Die Unruhen in Tibet eskalieren weiter. Es gab erneut Tote, die Proteste der Mönche weiten sich aus. Bereits in den Tagen zuvor waren allein in Lhasa 80 Menschen ums Leben gekommen.

Peking. China verlegte neue Truppen nach Tibet. Der Dalai Lama warnte vor weiterem Blutvergießen und beklagte einen "kulturellen Völkermord".

Binnen drei Tagen kamen damit bei den heftigen Protesten gegen die chinesische Fremdherrschaft nach exiltibetischen Angaben etwa 90 Menschen ums Leben. Am Wochenende brachen auch in anderen Orten und in den Nachbarprovinzen Sichuan und Gansu Unruhen aus. Chinesische Sicherheitskräfte erschossen am Sonntag in Aba (Ngaba) in Sichuan nach exiltibetischen Angaben mindestens sieben Demonstranten, darunter auch Mönche.

Auch in der tibetischen Hauptstadt Lhasa kam es zu neuen Zusammenstößen zwischen Tibetern und Sicherheitskräften. Laut Augenzeugenberichten fuhren Panzerfahrzeuge auf. In den Straßen patrouillierten Soldaten. Aus Solidarität mit den Mönchen organisierten Exil-Tibeter in vielen Teilen der Welt Demonstrationen. Auch in mehreren deutschen Städten gingen Exil-Tibeter auf die Straße.

Das exiltibetische Zentrum für Menschenrechte und Demokratie in Indien berichtete über neue Proteste von Mönchen aus einem Kloster in Tongren (Rebkong) in der Provinz Qinghai. 300 Mönche des Rong Gonchen-Klosters hätten nach einer Gebetsstunde am Sonntag zur Kreisregierung ziehen wollen, seien aber von Sicherheitskräften massiv daran gehindert worden. Dann seien sie in einem Hof festgehalten worden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und andere Regierungen appellierten an die chinesische Führung und die Tibeter, Zurückhaltung zu üben und den Dialog zu suchen. Nur bei direkten Gesprächen Pekings mit dem Dalai Lama könne eine nachhaltige Lösung des Problems gefunden werden, sagte Merkel am Samstag nach Angaben eines Sprechers.

In den Provinzen Sichuan und Gansu gingen am Sonntag Geschäfte und Autos in Flammen auf. Nach Angaben von Augenzeugen waren Rufe wie "Sabotiert die Olympischen Spiele" und "Werft die Chinesen aus Tibet hinaus" zu hören. Forderungen nach einem Boykott der Olympischen Spiele im Sommer in Peking wiesen das Internationale Olympische Komitee (IOC) und Sportfunktionäre allerdings zurück.

Der Dalai Lama sagte am Sonntag in seinem Exil im nordindischen Dharamsala, viele seiner Landsleute fühlten sich als Bürger zweiter Klasse. Mit Gewalt könne das Problem jedoch nicht gelöst werden. In einem Interview des britischen Senders BBC erklärte der Dalai Lama unverändert seine Unterstützung für die Olympischen Spiele in Peking. China müsse aber die Ursachen der Unruhen gründlich aufarbeiten. Dabei gehe es um die Unterdrückung der alten tibetischen Kultur und die Diskriminierung der Tibeter.

Chinas Behörden warfen dagegen der "Clique um den Dalai Lama" vor, die Unruhen "vorsätzlich geplant" zu haben. "Wir haben genug Beweise, dass diese Aktion eine politische Verschwörung ist, die von der Clique des Dalai Lama geplant worden ist", hieß es in den amtlichen Medien. Internationale Menschenrechtsgruppen und auch deutsche Politiker forderten eine unabhängige Untersuchung der Vereinten Nationen in dem abgeschotteten Hochland.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier appellierte am Sonntag in einem fast einstündigen Telefongespräch an seinen chinesischen Amtskollegen Yang Jiechi, größtmögliche Transparenz über die Ereignisse in Tibet herzustellen und alles zu tun, um die Sicherheit deutscher Staatsangehöriger und Touristen zu gewährleisten.

Derweil forderten chinesische Behörden alle Mitglieder ausländischer Nichtregierungsorganisationen (NGO) nach Informationen der "Frankfurter Rundschau" auf, bis spätestens Montag das Land zu verlassen. Dann endet auch die Frist, bis zu der sich Anführer der Unruhen stellen sollen, wenn sie mit Nachsicht oder Strafminderung rechnen wollen. Es wurde befürchtet, dass die Sicherheitskräfte danach zuschlagen wollen.

In Lhasa rückte die Polizei am Sonntag offensichtlich auch zu Razzien aus. Augenzeugen berichteten, dass auf der Straße alle Tibeter kontrolliert und durchsucht würden. Chinesen blieben unbehelligt.

Trotz der Panzer, Straßensperren und paramilitärischen Kräfte in Lhasa demonstrierten am Samstag wieder mehrere tausend Tibeter gegen die Fremdherrschaft, berichtete die Angestellte eines Reisebüros der Deutschen Presse-Agentur dpa in Peking. Fenster seien zu Bruch gegangen, immer wieder loderten Feuer auf. "Ich habe viel Rauch gesehen." Hunderte sollen festgenommen worden sein.

Auch in Xiahe in der Nachbarprovinz Gansu, einem Zentrum des tibetischen Buddhismus, gingen am Samstag die Proteste weiter. Augenzeugen berichteten der dpa, es seien Scheiben von Geschäften, Banken und anderen Häusern eingeschlagen worden. Die Polizei habe Tränengas eingesetzt. Nach Angaben von Exiltibetern soll in die Luft geschossen worden sein.

Der US-Sender Radio Free Asia berichtete auch von Demonstrationen in der südwesttibetischen Stadt Lithang, in Sershul in Sichuan und im Kloster Samye südlich von Lhasa. Nach der Machtübernahme der Kommunisten 1949 in Peking und dem Einmarsch der Volksbefreiungsarmee 1950 in Tibet hatte sich China das größte Hochland der Erde einverleibt.