Deutschstunde

Es war ein ganz normales Wochenende

| Lesedauer: 4 Minuten
Peter Schmachthagen

Oder: Warum Gorbatschow kein Deutsch kann und die ARD wieder einmal Schwierigkeiten mit dem Genitiv hat.

Man kann sagen, dass wir ein ganz normales Wochenende erlebt haben. Es war wie immer, jedenfalls fühlte es sich so an. Bayern München siegte wieder, der HSV verlor die Tabellenführung an einen ostwestfälischen Provinzverein, Jogi Löw versammelte seine Nationalspieler ohne den derzeit besten deutschen Verteidiger Mats Hummels, und Boris Becker versuchte seine Schulden am Pokertisch zu vermindern. In der Politik erpressen SPD und CDU sich gegenseitig zu faulen Rentenkompromissen, während die eine ehemalige Volkspartei einen neuen Vorstand zusammenpult, während die andere überlegt, wie sie ihre in den Umfragen abgestürzte Vorsitzende loswerden könnte.

Bevor ich mich, ebenfalls wie immer, noch weiter mit Seitenhieben gegen den politischen und publizistischen Mainstream auslasse, sollte ich mich endlich meinem Thema widmen, nämlich der deutschen Sprache. Doch auch auf diesem Gebiet war es wie immer. Die ARD gedachte nicht nur „dem“ Fall der Mauer, sondern auch tagelang in Text, Moderation und Reportage „dem“ Tod von Robert Enke. Wie meinte doch Bastian Sick? Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod. Dafür präsentierte eine Berliner Morgenzeitung Tag für Tag ein wenig Genitiv zu viel und erklärte uns im Aufmacher, Hertha BSC wolle sein neues Stadion nahe „des“ Flughafens Tegel bauen. Gemach, liebe Kollegen, nicht jede Präposition fordert den Genitiv!

Auch im Sportressort sollte man gegenüber dem Leser nahe dem Duden bleiben. Lothar Matthäus analysiert die Bundesliga-Spiele auf Sky durchaus fachmännisch, verweigert seit Jahren aber den Komparativ. Wenn er auftritt, kann ich mich nicht mehr auf den Inhalt konzentrieren, weil ich unruhig auf das nächste Wie warte, wo ein Als kommen müsste. Dafür habe ich in dieser Woche noch nie das korrekte Partizip „gewinkt“ gehört, aber Dutzende Male die Verballhornung „gewunken“. Vielleicht bin ich zu pingelig und sollte endlich mit der weißen Fahne „wunken“.

Apropos weiß. bild.de wollte uns doch tatsächlich etwas „weiß machen“, nicht etwa eine Wand (manche Redaktionen bevorzugen eine ganz andere Farbe) oder eine Zeitungsseite, damit dort die Fehler nicht schwarz auf weiß präsentiert werden, sondern eine Behauptung der Antifa. Ich will Ihnen nicht weismachen, in allen Print- und Online-Auftritten (ja, das Abendblatt eingeschlossen!) sei mit dem Ausstoß der orthografischen Schadstoffe der Untergang der deutschen Sprache eingeläutet („Fridays for Duden!“), aber ich frage mich, warum die Fehler nicht wenigstens in einem Artikel einheitlich beibehalten werden können. Wahrscheinlich denken viele Autoren, wenn sie fünf Varianten liefern, dass sie bestimmt einmal die amtliche Schreibweise treffen werden.

Ich hatte mir ein fehlerfreies Wochenende gewünscht. Das trat nicht ein. Dauernd meldete der PC mit durchdringendem Signalton den Eingang neuer Mails, die er auch auf das piepende Smartphone weiterleitete. Um eines klarzustellen: Ich will Sie keinesfalls vom Schreiben der E-Mails abhalten, ganz im Gegenteil! Sonst wäre es hier auf dem Dorf allein mit Hund im Novembernebel und bei zurzeit deutlich kälter werdender Erde auch zu langweilig!

Es ist zudem ganz interessant zu wissen, welche Leser wegen des Genitivobjekts empört an die ARD geschrieben und nachdrücklich die Lektüre meiner „Deutschstunde“ empfohlen haben (demnächst werde ich aus Rache in „Extra 3“ landen), doch ich frage mich, warum ich zur Kenntnis nehmen soll, dass Gorbatschow am Freitag auf Seite 3 im Abendblatt den Ausdruck „jederorts“ gebraucht hat, obwohl es doch „jedenorts“ heißen müsse. In aller Deutlichkeit: Es heißt weder „jedenorts“ noch „jederorts“, sondern höchstens „allerorts“. Und ich verrate Ihnen noch ein Geheimnis: Gorbatschow hat schriftlich auf Russisch geantwortet! Er ist unschuldig! Das etwas missratene, aber für jeden Leser jederzeit und allerorts verständliche Adverb muss beim Übersetzen hineingerutscht sein.

Manche Fragen verbergen höflich eine vermeintliche Fehlermeldung: Heißt es wirklich „die Kasus“? Ja, der Kasus (Fall), die Kasus, der Plural aber mit ganz langem „u“. Das kann ich sprechen, aber nicht schreiben …

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