Der Amoklauf von Arizona belegt den tiefen Riss durch die USA.

Im Jahre 1630 forderte der Puritaner John Winthrop, Gouverneur der kleinen Siedlergemeinschaft in Massachusetts, in einer Predigt, seine Kolonie in der Neuen Welt müsse zu "einer Stadt auf dem Hügel" werden - zu einer Art weithin sichtbarem Richtfeuer für die ganze Menschheit.

Dieser aus der Bergpredigt stammende Begriff wurde zum Ausdruck des Exzeptionalismus, der in der amerikanischen Seele verankerten Überzeugung, die USA seien ein auserwähltes Land, Vorbild für den Rest der Welt. Der Zusammenbruch des großen Gegenspielers, des sowjetischen Imperiums, Ende des 20. Jahrhunderts bestärkte die einzig verbliebene Supermacht noch darin.

Nur ein Jahrzehnt später jedoch bildet sich eine multipolare Architektur der Welt heraus; die USA schrumpfen relativ, weil die anderen wachsen. Die unseligen Kriege im Irak und in Afghanistan sowie die verheerende Finanzkrise haben Selbstvertrauen und Optimismus der Amerikaner bis ins Mark erschüttert. Die "Stadt auf dem Hügel" droht ihren Glanz zu verlieren; der Alleinstellungsanspruch des Exzeptionalismus zu erodieren. Für die Amerikaner ist dies eine Art Götterdämmerung; und in dieser verzweifelten Situation tun viele von ihnen das, was auch viele Muslime angesichts der Überforderung durch die globalisierte Welt tun: Sie weigern sich, eigene Defizite aufzuarbeiten, sondern wenden sich zurück, zu den einfachen Wurzeln ihrer Kultur. Es ist ein untaugliches Rezept, das in die Radikalisierung führen kann.

Bereits der US-Wahlkampf im vergangenen Jahr hatte aufseiten der sogenannten Tea-Party-Bewegung ein beunruhigendes Maß an Intoleranz gezeigt. Rechte Politiker und Medien lenken die diffusen Aggressionen eines verwundeten Landes gezielt auf Barack Obama und seine Demokraten. Dabei will Obama mit seinen überfälligen Reformprojekten eigentlich die Zukunftsfähigkeit der USA sicherstellen.

Eine lebendige Streitkultur mutiert zum Kulturkrieg, bei dem politische Gegner mit Fadenkreuzen markiert werden. Eine derart aufgeladene Atmosphäre ist besonders brisant in einem Land, in dem statistisch gesehen auf fast jeden der 317 Millionen Einwohner eine Schusswaffe kommt. Und sie vermag im Besonderen auf geistig Verwirrte wie den Amokläufer von Arizona zu wirken. Problemlos konnte er eine Schusswaffe erwerben. Doch hier sind uramerikanische Traditionen berührt. Auch diese Bluttat wird leider nicht zu einer Grundsatzdebatte über die Waffenkultur der USA führen.