Berlin. Modegefühl Flugscham: Die Diskussion über das Aus von Inlandsflügen trifft nicht den Kern. Die eigentlichen Konflikte liegen woanders.

Jede Wette: Flugscham wird das Wort des Jahres. Kein anderes trifft so sehr ins Mark der neuen deutschen Klimadebatte. Kein anderes passt auch so gut zu den Deutschen, die politische Fragen immer gerne zu moralischen machen. Mit Flugscham – ganz gleich ob ehrlich empfunden oder bloß taktisch behauptet – hat die Debatte über klimafreundlichen Verkehr einen emotionalen Triggerpunkt gefunden.

Dazu muss man sich nur mal umhören, was derzeit in Familien mit klimabewegten Kindern diskutiert wird: Die Berliner Sommerferien gehen nächste Woche zu Ende, die letzten Urlaubsflieger kommen Sonntagnacht in Tegel und Schönefeld an – doch in Gedanken sind viele schon bei der nächsten Reise. Und damit bei einem neuen Großkonflikt.

Der Urlaub 2020 dürfte bei vielen Familien auch deshalb schwieriger zu planen sein, weil Fliegen auf einmal nicht mehr selbstverständlich ist. Nicht nur wegen des schlechten Gewissens, das viele auf einmal plagt – sondern schlicht deshalb, weil auch die Politik die Flugscham entdeckt hat und das Fliegen teurer machen will.

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Debatte über das Fliegen ist nur symbolische Zuspitzung

Wird Fliegen also wie früher wieder zum reinen Luxus? Ein Lebensstil für Leute, die sich die Tickets auch in Zukunft leisten können und vielleicht sogar so viel Geld und schlechtes Gewissen haben, dass sie für jede Flugmeile ein paar neue Bäume pflanzen lassen?

Die Flugscham und ihre Folgen rund um Klimaschutz und Klimakosten hat jedenfalls durchaus das Zeug, das Land genauso aufzuwühlen und zu spalten wie 2015 die Flüchtlingskrise und Kanzlerin Merkels „Wir schaffen das“.

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Was man dabei sehen muss: Die Debatte über das Fliegen ist nur die symbolische Zuspitzung der Frage, wie sich unser Verhalten ändern muss, damit der Klimawandel zumindest gebremst werden kann. Aber das Fliegen ist gerade in der Ferienzeit einer der populärsten Punkte darin. Deshalb reden auf einmal alle darüber – von der Linkspartei über die Grünen bis zur CSU.

In der neuen deutschen Klimadebatte ist Fliegen der Inbegriff der Klimasünde. Flüge im Inland kommen sogar Todsünden gleich. Und das, obwohl der CO2-Ausstoß durch Inlandsflüge nur einen kleinen Anteil der gesamten Treibhausgas-Emissionen des Verkehrs in Deutschland ausmacht.

Viele meiden Bahn, weil sie zu oft unzuverlässig ist

Doch Inlandsflüge sind ein Geschenk für alle Parteien, die nach mehrheitsfähigen Lösungen für den Klimaschutz suchen wollen. Denn beim Thema Inlandsflüge kann sich die Politik handlungsfähig zeigen, ohne irgendjemandem wehzutun. Die Grünen sagen es, die SPD sagt es und CSU-Chef Söder sagt es jetzt auch: Lasst uns die Bahn so gut und so günstig machen, dass Inlandsflüge nicht mehr nötig sind.

Prima Idee. Wenn es bloß so einfach wäre. Die Mehrwertsteuer auf Bahntickets senken oder sogar ganz abschaffen – das ist das eine. Doch viele meiden die Bahn ja nicht wegen der vermeintlich hohen Preise. Die 230.000 Kurzstreckenflüge, die Mitarbeiter der Bundesministerien pro Jahr buchen, haben weniger mit Kosten denn mit anderen Gründen zu tun: Viele meiden die Bahn, weil sie oft unzuverlässig ist und immer wieder länger braucht, als nötig wäre. Immerhin steckt der Bund jetzt 86 Milliarden Euro in die Infrastruktur der Bahn.

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Man darf sich dennoch nicht täuschen lassen: Bahn versus Inlandsflug – das ist nicht klimaentscheidend. Die eigentlichen Konflikte liegen woanders. Die größten Klimaschäden entstehen durch konventionelle Energieerzeugung, Straßenverkehr und durchs private Heizen. Ob sich demnächst mal wieder einer hinstellt und trotzdem sagt: „Wir schaffen das mit der Klimawende“? Einfach wird es jedenfalls nicht.