Radovan Karadzic soll für den Tod Tausender Muslime verantwortlich sein. Zwölf Jahre war der ehemalige Serbenführer auf der Flucht – nach Darstellung der Behörden fast perfekt getarnt.

Belgrad. Schulterlanges weißes Haar, Vollbart und Brille: Der am Montagabend nach zwölf Jahren auf der Flucht festgenommene frühere bosnische Serbenführer Radovan Karadzic hatte sich nach Darstellung der serbischen Behörden fast perfekt getarnt. Der heute 63-Jährige habe sein Aussehen von Grund auf verändert, sagte der für die Zusammenarbeit mit dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zuständige serbische Minister Rasim Ljajic in Belgrad.

Sie wollen jetzt mehr sehen? Hier geht’s zum Videoportal

Das Gericht in Den Haag hatte Karadzic bereits vor genau 13 Jahren angeklagt worden, 12 Jahre war der politische Führer der Serben im bosnischen Bürgerkrieg (1992-1995) untergetaucht. Nach Darstellung des Tribunals wurde er in dieser Zeit von Helfershelfern in der serbischen Armee, in der Politik und im Geheimdienst gedeckt. Die in diesem Jahr gestürzte Regierung des nationalkonservativen Vojislav Kostunica soll eine Verhaftung von Karadzic verhindert haben. Die seit zwei Wochen amtierende Nachfolgeregierung unter Führung pro- europäischer Parteien hatte dagegen die Überstellung Karadzics an das Tribunal in Den Haag versprochen.

Sie wollen jetzt mehr sehen? Hier geht’s zum Videoportal

Die Festnahme Karadzics löste weltweit Erleichterung aus. Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte sie eine "gute Nachricht für den gesamten Balkan". EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn sprach von einem historischen Augenblick. Karadcizs Auslieferung ist gemeinsam mit der Verhaftung seines früheren Militärchefs Ratko Mladic und des kroatischen Serbenführers Goran Hadzic wichtigste Bedingung für die weitere Annäherung Serbiens an die EU. Die Auslieferung wird wegen des juristischen Prozeders frühestens Ende der Woche erwartet. Sein Anwalt Svetozar Vujacic kündigte Einspruch gegen eine Überstellung nach Den Haag an.

Karadzic schweigt bisher zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen des Völkermordes und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der 63- Jährige habe bei seiner ersten Vernehmung durch einen serbischen Staatsanwalt das Verfahren gegen ihn als "Farce" bezeichnet, berichtete Vujacic. Der früher korpulente Mann sei abgemagert und verweigere die Nahrung. Ein Gerichtsmediziner habe ihn in der Nacht untersucht und ihm eine stabile gesundheitliche Verfassung bescheinigt.

Nach Darstellung von Minister Ljajic hatte Karadzic bis zuletzt in einer privaten Arztpraxis in Belgrad gearbeitet und sich frei in der Stadt bewegen können. Er habe sich mit "alternativer Medizin" beschäftigt und sei wegen seiner Tarnung nicht entdeckt worden. Der Gesuchte habe einen gefälschten Personalausweis auf den Namen Dragan Dabic besessen. Ljajic zeigte eine Fotografie von Karadzic, die ihn in dunkler Kleidung, mit schulterlangen weißen Haaren, einem weißen Vollbart und einer Brille zeigt.

Karadzic war nach Angaben des Staatsanwalts für Kriegsverbrechen, Vladimir Vukcevic am Montagabend "in der Umgebung von Belgrad" verhaftet worden. Die Enttarnung sei im Zuge der Suche nach dem ebenfalls flüchtigen Mladic möglich geworden. Polizei und Geheimdienste hätten die Helfershelfer von Mladic observiert und seien auf Karadzic gestoßen. Die Spezialkräfte der Geheimdienste hätten zugegriffen, als sich Karadzic von einem Unterschlupf zu einem neuen Versteck begeben wollte.

Karadzic war seit Mitte der 90er Jahre auf der Flucht. 1996 war er zum letzten Mal in Bosnien gesehen worden. Die USA hatten 1998 eine Belohnung von fünf Millionen Dollar für die Ergreifung des meist gesuchten Serben ausgelobt. Große Teile der serbischen Bevölkerung sehen Karadzic immer noch als Volksheld an.