Meinung
Leitartikel

Fahrradstadt? So weit die Räder tragen

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Matthias Iken

Matthias Iken

Foto: Reto Klar

Die viel gelobte Fahrradstadt Hamburg birgt Chancen – eine Fixierung darauf ist aber falsch.

Wenn Selbstlob, wie der Volksmund meint, stinken würde, wäre die Luft in Hamburg derzeit ziemlich schlecht – vermutlich müsste es noch manche weitere Fahrverbote geben. SPD und Grüne klopfen sich gerade eifrig auf die Schultern, was sie Besonderes geleistet hätten. Kaum ein Tag vergeht ohne Jubelmeldung: Die Investitionen in den Radverkehr, rühmten sich die Grünen gestern, haben sich verdreifacht! Und wenig später sagten die Senatsparteien gendergerecht „Falschparkenden und Radfahrenden“ den Kampf an. Auch die stark steigenden Zahlen von Radfahrern lassen die Koalition im Rathaus frohlocken.

Tatsächlich läuft die Fahrradpolitik in der Hansestadt seit einigen Jahren deutlich runder. Über Jahrzehnte waren Radler die Stiefkinder der Verkehrspolitik – heute dürfen sie sich wie ihre Lieblinge fühlen. Vermutlich liegt hier der auffälligste Politikwechsel im Senat, seitdem die SPD 2015 ihre absolute Mehrheit verloren hat.

Verkehrswende gelingt nicht von heute auf morgen

Trotzdem werden die Fahrradlobbyisten weiterhin ausreichend zu tun haben: Denn eine Verkehrswende gelingt nicht von heute auf morgen. Noch immer beklagen sich Radler zu Recht über haarsträubende Ampelschaltungen, lebensgefährliche Straßenführungen oder Radwege, die sich spätestens in den Außenbezirken irgendwo im Nirgendwo verlieren.

So sollte man das jüngste Plus der Fahrradpegel-Messungen nicht überbewerten: Der Zuwachs im Vergleich zum Vorjahr von 20 Prozent ist weniger eine Bestätigung für rot-grünes Wirken als vielmehr dem goldenen Sommer geschuldet. Erst wenn die Sonne scheint, wird es auf den Radwegen eng. Im Umkehrschluss bedeutet das: Ein verregnetes Jahr schwemmt die Momentaufnahme davon.

Weggehupt und fortgeklingelt: die Fußgänger

Wer die Verkehrspolitik ganzheitlich betrachtet, sollte sich eher die Zahlen des sogenannten „Modal Split“ anschauen – also die Verteilung des Verkehrs auf verschiedene Träger: Auch in Zeiten von Dauerbaustellen, Parkplatzabbau und Fahrverboten bleibt das Auto das meistgenutzte Fortbewegungsmittel – allerdings ist dessen Anteil zwischen 2008 und 2017 um sechs Punkte auf 36 Prozent zurückgegangen.

Kurz dahinter folgen Verkehrsteilnehmer, die oftmals nur weggehupt oder fortgeklingelt werden: Die Fußgänger laufen mit 27 Prozent auf Rang zwei ein – eine Lobby aber haben sie nicht. Der öffentliche Personennahverkehr mit Bussen und Bahnen transportiert 22 Prozent der Menschen – vier Prozent mehr als 2008. Erst dann folgen die Radler, die 2017 im Modal Split auf 15 Prozent der Wege (plus drei) kommen. Selbst wenn man den jüngsten Anstieg hochrechnet, klingt der geplante Anteil von 25 Prozent bis 2025 utopisch.

Es ist fraglich, ob dieses Ziel die Verkehrspolitik dominieren soll. So richtig und wichtig der massive Ausbau der Fahrradwege ist, das Rad bleibt eben nur ein Verkehrsträger unter vielen. Eine ökologische Verkehrswende kann nur gelingen, wenn Fußgänger, Bahn- und Busfahrer sich im wahrsten Sinne des Wortes mitgenommen fühlen. Und auch das Auto wird in Zeiten des demografischen Wandels und im Sinne einer florierenden Wirtschaft noch lange benötigt werden.

Wer Konflikte auf den Straßen entschärfen will, muss alle Beteiligten in den Blick nehmen – deshalb sind verschärfte Kontrollen für rücksichtslose Radler wie egoistische Autofahrer geboten. Zugleich aber sollte die Politik versuchen, alle Verkehrsträger weiterzuentwickeln. Sollte sich eine Gruppe im Vergleich zu einer anderen übervorteilt sehen, trägt das nicht zum Verkehrsfrieden bei.

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