dir? Was hast du heute gemacht? Dann reden wir über Alltägliches. Es ist mir persönlich auch sehr wichtig, diejenigen, die allein Zuhause sitzen, in dem Gespräch aufzubauen und sich gegenseitig zu motivieren. Zu sagen: Mensch bald haben wir es geschafft! Wir sehen uns bald wieder und dann machen wir uns eine schöne Zeit.

Die Corona-Zeit nimmt Sie finanziell und psychisch mit. Haben Sie trotz Pandemie schon daran gedacht, Ihre Dienste illegal anzubieten?

Nein. Ich kann nur für mich und die Frauen auf St. Pauli sprechen. Da habe ich nicht gehört, dass die Frauen illegal arbeiten. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass es Frauen gibt, die aus der Not heraus in die Illegalität gedrängt werden.

Es wird noch ein paar Monate dauern, bis Sexarbeit wieder erlaubt ist. Wenn es soweit ist, was bleibt von der Pandemie? Die AIDS-Epidemie hat das Kondom salonfähig gemacht hat, bleibt von Corona der Mund-Nasen-Schutz?

Der wird uns definitiv noch sehr lange begleiten. Das betrifft aber auch andere Branchen. Was die Desinfektion, das Reinigen und Lüften betrifft, das war für uns schon vor Corona das A und O. Wir sind die größten Hygieneprofis. Dass Mann und Frau die Genitalien waschen, die Hände desinfizieren und frische Handtücher benutzen, das ist normal. Wir Frauen können uns nicht leisten, krank zu werden. Es gibt ja nicht nur das Corona-Virus, sondern so viele andere Viren und Bakterien. Wir können uns als Selbstständige nicht erlauben, einen Abend auszufallen.

Wie viel Geld bekommen Sie an einem Abend?

(Lacht.) Das wollen alle wissen. Dazu kann ich nur so viel sagen: Ich werde niemals genaue Zahlen nennen. Aber ich habe so gut verdient, dass ich mir vor Corona ein wunderschönes Leben aufbauen konnte.

Also liegt eine Nacht im Hunderter bis Tausender Bereich?

Das ist völlig unterschiedlich. Ich kann nicht sagen, wie viele Gäste ich an einem Abend habe.

Sie selbst sind freiwillig zur Prostitution gekommen, sagen Sie. Bereuen Sie es in der Corona-Pandemie, nicht doch einen anderen Beruf gewählt zu haben?

Nein. Ich wollte immer selbstständig sein. Das habe ich mir schon während meiner Ausbildung zur Zahnarzthelferin gesagt: Ich will selbst entscheiden können, wann ich zur Arbeit gehe und Urlaub habe. Ich bin froh, dass ich über eine Freundin, die damals schon an der Herbertstraße gearbeitet hat, zur Prostitution gekommen bin. Vielleicht sitze ich mit 60 Jahren immer noch als Domina hinterm Fenster.

Jenny engagiert sich in der Protestgruppe
Jenny engagiert sich in der Protestgruppe "Sexy Aufstand Reeperbahn", die im Sommer die Öffnung der Bordelle gefordert hat. © Michael Rauhe

Die CDU möchte den Einstieg in die Sexarbeit erschweren. Im Februar hat die Partei auf Bundesebene ein Positionspapier zum Thema Zwangsprostitution veröffentlicht, in dem sie fordert, das Mindestalter für Sexarbeitende von 18 auf 21 Jahre zu erhöhen. Wie stehen Sie dazu?

Eine 18-Jährige darf ein Geschäft aufmachen, einen Kredit bei der Bank aufnehmen und ist voll geschäftsfähig. Warum soll sie dann nicht auch frei entscheiden können, diesem Gewerbe nachzugehen?

Die CDU argumentiert, junge Frauen seien weniger gefestigt und leichter zu beeinflussen.

Ich finde, dass viele 18-Jährige heutzutage reifer sind als manch eine 25-Jährige. In dem Positionspapier geht es darum, dass Schutz geboten werden soll. Aber es greift nicht da, wo es greifen soll. Wir Frauen auf St. Pauli brauchen keinen Schutz. Wir arbeiten legal, haben hier unseren Wohnsitz und sind hier angemeldet. Wenn mal etwas los ist, dann haben wir Anlaufstellen: Wir können zur Polizei gehen und uns einen Anwalt an die Seite holen…

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Und wo sollte es greifen?

Es geht darum, dass Zwangsprostituierte Schutz brauchen. Das betrifft die Frauen, die irgendwo im Dunklen arbeiten. Die Forderungen des Positionspapiers fassen sie nicht. Es fasst die Frauen, die sich an die Vorschriften halten und angemeldet sind. In anderen Worten: Es würde auch uns Frauen an der Herbertstraße treffen, aber wir arbeiten freiwillig.

Die Podcast-Aufnahme wurde gekürzt und von Jenny autorisiert auch in dieser Form als Text veröffentlicht.