Hamburger Abendblatt: Was haben Sie empfunden, als Sie von der Festnahme Radovan Karadzics gehört haben?


Hans Koschnick: Zunächst einmal Unsicherheit, weil ich es nicht geglaubt habe. Aber dann hat sich ja die Nachricht bewahrheitet. Jetzt gibt es eine Chance, dass die aufgewühlten Leidenschaften der Bosniaken und Kroaten in Bosnien gedämpft werden. Es gibt eine Perspektive für das geschundene Land und die Chance, dass den Frauen von Srbrenica und allen Opfen des Krieges Gerechtigkeit zuteil werden kann.


Abendblatt: Sie haben häufig die These vertreten, dass der Krieg in Bosnien-Herzegowina erst zu Ende ist, wenn Karadzic und Mladic gefasst sind.


Koschnick: Das stimmt. Aber nicht nur, weil sie die allein Schuldigen sind, auch wenn sie schreckliche Taten begangen haben. Es gibt auf allen Seiten Schuldige. Aber Karadzic und Mladic sind die Hauptverantwortlichen für die Geschehnisse in Bosnien-herzegowina. Und die Möglichkeit, dass die beiden Männer davon gekommen wären, unbedeutendere Täter aber verurteilt worden wären, wäre bei den Opfern des Krieges auf allen Seiten auf Unverständnis gestoßen, und hätte den Prozess, der eines Tages zur Aussöhnung führen könnte, erheblich behindert.


Abendblatt: Also ist die Verhaftung von Karadzic eine Chance für die Menschen in Bosnien auf Aussöhnung.


Koschnick: Vorerst möchte ich von Normalisierung sprechen, denn Aussöhnung ist, nachdem was da passiert ist, ein ganz schwieriges Unterfangen, denn es setzt die bereitschaft voraus, sich an bestimmte Dinge nicht mehr zu er innern. Die Aufarbeitung der Geschehnisse wird noch einige Jahre dauern. Aber es muss eine Form des normalen Zusammenlebens der Bosniaken, Kroaten und Serben in Bosnien-Herzegowina geben. Und solange die Hauptverantwortlichen vor der Strafverfolgung geschützt werden, können die Opfer nicht auf Zukunft setzen.


Abendblatt: Sind denn jetzt auch für Ratko Mladic die Tage in Freiheit gezählt?


Koschnick: Ich bin nicht ganz sicher, denn es könnte sein, dass er noch viel stärker von Geheimdienst-, Militär- und Sicherheitskreisen geschützt wird. Karadzic war Zivilist, Mladic einer der ihrigen. Alte Kriegskameradschaft und Korpsgeist sind langlebig. Aber es ist ganz klar: Karadzic ohne Mladic ist nur die halbe Lösung für eine Normalisierung auf dem Balkan.